# 23

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- Lola -

"Wow, das ist ja ein Palast!"
Ein leichtes Lächeln breitet sich auf meinen Lippen aus, als ich Frau Jacobis Wohnung nach Danny betrete, der den Kopf in den Nacken gelegt hat und sich einmal um sich selbst dreht. Ein breiter Eingangsbereich erstreckt sich vor uns, der mit cremefarbenem Parkettboden ausgelegt ist.
Rechts von uns ist eine breite Garderobe an der Wand befestigt, an denen verschiedene Blazer, Jacken und sogar Mäntel hängen. Darunter sind die verschiedensten Schuhtypen ordentlich nebeneinander aufgereiht, von hochhackigen Pumps bis zu sportlichen Laufschuhen.
Auf der linken Seite hingegen steht eine schmale Kommode, auf der eine Vase mit einem frischen Blumenstrauß platziert ist, während daneben ein Ganzkörperspiegel in einer edlen Rahmenfassung hängt.
Ein Stück weiter mündet der Eingangsbereich in einen langen Flur, von dem wiederum die verschiedenen Räume der Wohnung abgehen, wobei sich am Ende des Flurs der größte Raum zu befinden scheint.
Kein Wunder, dass Danny so beeindruckt ist. Diese Wohnung ist wahrscheinlich doppelt so groß wie unsere. Und doppelt so schön eingerichtet...
Ein leises Klicken lässt mich hinter mich schauen und ich sehe, dass Frau Jacobi die Wohnungstür hinter uns geschlossen hat.
"So, da wären wir", sagt sie und schiebt sich an mir vorbei, um ihre Handtasche neben der Vase auf der Kommode abzustellen, "fühlt euch wie Zuhause."
"Okay!", ruft Danny und will schon loslaufen, um die Wohnung weiter zu erkunden, als ich ihn an der Jacke festhalte.
"Nicht so schnell, Großer", sage ich und sehe ihn mit einer gehobenen Augenbraue an, "erst Jacke und Schuhe ausziehen. Und Hände waschen."
Schmollend schiebt Danny die Unterlippe vor, dreht sich dann aber mit einer geschickten Bewegung, sodass ich kaum einen Moment später seine Jacke in der Hand halte.
"Sehr witzig, Danny", sage ich und verdrehe mit gespieltem Ärger die Augen, während Danny sich mit einem breiten Grinsen auf den Boden setzt, um sich die Schuhe auszuziehen.
Seufzend schaue ich wieder auf und sehe, wie Frau Jacobi mich mit einem warmen Lächeln betrachtet.
Ich schlucke und erwidere das Lächeln kurz, bevor ich mich von ihr wegdrehe, um Dannys Jacke an einem der freien Garderobenhaken aufzuhängen.
Ich würde lügen, wenn ich sage, dass mir die ganze Situation nicht unfassbar unangenehm ist.
Zwar war ich im ersten Moment erleichtert gewesen, als Frau Jacobi mir angeboten hatte, dass Danny und ich mit zu ihr kommen können, aber noch bevor wir an ihrem Auto angekommen sind, habe ich wieder dieses unangenehme Ziehen in meinem Magen gespürt, dass ich auch während unserer Unterhaltung hatte.
Besonders als Danny meinen Streit mit unserer Mutter erwähnt hat.
Insbesondere den Teil mit der Flasche.
Natürlich mache ich ihm keine Vorwürfe, dass er davon gesprochen hat. Er ist schließlich noch ein Kind und versteht mit Sicherheit gar nicht, was er da eigentlich erzählt hat.
Trotzdem wünsche ich mir, dass er es nicht gesagt hätte, denn mir geht seitdem der geschockte, wenn auch mitfühlende Blick von Frau Jacobi nicht mehr aus dem Kopf.
Ich wollte nicht, dass sie davon weiß.
Ich will generell nicht, dass irgendwer davon weiß, aber sie sollte es mit am allerwenigsten wissen.
Mir wäre bestimmt noch irgendeine Ausrede eingefallen, warum meine Haare und meine Jacke nass und verklebt sind. Irgendetwas, nur nicht die Wahrheit...
Ob sie Fragen stellen wird? Über unser Zuhause? Über unsere Mutter?
Was mache ich, wenn sie das Jugendamt informiert? Oder informieren muss? Schließlich haben Lehrer eine Meldepflicht, wenn das Kindeswohl gefährdet ist, was in Dannys Fall definitiv zutreffen würde. Werden sie ihn dann mitnehmen und ins Heim stecken? War dann alles, was ich in den letzten Jahren gemacht und geheimgehalten habe, umsonst?
Und wenn ich ehrlich bin, frage ich mich auch, was Frau Jacobi jetzt von mir denkt.
Wann findet man schließlich schon eine Schülerin von sich an einem Freitagabend zusammen mit ihrem kleinen Bruder auf einem Spielplatz, weil ihre Mutter zuvor im Streit eine Kornflasche nach ihr geworfen hat?
Ich will nicht, dass sie so einen Eindruck von mir hat...
Der sanfte Druck einer Hand auf meiner Schulter lässt mich zusammenzucken und ich sehe, wie Frau Jacobi neben mich an die Garderobe tritt.
"Alles in Ordnung?", fragt sie, während sie mich mit besorgtem Blick mustert.
"Ja, ähm...klar", murmle ich und schaue auf Dannys Jacke, die ich immer noch nicht aufgehangen habe.
Ich hole tief Luft und schüttle etwas den Kopf über mich, bevor ich Dannys Jacke an einen der Haken hänge und meine Schuhe mit einer geübten Bewegung von meinen Füßen streife.
Aus den Augenwinkeln sehe ich, wie Frau Jacobi mich weiter von der Seite mustert und ich zucke erneut zusammen, als sie hinter mich tritt und ihre andere Hand ebenfalls auf meine andere Schulter legt.
"Komm, ich helfe dir."
Vorsichtig zieht sie mir die verklebte Lederjacke von den Schultern und über die Arme, nur um darunter den Blick auf den halbgetrockneten und verklebten Fleck freizugeben, den ich auf dem Rückenbereich meines Oberteils spüre.
Langsam drehe ich mich zu ihr um und sehe, wie Frau Jacobi meine Jacke sorgfältig über ihren Arm legt.
"Wir sollten die am besten gleich waschen", sagt sie und schenkt mir erneut ein warmes Lächeln, während Danny vom Boden aufspringt und seine Schuhe zur Garderobe trägt.
"Okay, bin fertig", sagt er und grinst mich breit an, "wir können Hände waschen gehen."
"Sicher." Frau Jacobi lacht leicht und deutet auf den langen Flur. "Das Bad ist der zweite Raum auf der rechten Seite."
"Alles klar."
Während Danny munter vorausstapft, schaue ich noch einmal zu Frau Jacobi, bevor ich ihm zögernd folge.
Im Bad angekommen weiten sich meine Augen erneut, als mein Blick über die edle Wandverzierung aus weißem und schwarzem Marmor, die Dusche mit der gläsernen Trennwand und die breite Eckbadewanne gleitet.
Langsam komme ich mir wirklich vor wie in einem dieser luxuriösen Möbelkataloge...
Weil Danny nicht ganz an das Waschbecken herankommt, hebe ich ihn unter den Armen hoch und warte, bis er sich die Hände fertig gewaschen hat.
"Ihr beide seid wirklich ein gutes Team."
Ich drehe meinen Kopf zur Seite und sehe, dass Frau Jacobi sich gegen den Türrahmen gelehnt hat und uns mit einer amüsiert hochgezogenen Augenbraue beobachtet. Sie hat sich inzwischen ihre Jacke und ihre Schuhe auch ausgezogen.
"Find ich auch!", ruft Danny fröhlich und strampelt etwas mit den Beinen, um mir zu verstehen zu geben, dass ich ihn wieder runterlassen kann. Rasch trocknet er seine kleinen Hände an einem der Handtücher ab und dreht sich dann wieder zu mir.
"Darf ich jetzt gucken gehen?", fragt er und macht seine Augen so groß und bittend, dass ich etwas lachen muss.
"Na gut, Großer. Aber sei vorsichtig, okay? Nicht, dass du aus Versehen etwas kaputt machst."
"Ich pass auf. Versprochen!"
Mit einem zufriedenen Grinsen und tapsenden Schritten läuft Danny zurück zur Badezimmertür und schiebt sich an Frau Jacobi vorbei, um aus dem Raum zu gelangen.
Ich hingegen drehe mich wieder zum Waschbecken, drücke ein paar Mal auf den Seifenspender und halte meine Hände nach kurzem Verteilen der Seife unter den Wasserstrahl, der anspringt, sobald eine Bewegung unter dem Wasserhahn registriert wird.
"Rückst du ein Stück?"
Ohne Frau Jacobi anzusehen trete ich einen Schritt zur Seite und wasche weiter die Seife von meinen Händen, während Frau Jacobi auf ihren welche verteilt.
Auf der Suche nach Ordnung und Struktur stolpern vereinzelte Gedanken durch meinen Kopf.
Darüber, was meine Mutter getan hat.
Darüber, wie sehr ich mich schäme, dass Frau Jacobi davon erfahren hat.
Und darüber, was ich nur tun soll, wenn Frau Jacobi als Konsequenz das Jugendamt informieren muss...
Ich schlucke schwer und greife nach dem Handtuch, das Danny zuvor auch benutzt hat, und trockne meine Hände gedankenverloren ab.
"Lola?"
Als ich nicht antworte zieht Frau Jacobi mir vorsichtig das Handtuch aus den Händen, trocknet ihre Hände ebenfalls kurz und legt es dann zur Seite.
Ich muss meinen Kopf nicht heben, um zu wissen, dass sie mich wieder mit diesem besorgten Blick betrachtet.
"Lola?"
Als ich immer noch nicht zu ihr schaue, legt Frau Jacobi einen Finger unter mein Kinn und drückt es sanft nach oben, sodass ich sie ansehen muss. Sorge und Mitgefühl zeichnen sich in ihrem Gesicht ab.
"Möchtest du reden?", fragt sie, während sie ihren Finger wieder von meinem Kinn nimmt.
Ich schlucke erneut und schüttle mit dem Kopf, bevor ich erneut zur Seite schaue.
Ich will nicht darüber reden, was passiert ist.
Ich will wissen, ob sie das Jugendamt informiert.
Aber gleichzeitig traue ich mich nicht sie zu fragen.
Was ist, wenn ich sie so auf irgendwelche Gedanken bringe, die sie zuvor gar nicht hatte?
"Das ist okay. Das musst du nicht."
Frau Jacobis Stimme ist leise, fast schon fürsorglich, als sie ihre Hand hebt und mir behutsam über die Wange streicht.
Bevor ich darüber nachdenken kann, schließe ich die Augen und lehne meine Wange noch etwas mehr gegen ihre Hand, wodurch meine Lippen kurz über ihre Handinnenfläche streifen.
Ich höre, wie Frau Jacobi scharf einatmet, aber sie zieht ihre Hand nicht weg.
Erst nach einer Weile ziehe ich mich wieder zurück und öffne die Augen, um zu sehen, dass Frau Jacobi mich mit geröteten Wangen ansieht und es dauert einen Moment, bis sie ihre Hand wieder sinken lässt.
"Wollt...", sie räuspert sich, vermutlich um das Zittern in ihrer Stimme loszuwerden, "wollt ihr vielleicht noch etwas zu Abend essen? Ich könnte etwas bestellen oder..."
"Nein, ist schon okay", unterbreche ich sie und muss zu meiner Überraschung sogar etwas lächeln, obwohl mir nicht danach ist. "Ich bin nicht hungrig und wenn Danny Hunger hat, reicht für ihn ein einfaches Brot. Sie müssen sich nicht noch mehr Umstände wegen uns machen."
"Das sind keine Umstände, Lola", sagt Frau Jacobi und schaut mich eindringlich an, "wirklich nicht. Ich mache das gerne. Und abgesehen davon habe ich ja auch nicht grundlos ein Gästezimmer."
Meine Augen weiten sich. "Das haben Sie hier auch noch?"
"Ja", ein amüsiertes Lächeln umspielt Frau Jacobis Lippen, "du würdest staunen, wie oft Direktorin Berger und ich bei einem gemeinsamen Abend die Zeit vergessen und sie im Anschluss hier übernachtet. Es ist also durchaus praktisch. Und ich glaube auch, dass das Bett breit genug ist, dass Danny und du beide problemlos darin schlafen könnt."
"Verstehe, Sie haben also wirklich einen Palast", murmle ich, woraufhin Frau Jacobi leicht lacht.
"Ich glaube, dafür fehlen mir noch ein paar Räumen und Stockwerke. Und vielleicht noch ein schöner Schlossgarten."
Das bringt mich ebenfalls etwas zum Lachen, bis meine Gedanken wieder die Oberhand gewinnen und ich fühle, wie meine Mundwinkel wieder schwerer werden.
Frau Jacobi scheint es ebenfalls gemerkt zu haben, denn ihr Blick ist wieder etwas besorgter geworden und sie tritt vorsichtig einen Schritt auf mich zu.
"Möchtest du wirklich nicht darüber reden, Lola?"
Ich beiße mir auf die Unterlippe und senke meinen Blick.
Ich will zwar nicht über die Situation mit meiner Mutter sprechen, aber ich muss wissen, was auf Danny und mich zukommt. Vorher habe ich keine Ruhe.
Entschlossen hole ich tief Luft und straffe meine Schultern, bevor ich ausschaue.
"Werden...werden Sie das Jugendamt informieren?"

Liebe Auf Französisch (Lola & Zoe - Band 1) (girlxgirl; teacherxstudent)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt