# 8

5.4K 286 24
                                    

- Lola -

Normalerweise komme ich während einer Schicht bei Xenia nicht zu einer Raucherpause.
Sobald die Kneipe um 17:00 Uhr öffnet, kommen auch schon die ersten Gäste, die mit einem Bier auf ihren Feierabend oder das Wochenende anstoßen wollen. Und von da an wird es in der Regel nur noch voller, erst recht an einem Freitag wie heute, an dem die Fußballspiele der Bundesliga übertragen werden.
Aber jetzt, wo die Spiele schon lange abgepfiffen sind und sich kurz vor Feierabend nur noch der harte Kern an Stammgästen in der Kneipe befindet, reicht die Zeit doch manchmal.
Also habe ich Rohan gefragt, ob er mich kurz am Tresen vertreten kann, habe dann oben in Xenias Wohnung über der Kneipe nach Danny geschaut, der jedoch friedlich auf dem Sofa geschlafen hat, und bin anschließend durch die Spülküche nach draußen in den Hinterhof gegangen, um eine Zigarette zu rauchen.
Doch als ich nach dem Rauchen wieder reingehen wollte, habe ich Stimmen gehört, die mich innehalten ließen.
Sie sind undeutlich, aber eine der Stimmen erkenne ich sofort.
Mein Blick verfinstert sich.
Till!
Was treibt der Kerl schon wieder hier?!
Ich horche und versuche mich zu konzentrieren, aus welcher Richtung die Stimmen kommen, bis mein Blick zu einem der Gänge gleitet, die vom Hinterhof wegführen.
Es ist ein breiter Gang, der immer von den Müllmännern genutzt wird, wenn sie die Tonnen und Container aus dem Hinterhof abholen.
Langsam gehe ich den Gang entlang, der auf den Bürgersteig vor einer Straße führt.
Mein Körper spannt sich an, als Tills Stimme lauter wird.
"...oder müssen mein Kumpel und ich erst ungemütlich werden?"
Er ist also nicht alleine.
Wut steigt in mir auf.
Der Kerl ist so verdammt feige!
"I-ich..."
Die verängstigte Stimme der Frau macht mich noch wütender und ich trete aus dem Gang raus und auf den Bürgersteig.
"Lasst sie in Ruhe!", fauche ich und funkle Till böse an, auf dessen Gesicht sich ein irritierter Ausdruck breitmacht, genauso wie auf dem von seinem Kumpel, den ich trotz der spärlichen Beleuchtung der Laterne ebenfalls erkenne. Was aber wahrscheinlich auch daran liegt, dass dieser Oliver mit seinen blau gefärbten Haaren eindeutig einen Wiedererkennungswert hat.
Till hingegen erinnert mich mit seinen zerzausten braunen Haaren, der spitz zu laufenden Nase und den schmalen Augen immer an eine Ratte. Eine ziemlich hässliche Ratte. Aber wenigstens passt das Aussehen so zu seinem Charakter.
In einer Hand hält er sein altbekanntes Klappmesser, dessen Klinge er aufgeklappt hat und mit dem er die Frau, die nur ein paar Schritte vor mir entfernt steht, bedroht.
Erst jetzt gleitet mein Blick zu der Frau, die sich nun auch zu mir umgedreht hat und meine Augen weiten sich, als ich das geschockte Gesicht von Frau Jacobi erkenne.
Was macht die denn hier?!
"Na, sieh mal einer an", höre ich Till sagen, woraufhin mein Blick wieder zu ihm wandert. Er mustert mich spöttisch und dreht das Klappmesser geschickt zwischen seinen Fingern. "Spielt die kleine Lola mal wieder die Heldin?"
Unbeeindruckt hebe ich eine Augenbraue. "Ich müsste nicht die Heldin spielen, wenn so erbärmliche Gestalten wie du nicht so eine Scheiße abziehen würden."
Während ich spreche, schiebe ich mich an Frau Jacobi vorbei und bleibe ein Stück vor ihr stehen.
Ihr Gesicht ist ganz blass und sie scheint mit der ganzen Situation etwas überfordert zu sein, was ich ihr aber auch nicht verübeln kann. Immerhin ist sie so Typen wie Till bestimmt noch nicht oft begegnet.
Wenn überhaupt.
Tills Augen werden noch schmaler, als sie es ohnehin schon sind, als er mich mustert.
"Du hast immer noch so eine große Klappe, was?" Er geht langsam auf mich zu, während Oliver sich etwas im Hintergrund hält. "Vielleicht sollte man dir deine lose Zunge noch etwas mehr lockern."
Er lässt das Klappmesser zu- und wieder aufschnappen und ich höre, wie Frau Jacobi hinter mir nur mühsam einen leichten Schrei unterdrückt.
Ich hingegen atme tief durch und versuche weiter konzentriert zu bleiben. Das ist das Wichtigste, wenn man es mit Typen wie Till zu tun hat. Das und der Versuch, ihn irgendwie aus der Reserve zu locken...
Mir kommt eine Idee.
"Ganz schön große Töne von jemandem, der sich sonst immer hinter seinen Kumpels versteckt."
Das wirkt.
Tills Gesicht verzieht sich zu einer wutverzerrten Fratze.
"Du kleine, vorlaute Schlampe!", schnaubt er und stößt mit dem Messer in meiner Richtung.
Darauf habe ich nur gewartet.
Mit einer geübten Bewegung packe ich sein Handgelenk und drehe es herum, während ich ihm mit meiner anderen Hand das Messer aus den Fingern ziehe. Dann drehe ich sein Handgelenk weiter, sodass sich auch sein Arm mitdreht und Till mit einem Schmerzensschrei auf den Boden sinkt.
"Ahh! Lass los! Du brichst mir den Arm!", brüllt er, während ich ihn mit einem Fuß auf seinem Oberkörper auf den Boden drücke.
"Da hast du Recht. Wenn ich weiterdrehe, breche ich dir den Arm auf jeden Fall."
Um meine Worte zu unterstreichen, drehe ich Tills Arm noch ein Stück weiter, woraufhin er erneut aufschreit.
Ich schaue kurz zu Oliver, aber der starrt mit aufgerissenen Augen und offenem Mund zu Till auf dem Boden. Sieht nicht so aus, als würde er seinem Kumpel helfen wollen. Das nenne ich wahre Freundschaft. Aber umso besser für mich.
"So, und jetzt hörst du mir ganz genau zu", sage ich und lehne mich ein Stück zu Till runter, während ich ihn weiter festhalte. "Wenn Rohan, Habib, Marvin oder ich dich oder eine deiner anderen schlecht frisierten Flachpfeifen nochmal bei so einer Aktion erwischen, ist ein gebrochener Arm deine geringste Sorge. Kapiert?"
Als er mir nicht antwortet, drehe ich seinen Arm noch ein Stück weiter und er schreit erneut auf.
"Ahh, ist ja gut! Ahh! Ich hab's kapiert!"
"Schön, dass wir uns verstehen", sage ich, lasse ihn los und gehe ein paar Schritte zurück. "Das Messer kann ich dann ja wohl behalten. Wenn du solche Aktionen nicht mehr machst, brauchst du es ja auch nicht mehr."
Schnaubend rappelt Till sich auf.
"Freu dich nicht so früh!", knurrt er, doch anstatt erneut auf mich loszugehen, wie ich es für einen Moment vermutet habe, wendet er sich ab und ist kurz darauf mit Oliver um die Straßenecke verschwunden.
Ich atme tief durch und klappe die Klinge des Messers ein, bevor ich es in meine Hosentasche stecke und mich ebenfalls umdrehe.
Erst da bemerke ich den völlig entgeisterten Ausdruck auf Frau Jacobis Gesicht. Sie ist, wenn das überhaupt möglich ist, noch blasser geworden und zittert leicht, was vermutlich von dem Schock wegen Till kommt. Oder weil ich sie geschockt habe...
Zerknirscht kaue ich auf meiner Unterlippe.
"Tut mir Leid, dass Sie das sehen mussten", sage ich und gehe vorsichtig einen Schritt auf sie zu.
Sie weicht nicht zurück.
Das ist ein gutes Zeichen.
Denke ich.
"Ich...ich wollte Ihnen wirklich keine Angst machen..."
Ich verstumme, als Frau Jacobi den Kopf schüttelt. "Du...du bist nicht die Person, die mir Angst gemacht hat. Im Gegenteil. Wenn du nicht gewesen wärst..."
Ihre Stimme versagt und sie bedeckt ihren Mund mit einer Hand, während sich das Zittern ihres Körpers verstärkt.
Die ganze Sache hat sie wirklich sehr mitgenommen...
Ich schlucke und lege behutsam einen Arm um sie, woraufhin sie kurz zusammenzuckt, sich dann aber wieder etwas entspannt.
"Kommen Sie."

Liebe Auf Französisch (Lola & Zoe - Band 1) (girlxgirl; teacherxstudent)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt