# 22

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- Lola -

"Lüg mich nicht an!", fauche ich und trete noch einen Schritt auf meine Mutter zu, die mit verzogenem Gesicht am Küchentisch sitzt. "Ich weiß genau, dass du an meinem Portemonnaie warst!"
"Nicht so laut", brummt meine Mutter und kneift die Augen etwas zusammen, als sie sich mit zwei Fingern die Schläfe massiert, "musst du so schreien?"
"Oh, soll ich etwa Mitleid mit dir haben, weil du mal wieder einen Kater hast?!"
"Hab keinen Kater."
"Natürlich nicht", entgegne ich und lache verächtlich. "Dann hab ich mir die leere Flasche in deinem Zimmer wohl nur eingebildet, genauso wie die hier."
Mit einem dumpfen Schlag stelle ich eine halbvolle Kornflasche auf die Tischplatte.
Das abrupte Geräusch lässt meine Mutter kurz zusammenzucken und erneut das Gesicht verziehen, aber sie hält trotzdem weiter ihren Blick gesenkt und schaut ins Leere, so als würde sie mich gar nicht richtig wahrnehmen.
Wütend schnaube ich und balle meine Hände so stark zu Fäusten, dass meine Fingernägel sich schmerzhaft in meine Handinnenflächen graben.
Kurz nachdem wir zu Hause angekommen sind, habe ich Danny gleich in unser Zimmer geschoben und die Tür geschlossen, wodurch er nicht einmal die Gelegenheit hatte, sich Jacke oder Schuhe auszuziehen. Dann habe ich die Einkäufe in die Ecke gestellt und bin direkt in das Zimmer meiner Mutter gestürmt, nur um dort ein leeres Bett vorzufinden, neben dem eine leere und eine halbvolle Kornflasche standen.
Mit der halbvollen Flasche in der Hand hab ich mich weiter in der Wohnung umgesehen, bis ich meine Mutter schließlich in der Küche am Küchentisch sitzend gefunden habe, wo sie jetzt auch immer noch sitzt.
Ich schnaube erneut.
"Hast du überhaupt nichts dazu zu sagen?!", fahre ich sie an, was sie zu meinem Erstaunen sogar etwas aufsehen lässt.
"Wozu?", fragt sie mit tonloser Stimme.
"Oh, ich weiß nicht. Vielleicht dazu, dass du mal wieder Geld aus meinem Portemonnaie geklaut hast? Oder dazu, dass du dich mal wieder  betrunken hast? Such es dir aus, mir ist es egal, worauf du antwortest."
Doch anstatt etwas zu sagen, schließt meine Mutter ihre Augen und verzieht ihr Gesicht erneut.
"Du bist echt viel zu laut", murmelt sie, wobei die Worte so unverständlich sind, dass ich sie beinahe nicht verstanden hätte.
Mühsam schlucke ich die Flüche und Beleidigungen, die mir auf der Zunge liegen, herunter und hole tief Luft, bevor ich mich ein Stück zu ihr vorlehne.
"Soll ich dir mal was sagen?", frage ich sie ruhig, während sie mich immer noch nicht richtig ansieht. "Mir ist es mittlerweile wirklich egal, was du mit deinem Leben anstellst. Ich habe keine Lust mehr für dich den Babysitter zu spielen. Ich habe keine Lust mehr heimlich Alkoholflaschen aus deinem Zimmer zu klauen und den Inhalt wegzuschütten. Und ich habe keine Lust mehr Danny anzulügen und ihm vorzuspielen, dass hier alles in Ordnung ist. Dass mit dir alles in Ordnung ist."
Beim Klang von Dannys Namen blitzt etwas in den Augen meiner Mutter auf und sie hebt nun endlich vollständig den Kopf, um mich anzusehen.
"Halt Danny da raus." Ihre Stimme ist leise, aber ungewöhnlich scharf.
"Raushalten?" Ich lache tonlos auf. "Und wie stellst du dir das vor? Danny ist nicht dumm. Falls du es vergessen haben solltest, er kommt nächstes Jahr in die Schule und wird früher oder später merken, dass dieser Zustand hier nicht normal ist, auch wenn er es nicht anders kennt."
Der Ausdruck auf dem Gesicht meiner Mutter verhärtet sich.
"Du übertreibst", entgegnet sie, wobei ihre Stimme langsam eine normalere Lautstärke annimmt.
"Ach so, verstehe. Dann übertreibe ich also, wenn ich sage, dass ich jahrelang immer wieder die Schule geschwänzt habe, um mich um Danny zu kümmern und deshalb in der Schule total abgerutscht bin?! Und alles nur, weil du dich nicht um ihn gekümmert hast?!"
Meine Mutter schluckt, hält meinem Blick aber weiter stand.
"Du weißt genau, dass ich es damals nicht konnte."
"Aber das geht jetzt schon fünf Jahre so!" Ich kann nicht verhindern, dass meine Stimme beginnt etwas zu schrillen. "Es hilft nichts, dass du dich betrinkst! Verdammt, es wird dadurch nur noch schlimmer! Willst du wirklich dein ganzes Leben so verbringen?! Warum kannst du nicht einsehen, dass du Hilfe brauchst?! Warum rufst du nicht deine frühere Therapeutin an und versuchst zumindest ansatzweise, dein Leben zu verbessern?! Wenn schon nicht für dich, dann wenigstens für Danny! Das bist du ihm schuldig! Und mir auch!"
Während ich die Verzweiflung in meiner Stimme nicht mehr verbergen kann, senkt meine Mutter wieder ihren Blick und schaut auf ihre Hände, bevor sie langsam mit dem Kopf schüttelt.
"Ich...ich kann nicht..." Ihre Worte sind nicht mehr als ein Flüstern.
Ich habe das Gefühl, als ob ein schweres Gewicht meine Schultern hinunterzieht, bin aber auch nicht wirklich überrascht.
Warum sollte ein einfacher Streit zwischen uns eine seit fünf Jahren eingefahrene Routine ändern?
Ich schlucke und senke meinen Blick ebenfalls, bevor ich langsam nicke.
"Okay. Ich kann dich nicht zwingen. Aber dann kannst du auch nicht erwarten, dass Danny und ich hier noch länger bleiben und mit ansehen, wie du dich immer mehr kaputt machst."
Das bringt meine Mutter erneut dazu wieder aufzusehen.
"Wie meinst du das?", fragt sie und richtet sich aus ihrer leicht gebeugten Haltung etwas auf.
Ich erwidere ihren Blick ruhig und straffe meine Schultern.
"Sobald ich meinen Abschluss habe und fest bei Xenia arbeite, ziehen Danny und ich hier aus. Bis wir eine Wohnung haben, können wir bestimmt solange bei Xenia unterkommen. Zumindest Danny. Und ich werde auch schon irgendwas finden."
Ich sehe, wie sich der Körper meiner Mutter mehr und mehr verspannt, während sich ihre Lippen zu einem schmalen Strich verformen.
"Du kannst mir Danny nicht einfach wegnehmen", sagt sie und steht langsam, fast schon bedrohlich, von ihrem Stuhl auf.
Unbeeindruckt hebe ich eine Augenbraue. "Glaubst du ernsthaft, dass ich ihn hier bei dir lassen werde?"
"Er ist mein Sohn!"
"Und?"
Verständnislos starrt meine Mutter mich an. "Ein Sohn gehört zu seiner Mutter! Erst recht in diesem Alter!"
"Oh bitte", sage ich abfällig und verdrehe die Augen, "jetzt spiel dich hier nicht als besorgte Mutter auf! Du hast dich doch nie um ihn gekümmert! Du schaffst es ja nicht mal, dich um dich selber zu kümmern! Wahrscheinlich würde innerhalb von einer Woche das Jugendamt hier aufkreuzen, ihn mitnehmen und ins Heim stecken, so wie mich damals!"
Längst verdrängte Erinnerungen flackern in meinem Gedächtnis auf und ich schließe kurz die Augen, um sie wieder zu vergraben.
Aber als ich mich von ihr abwenden will, packt meine Mutter mich am Unterarm und zieht mich unsanft zurück.
"Du weißt, dass das damals ein Unfall war! Ich wollte das nicht! Ich war krank!"
"Und was bist du jetzt?!"
Zu meinem Ärger spüre ich, wie Tränen in meinen Augen aufsteigen, die ich jedoch rasch wegblinzle. Dann ziehe ich mit einer entschlossenen Bewegung meinen Arm aus ihrem Griff.
"Du hast doch keine Ahnung, wie es mir damals ging", sage ich und kann dabei die Bitterkeit in meiner Stimme nicht verbergen. "Nicht ein einziges Mal hast du mich gefragt, wie die Zeit im Heim für mich gewesen ist. Es hat dich nicht interessiert. Und es interessiert dich immer noch nicht. So wie alles, was mich betrifft. Und das ist okay, ich habe mich dran gewöhnt. Aber ich kann dir aus meiner eigenen Erfahrung sagen, dass Danny an diesem Ort kaputt gehen wird. Und er wird dort hinkommen, wenn er hier bei dir bleibt! Deshalb nehme ich Danny mit, wenn ich nach meinem Abschluss hier ausziehe. Und du wirst das nicht verhindern können. Selbst wenn ich das Sorgerecht vor Gericht einklagen muss, Danny bleibt bei mir!"
Während das Gesicht meiner Mutter sich zu einer wutverzerrten Fratze verzogen hat und ihre Kiefermuskeln gefährlich zucken, mustere ich sie noch einmal ruhig und wende mich dann von ihr ab.
"Du verdammtes Miststück!", schreit sie und ich fahre im Türrahmen herum, als ich ein leicht klimperndes Geräusch hinter mir höre.
Gerade noch rechtzeitig sehe ich den Schatten, der auf mich zufliegt und ducke mich hastig, nur um kurz darauf ein schepperndes Geräusch über mir zu hören. Fast zeitgleich fallen vereinzelte Glasscherben auf mich herab, genauso wie eine scharf riechende Flüssigkeit, die sich über meine Haare, meinen Nacken und einen Teil meines Rückens ergießt. Erst da begreife ich, dass meine Mutter in ihrer Wut die halbvolle Kornflasche nach mir geworfen hat, die über mir am Türrahmen zerschellt ist.
Genauso wie damals...
Erneut flackern Erinnerungen von früher in meinem Gedächtnis auf.
Ein leichtes Zittern erfasst meinen Körper und ich stütze mich am Türrahmen ab, als ich mich langsam aufrichte, um in das geschockte Gesicht meiner Mutter zu sehen.
"Lola, ich..." Ihre Augen sind weit aufgerissen und sie hat ihren Mund mit beiden Händen bedeckt. "Entschuldige, ich...i-ich wollte das nicht...i-ich..."
"Lola?"
Dannys Stimme lässt mich zur Seite schauen.
Er hat die Tür zu unserem Zimmer einen Spaltbreit geöffnet und schaut vorsichtig über den Flur in meine Richtung. Als er meinen Blick bemerkt, öffnet er die Tür ein Stück weiter.
"Seid...seid ihr fertig mit streiten?"
Die Angst und Unsicherheit in seiner Stimme lassen mich meine Schultern straffen.
Ich kann mich jetzt nicht in alten Erinnerungen verlieren! Ich muss Danny hier wegbringen!
Ich schaue nochmal zurück zu meiner Mutter, die immer noch neben dem Küchentisch steht und mich mit einer Mischung aus Schock und Reue anstarrt, bevor ich mich umdrehe und zu Danny stürme.
Hastig stoße ich unsere Zimmertür auf, ziehe Danny aus dem Raum raus und schiebe ihn zur Haustür. Zum Glück hat er seine Jacke und seine Schuhe in der Zwischenzeit nicht ausgezogen.
"Was ist los?", fragt er, als ich die Haustür öffne und ihn mit ins Treppenhaus ziehe, "wo gehen wir hin?"
"Weg", sage ich und schließe die Haustür mit einem lauten Knall hinter mir.

Liebe Auf Französisch (Lola & Zoe - Band 1) (girlxgirl; teacherxstudent)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt