# 20

5.6K 319 55
                                    

- Lola -

"Also, wie schlimm ist es?"
"Ich bewundere deinen Optimismus."
Trotz der Ironie in ihrer Stimme lächelt Frau Jacobi mich von der Seite an, während sie die Tür zum Französischraum aufschließt.
Ich erwidere ihr Lächeln und schiebe meine Hände in die Tasche meiner Lederjacke.
"Was soll ich sagen", erwidere ich gedehnt und zucke mit den Schultern, "ich habe viele ungeahnte Fähigkeiten und Talente."
"Oh, davon bin ich überzeugt."
Etwas überrascht blinzle ich mehrfach und hebe die Augenbrauen.
Gestern hätte Frau Jacobi mit Sicherheit keine so schlagfertige Antwort zustande gebracht.
Frau Jacobi scheint ähnlich verblüfft von ihrer Reaktion zu sein, denn sie hält einen Moment inne, bevor sie die Türklinke hinunterdrückt und die Tür aufzieht.
"Aha", sage ich und gehe mit einem amüsierten Grinsen hinter Frau Jacobi in den Klassenraum, bevor ich die Tür hinter uns schließe. "Ich wusste gar nicht, dass sie so sehr an meinen versteckten Begabungen interessiert sind."
"Primär an deinen Begabungen in Französisch", entgegnet Frau Jacobi und stellt ihre Tasche auf das Pult. Trotzdem sehe ich, dass sich wieder die bekannte Röte auf ihre Wangen geschlichen hat.
"Natürlich", entgegne ich, immer noch grinsend, und greife nach einem der Stühle am Nachbartisch.
Während ich den Stuhl zum Pult trage und meine Tasche daneben abstelle, öffnet Frau Jacobi mit einer geschickten Bewegung ihre Tasche. Danach lässt sie ihre Finger über einige Unterlagen darin gleiten, bis sich diese um einen linierten Klausurbogen schließen.
"Voila", sagt sie und zieht mit einem zufriedenen Lächeln das Papier heraus, um es mir kurz darauf entgegenzuhalten, "deine Klausur."
Etwas unschlüssig beiße ich mir auf die Unterlippe, greife dann aber doch nach dem Klausurbogen.
Zu meiner Überraschung weicht Frau Jacobi nicht zurück, als sich dabei unsere Finger kurz berühren.
Erst die schlagfertige Gegenbemerkung und jetzt das.
Aus irgendeinem Grund scheint sie heute etwas entspannter zu sein als in den letzten Tagen. Nicht, dass es mich stören würde...
Ich räuspere mich und mustere den Klausurbogen in meinen Händen.
Normalerweise sind mir meine Noten egal und ich habe bisher auch immer nur so viel für die Schule getan, dass es am Ende für eine Versetzung gereicht hat.
Dass mir das Ergebnis einer Klausur zur Abwechslung mal wichtig ist, ist ein komisches Gefühl. Aber wenn ich ehrlich bin hängt ein Großteil dieses Gefühls damit zusammen, dass ich hoffe, Frau Jacobi mit dem Ergebnis nicht enttäuscht zu haben...
"Traust du dich nicht nachzuschauen?"
Ich schaue auf und sehe, wie Frau Jacobi mich mit einer gehobenen Augenbraue mustert, während sich Neugier und Belustigung in ihren Augen spiegeln.
"Doch, klar. Natürlich. Warum auch nicht?", entgegne ich und straffe meine Schultern, in der Hoffnung die leichte Unsicherheit in meiner Stimme auszugleichen, was mir allerdings nur mittelmäßig gelingt.
"Na, dann kannst du den Klausurbogen ja auch ruhig öffnen", sagt Frau Jacobi, die mit einem feinen Lächeln hinter ihrem Pult hervortritt und einige Schritte vor mir stehen bleibt.
Ich schlucke kurz, senke dann aber doch meinen Blick und blättere die Seiten des Klausurbogens durch.
Auf den ersten Blick sehen die roten Korrekturen am Rand nicht ganz so katastrophal aus wie in meine sonstigen Klausuren, aber das muss ja nichts heißen.
Als ich schließlich auf der letzten von mir beschriebenen Seite angelangt bin und auf die Note und die Punktzahl starre, weiten sich meine Augen.
Das kann nicht sein!
Das ist viel zu...
Langsam hebe ich meinen Kopf wieder und schaue zu Frau Jacobi, auf deren Gesicht sich nun unsichere und besorgte Züge abzeichnen. Dann räuspert sie sich.
"Ich, ähm...also, ich kann verstehen, wenn du dir vielleicht etwas mehr erhofft hast. Aber du darfst nicht vergessen, dass du erst seit ein paar Wochen Nachhilfe bekommst und dich vorher nie großartig mit der Sprache beschäftigt hast, wodurch ich deine Leistung mehr als beeindruckend finde und sehr glücklich mit dem Ergebnis bin. Und ich bin mir auch sicher, dass du in den nächsten Wochen noch mehr Fortschritte machen wirst und dich noch weiter verbessert. Wenn du jetzt also mit deiner Note nicht zufrieden sein solltest..."
"Machen Sie Witze?!", unterbreche ich Frau Jacobi und muss über ihren etwas verwirrten Gesichtsausdruck lachen, während sich ein breites Grinsen über meine Lippen zieht. "So gut war ich noch nie!"
"Oh." Erleichterung macht sich auf Frau Jacobis Gesicht breit und sie lächelt mich ebenfalls an. "Dann bin ich ja beruhigt. Ich hatte schon befürchtet..."
Weiter kommt sie nicht, denn ich trete die wenigen Schritte, die uns noch voneinander trennen, auf sie zu und umarme sie fest, woraufhin sich Frau Jacobis Arme reflexartig um mich legen.
Die Wärme ihres Körpers durchströmt meinen auf angenehme Weise, während der sanfte Duft ihres Parfums meine Sinne benebelt. Ich seufze leicht und schmiege mich noch mehr an sie, um diesen seltenen Moment vollends zu genießen.
Trotzdem weiß ich, dass Frau Jacobi dieser sehr spontane Körperkontakt vermutlich etwas unangenehm ist, weshalb ich meinen Griff etwas lockere, um mich wieder zurückzuziehen.
Doch zu meiner Überraschung umarmt Frau Jacobi mich weiter.
Während ihr einer Arm um meine Taille geschlungen ist und mich fest an sie drückt, wandert ihr anderer Arm langsam über meinen Rücken nach oben, bis ihre Finger schließlich über meinen Nacken gleiten und sich leicht in meinen Haaren vergraben.
Ein wohliger Schauer durchfährt meinen Körper und das sanfte Prickeln auf meiner Haut wird durch ihren Atem an meinem Ohr nur noch verstärkt.
Gleichzeitig spüre ich, wie sich meine Gedanken immer mehr drehen.
Ich schlucke schwer und beiße mir auf die Unterlippe, doch auch das kann nicht verhindern, dass mir ein leichtes Stöhnen entfährt.
Dieses Geräusch lässt Frau Jacobi erstarren.
Auch wenn ich ihr Gesicht nicht sehen kann, spüre ich ihre plötzliche Anspannung, die mit der Erkenntnis einhergeht, in was für einer Situation wir uns gerade befinden.
Langsam, wenn auch etwas widerwillig, löst sie ihre Finger aus meinen Haaren und lockert ihren Griff um meine Taille, bevor sie einen Schritt zurücktritt und mich ansieht.
Ein dunkler Schatten, der mein Herz etwas schneller schlagen lässt, liegt über ihren braunen Augen und ihr Atem ist schwer und unregelmäßig.
Ich scheine nicht viel anders auszusehen, denn Frau Jacobis Blick mustert mich so intensiv, dass die Hitze in meinem Körper noch mehr ansteigt.
Diese Intensität lässt jedoch etwas nach, nachdem Frau Jacobi einen weiteren Schritt zurückgetreten ist und ihren Blick abgewandt hat, um ihre Bluse zurechtrücken.
Für einen Moment bin ich versucht wieder auf sie zuzugehen, aber dann würde sie bestimmt noch weiter zurückweichen. Wahrscheinlich ist sie von ihrer Reaktion genauso überrascht wie ich...
"Nun, ähm...", Frau Jacobi räuspert sich und streicht sich eine Haarsträhne hinters Ohr, "ich...ich denke, wir sollten nun endlich mit der Besprechung deiner Klausur beginnen."
Ich sehe ihr an, wie sehr sie sich bemüht ihre Fassung zu bewahren, während sie zurück zu ihrem Pult geht und sich auf ihren Stuhl setzt.
"Ähm", ich räuspere mich ebenfalls und schaue auf die etwas zerknitterte Klausur in meiner Hand, "ja, klar. Die Besprechung."

Liebe Auf Französisch (Lola & Zoe - Band 1) (girlxgirl; teacherxstudent)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt