# 46

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- Lola -

"Ich mach das!"
Mit einer geschickten Bewegung zieht Danny mir die Stofftasche mit unseren Einkäufen aus der Hand, als ich die Haustür aufgeschlossen und ein Stück geöffnet habe, und schiebt sich mit der Tasche in seinen Händen an mir vorbei in den Hausflur, um kurz darauf so schnell wie möglich mit seinen kurzen Beinchen die Treppe hoch zu stürmen.
Kopfschüttelnd, aber lächelnd schaue ich ihm für einen Moment nach und schließe dann den Briefkasten auf, in dem sich jedoch nicht viel mehr als ein paar Werbeprospekte befinden.
Nachdem ich mich von Rohan und den anderen verabschiedet habe und von Xenias Kneipe aus mit dem Bus zum Kindergarten gefahren bin, um Danny abzuholen, war ich mit ihm noch kurz einkaufen. Dabei sind meine Gedanken immer wieder zu Zoe, aber auch zu Rohan gewandert und wie erleichtert und dankbar ich bin, dass er nun darüber Bescheid weiß.
Zwar nicht vollständig, aber immerhin.
Das wird die Zeit des Abstands hoffentlich etwas leichter gestalten...
Okay...wem will ich eigentlich was vormachen?
Die Zeit wird super hart werden, das muss ich mir nicht schönreden.
Aber wir werden das durchstehen, so wie Zoe gesagt hat.
Zusammen...
Mit einem leichten Seufzer und den Prospekten unterm Arm stapfe ich ebenfalls die Treppe hoch und gehe schließlich auf unsere Wohnungstür zu, wo Danny schon mit der Stofftasche steht und mich mit einem breiten Grinsen anschaut.
"Erster", sagt er und hebt stolz sein Kinn etwas an, "ich war voll schnell, oder?"
Ich lache leicht und nicke, als ich die Prospekte in die Stofftasche stopfe und dann in der Jackentasche nach meinem Schlüssel krame.
"Ja, Großer", sage ich und zwinkere ihm zu, während ich die Tür mit einer gekonnten Schlüsseldrehung aufschließe, "du warst total schnell. Wenn du nicht hier stehen geblieben wärst, hätte ich dich bestimmt nicht mehr eingeholt."
Dannys Brust schwillt etwas an und er hebt sein Kinn noch ein Stück höher, was ihn so süß aussehen lässt, dass ich gar nicht anders kann, als ihm einmal kurz durch seine blonden Haare zu fahren.
Dann drücke ich mich gegen die Wohnungstür und stoße sie auf, bleibe jedoch abrupt stehen, als ich einen beißenden Geruch in meiner Nase spüre...
Hier riecht es...verbrannt!
"Warte hier", sage ich und schiebe Danny ein Stück hinter mich zurück ins Treppenhaus, während ich in den schmalen Flur unserer Wohnung trete.
Ich sehe keinen Rauch, was mich irritiert, aber irgendwie auch ein wenig beruhigt.
Unsere Wohnung scheint wenigstens nicht in Brand zu stehen...aber hier schmort doch irgendetwas vor sich hin...
Ich schaue in die unterschiedlichen Räume und suche nach der Ursache des verbrannten Geruchs...
...Dannys und mein Zimmer...
...das Schlafzimmer meiner Mutter...
...das Bad...und frage mich dabei, ob ich vergessen habe, die gewaschene Wäsche, die dort in einem Korb liegt, aufzuhängen...
...bis ich schließlich den Kopf in die Küche stecke und mir ein starker beißender Geruch entgegenweht.
Meine Mutter steht am Herd und kratzt etwas unbeholfen mit einem Löffel in einer Pfanne herum, während sie versucht auf diese Weise die undefinierbaren schwarzen Reste darin von dem Pfannenboden zu lösen.
Hat sie...hat sie etwa versucht zu kochen? Alleine?
Für ein paar Momente kann ich nicht anders als meine Mutter mit irritiertem Blick und gerunzelter Stirn zu betrachten, bis ich mich schließlich räuspere.
Das lässt meine Mutter erschrocken zusammenzucken und hastig ihren Kopf in meine Richtung drehen.
"L-Lola", stammelt sie und starrt mich mit geweiteten Augen an, bevor sie zwischen mir und der Pfanne auf dem Herd, dessen Griff sie immer noch fest mit einer Hand umfasst, hin und her schaut. "I-Ich...ähm...ich kann das erklären...und...es ist...nicht so schlimm, wie es aussieht."
"Kann sein", erwidere ich trocken und gehe mit schnellen Schritten und leicht verzogenem Gesicht durch die Küche, um die beiden Küchenfenster weit aufzureißen, "aber es riecht mindestens doppelt so schlimm."
Als die frische Luft in den Raum dringt, schließe ich die Augen und nehme einen tiefen Zug, wobei ich geradezu merke, wie meine Nase sich wieder etwas entspannt.
Dann drehe ich mich wieder von den geöffneten Fenstern weg und schaue zurück zu meiner Mutter, die mit hängenden Schultern und gesenktem Blick auf den verbrannten Inhalt der Pfanne schaut.
"Ich...ich wollte euch nur etwas kochen", murmelt sie schließlich kleinlaut und ich sehe, wie sie beginnt, auf ihrer Unterlippe zu kauen, "aber...dann war die Waschmaschine fertig...und ich habe sie ausgeräumt...und gerade als ich damit fertig war, hat meine Therapeutin angerufen...und unseren Gesprächstermin am Freitag um zwei Stunden vorverlegt...und dann...dann war ich wieder bei der Wäsche im Bad und habe vollkommen vergessen, dass ich ja noch die Pfanne auf dem Herd stehen habe...bis ich den verbrannten Geruch bemerkt habe...ich...es tut mir Leid."
Meine Mutter seufzt schwer und lässt den Löffel und den Griff der Pfanne los, bevor sie sich vom Herd abwendet und zum Küchentisch geht, gegen den sie sich lehnt und sich mit beiden Händen durch die Haare fährt. Dann verschränkt sie fest die Arme vor der Brust, so als würde sie hoffen, dass ihr das irgendwie Halt gibt und schaut vor sich auf ihre Füße.
Nachdenklich betrachte ich meine Mutter.
Immerhin weiß ich jetzt, dass ich nicht vergessen habe, die Wäsche aufzuhängen...
Aber wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich fast sagen, dass ihr das Ganze wirklich leidtut und dass sie ehrlich ihr Bestes versucht hat...
Ich atme tief durch und schaue zurück zu der Pfanne mit den verbrannten Resten, bevor ich wieder zu meiner Mutter sehe, die nun ihren Kopf leicht zwischen ihre Schultern zieht und die Augen fest schließt.
"Na, mach schon!", sagt sie und ich zucke über die plötzliche Heftigkeit in ihrer Stimme etwas zusammen, "sag mir doch einfach, dass ich es mal wieder vermasselt habe und dass keine gute Mutter bin. Weder für dich noch für Danny."
Die Bitterkeit und Frustration in ihrer Stimme lassen mich die Augenbrauen heben.
Sie...sie scheint wirklich wütend auf sich selbst zu sein, dass ihr das passiert ist...
"Hier riecht's aber komisch", holt mich Dannys Stimme wieder aus meinen Gedanken zurück und ich sehe, wie er mit schief gelegtem Kopf und gekrauster Nase im Türrahmen steht, während seine Hände immer noch fest die Griffe der gut gefüllten Stofftasche umfassen, "was ist das denn?"
Aus den Augenwinkeln sehe ich, wie Dannys Frage meine Mutter leicht zusammenzucken lässt und ihre Augen, die sie wieder geöffnet hat, beschämt zur Seite wandern.
Und...obwohl ich mich wirklich dagegen wehre...und es wirklich nicht zulassen möchte...tut mir meine Mutter in diesem Augenblick Leid...oh Mann...
Ich hole tief Luft und fahre mir mit einer Hand über mein Gesicht. Dann straffe ich meine Schultern und schaue wieder zu Danny.
"Nichts Wichtiges, Großer", sage ich und deute mit dem Kopf zum Küchentisch, gegen den meine Mutter sich immer noch lehnt und langsam und mit geweiteten Augen in meine Richtung schaut. Ihr Blick irritiert mich mehr als ich gedacht habe und ich räuspere mich etwas, während ich versuche, meine Augen weiter fest auf Danny zu richten.
"Kannst du die Tasche mit den Einkäufen bitte auf den Küchentisch stellen...und...und dann...", ich schlucke schwer bei dem nächsten Wort, "...Mama...bei der Wäsche im Bad helfen? Ich kümmere mich in der Zeit um das Abendessen."
"Klar!" Mit seinem breiten Grinsen auf den Lippen stapft Danny fröhlich zum Küchentisch und hievt die schwere Stofftasche auf die Tischplatte. Dann tritt er zu unserer Mutter und greift nach ihrer Hand. "Komm, Mama. Wir machen die Wäsche."
Die geweiteten Augen unserer Mutter wandern zwischen Danny und mir hin und her, bis Danny schließlich etwas an ihrer Hand zieht und sie damit zum Mitgehen bewegt.
Auf dem Weg aus der Küche dreht sie nochmal ihren Kopf zu mir um und schaut mich mit einer Mischung aus Verwirrung, Erstaunen und Dankbarkeit an, während ich ihren Blick möglichst neutral erwidere.
Denn um ehrlich zu sein habe ich keine Ahnung, wie ich das, was ich gerade getan habe, einschätzen oder erklären soll...
Aber...ich hatte Zoe ja gesagt, dass ich mir überlegen wollte, ob ich meiner Mutter nicht eine Chance gebe...
Und wenn sie schon nicht am Samstag auf Danny aufpassen kann, weil Zoes und mein Date ausfallen wird, muss ich mir eben andere Wege und Möglichkeiten überlegen, um ihr eine Chance zu geben...
Sonst mutet sie sich am Ende erneut mehrere Dinge gleichzeitig zu...und vergisst dann das eine oder andere...
Wahrscheinlich hat der Anruf ihrer Therapeutin sie so dermaßen aus dem Konzept gebracht, dass sie alles andere erst mal vollkommen vergessen hat...
Moment mal! Mache ich etwa gerade Erklärungen und Entschuldigungen für das Verhalten meiner Mutter?!
Ich schüttle den Kopf über mich selbst und schaue zurück zu der Pfanne mit den verbrannten Essensresten, bevor ich leicht aufseufze.
Am besten mache ich hier erst mal sauber...

Liebe Auf Französisch (Lola & Zoe - Band 1) (girlxgirl; teacherxstudent)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt