Die Einsamkeit - Ensomheten
„Was hilft das Glück, wenn's niemand mit uns teilt?
Ein einsam Glück ist eine schwere Last."
(C.D.Grabbe)
~
Bald würde ein Sturm aufziehen.
Das wusste Einar Andersen. So stark wie der Wind jetzt schon wehte, würde es nicht mehr lange dauern. In einiger Entfernung zogen dunkle Wolken herauf, schon fast bedrohlich schwarz.
Mit dem Sturm würde ein heftiger Regen kommen. Kein besonders angenehmes Wetter für die wenigen Fischer, die Einar Andersen heute an der Schäre vorbeifahren sehen hatte. Allerdings ging ihn das nichts an.
Seit sechs Jahren lebte er nun auf Tingelsædet, seit drei Jahren hatte er mit keiner Menschenseele außer sich selbst gesprochen.
Das Leben auf der Schäre war abgeschieden und einsam, aber das gefiel Einar so daran. Er zog die Ruhe und Einsamkeit der Insel dem hektischen Leben auf dem Festland vor. Ihm war es lieber, nur sich selbst um sich zu haben.
Auf Tingelsædet hatte er alles, was er brauchte. Die Insel war teilweise bewaldet, was ihm das Jagen ermöglichte. Über die Jahre hatte er es sogar geschafft, ein paar Pflanzen anzubauen. Er hielt sich mehrere Tiere, Schafe, Hühner, Kühe, ein Pferd und noch ein paar andere. Außerdem hatte er einen kleinen Fischkutter, mit dem er von Zeit zu Zeit fischen gehen konnte.
Sein Holzhaus und die Tiere hielten ihn den ganzen Tag lang beschäftigt. Vielleicht war Einar Andersen einsam. Aber er schaffte es gut, sich davon abzulenken.
Er holte mit der Axt aus und schlug auf das Holzscheit ein. Es zersprang in zwei fast genau gleich große Teile. Das war die viele Übung. Holz hacken war wichtig, um zu überleben.
Im Winter brauchte man Feuer, um sich warm zu halten und im Sommer brauchte man es, um zu kochen. Er hatte zwar eine alte Camping-Kochplatte, aber die benutzte er kaum.
Einar hob die beiden Stücke auf und legte sie in einen Korb. Dann nahm er sich das nächste Holzscheit und spaltete es in kleine Stücke. Er musste sich beeilen. Wenn der Sturm kommen würde, würde es sonst unangenehm kühl werden.
Die ersten Regentropfen fielen schon. Einar seufzte. Es nützte ja doch nichts. Mehr Holz würde er heute nicht klein bekommen. Und das Holz nass werden zu lassen, wäre noch dümmer.
Er spaltete das letzte Holzscheit und trug den halb vollen Korb in sein Haus. Dann räumte er eilig die anderen Holzscheite weg. Zuletzt verstaute er seine Axt in dem kleinen, baufälligen Geräteschuppen, der an sein Haus angrenzte.
Der Regen war inzwischen stärker geworden. Der helle Stein, aus dem die Insel bestand, wurde langsam dunkler durch die dicken, schweren Tropfen, die darauf fielen. Das würde noch eine ungemütliche Nacht werden.
Glücklicherweise begann der Frühling bald und es war nicht mehr ganz so kalt. Im Winter waren die Stürme viel unangenehmer.
Der Himmel hatte sich inzwischen komplett schwarz gefärbt. Einar ging mit schnellen Schritten in sein Haus und schloss die Tür hinter sich.
Er schüttelte seine Haare, die vom Regen nass waren, aus. Der Regen war kein warmer Frühlingsschauer. Das war ein kalter, fast schon eisiger Regen.
Der Wind pfiff durch das kleine Holzhaus. Im Prinzip hatte es nur ein Zimmer. Darin stand ein Tisch mit zwei Stühlen, ein Bett und ein Regal. Das war der hintere Teil des Raumes, der durch ein paar schräge Holzbalken getrennt war.
Im vorderen Bereich stand der Ofen, ein alter Lehnsessel und ein kaputtes Funkgerät. Außerdem hing ein weiteres Regal an der Wand, auf dem Schals, Mützen, Handschuhe, Schlüssel und andere kleinere Dinge lagen.
Dort befand sich auch eine Treppe, die zu einem Dachboden führte. Einar nutzte den Dachboden kaum. Früher kamen manchmal ein paar Fischer vorbei, die dort eine Zeit lang zur Untermiete blieben. Aber seit vier Jahren war niemand mehr gekommen.
Einar hatte ein paar alte Gerätschaften auf den Dachboden geschafft. Außerdem standen dort noch mehrere Schränke und eine kleine Küchennische, die aber schon ewig nicht mehr benutzt wurde.
Als Einar das Haus gekauft hatte, war es ziemlich alt und baufällig. Es war schon knapp 150 Jahre alt. Er hatte es so gut wie möglich wieder aufgepäppelt, aber viel war da nicht zu machen gewesen. Damals war noch der ganze Dachboden mit Heu und Stroh bedeckt gewesen.
Inzwischen hatte Einar das alles in eine Ecke geräumt, um ein wenig Ordnung zu schaffen. Aber eigentlich benutzte er den Dachboden nie.
Nachdem er aus seinen Gedanken wieder in die Realität zurückgekehrt war, zog er seine Schuhe aus und ließ sie einfach vor der Tür stehen. Anfangs hatte er noch alles ordentlich weggeräumt, aber inzwischen war er daran gewöhnt, dass er allein hier lebte. Und dass es niemanden störte, wenn seine Schuhe direkt vor der Tür standen.
Im Haus war es kalt. Das Feuer glühte nur noch schwach im Ofen. Einar legte zwei kleine Holzstückchen in die Glut und hoffte, dass es wieder brennen würde.
Währenddessen zog er seinen nassen Pullover aus und hängte ihn an einer Wäscheleine auf, die hinter seinem Esstisch gespannt war. Aus dem Regal zog er einen anderen Pullover. Es war wirklich kühl und das letzte, was Einar Andersen sich leisten konnte, war eine Erkältung.
Er war zwar abgehärtet – er hatte es sich nicht nehmen lassen, neben einem Bad noch eine kleine Sauna anzubauen -, aber er wollte sein Glück nicht herausfordern.
Der Regen prasselte jetzt unablässig gegen die Fenster. Auch das Pfeifen des Windes wurde stärker. Es klang fast wie ein Heulen.
Einar hatte noch etwas Eintopf vom Mittag übrig. Er würde den Topf nur kurz auf den Ofen stellen müssen, damit das Essen warm werden würde. Das Feuer brannte inzwischen wieder.
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Huset på skjæret - Das Haus auf der Schäre
General FictionEinar Andersen lebt allein auf einer Schäre vor der Küste Norwegens. Er hat seit vier Jahren mit keiner Menschenseele mehr geredet und kümmert sich eigentlich nur um sich und seine Insel. In einer stürmischen Nacht klopft allerdings ein junges Mädch...