Der Vorteil - Fordelen
MACBETH: Ich wage alles, was dem Menschen ziemt;
Wer mehr wagt, der ist keiner.
(Shakespeare; Macbeth; 1. Akt, 7. Szene; Macbeth)
~
Am Frühstückstisch herrschte Stille.
Hedvig und er schwiegen sich an und aßen still ihr Frühstück. Es war eine deutliche Spannung zwischen ihnen zu spüren. Einar wollte mit ihr reden und er merkte, dass sie auch mit ihm reden wollte, aber er fand in seinem Kopf einfach nichts, was er hätte sagen können. Es war alles leer.
Die Stimmung war erdrückend. Jeder von beiden versuchte, so leise wie möglich zu essen. Das ganze Frühstück über sagte niemand etwas. In der Luft hing eine traurige Schwere. Die Wolken draußen hingen nach wie vor am Himmel und drohten mit kalten Schauern. Die Vögel kreischten laut.
Nach dem Essen stand Hedvig auf u8nd räumte den Tisch ab. Einar saß wie gelähmt auf seinem Platz und wartete darauf, dass ihm wenigstens ein paar passende Worte in den Sinn kamen, aber es passierte nichts. Rein gar nichts.
„Brauchst du das Boot heute?", fragte Hedvig schließlich leise. Einar hätte sie fast nicht gehört. Er schüttelte den Kopf.
„Nein. Nein, ich brauche es nicht.", antwortete er und schwieg dann. Er hätte sie fragen können, was sie damit machen wollte, aber er hatte das Gefühl, dass es ihn nichts anging. Andererseits wollte er nicht, dass das Gespräch jetzt schon wieder abriss.
Er sah von der Tischplatte auf. Hedvig stapelte Besteck und Teller auf ihren Arm. Ob sie das schaffen würde? Die Teller auf ihrem Arm machten einen ziemlich wackeligen Eindruck.
„Soll ich dir helfen?", fragte er.
„Nein, danke. Es geht schon.", erwiderte sie ihm und lächelte schnell. Einar stand auf und nahm ihr die Teller aus der Hand.
„Du musst mir nicht helfen. Ich schaffe das schon, Einar.", sagte sie und sah ihn mit einem fragenden Gesichtsausdruck an. Einar ignorierte sie. Er wollte nicht apathisch herumsitzen und die unangenehme Stille über sich ergehen lassen – er musste irgendetwas machen.
„Du bleibst sicher hier, oder?", wollte Hedvig wissen.
„Bitte?"
„Du bleibst sicher hier. Wenn ich heute zum Festland fahre, um nach meiner Wohnung zu suchen."
Sie sah ihn an, als wäre es das logischste auf der Welt. Es war gut möglich, dass es das auch war. Aber für Einar war das plötzlich ein völlig neues Thema.
„Du willst in deine Wohnung gehen?", fragte er nach.
„Ja. Ich hab zwar keinen Schlüssel, aber ich werde sicher irgendeinen Weg finden, um in meine eigene Wohnung einzubrechen. Und wenn ich den nicht finde, dann soll es eben nicht sein.", meinte sie und nahm die restlichen Sachen, die noch auf dem Tisch standen, mit.
„Warum denkst du, dass ich hier bleibe?", wollte Einar wissen. Hedvig zuckte mit den Schultern.
„Ich weiß nicht. Ich dachte nicht, dass es dich interessieren würde. Außerdem musst du dich doch um das Haus kümmern.", erwiderte sie.
„Kennst du dich in Egersund aus?"
Hedvig biss sich auf die Lippe und schaute zur Seite. Einar lächelte. Er hatte einen wunden Punkt getroffen. Das hieß, er war ihr überlegen. Hedvig wurde immer weniger zu einer Bedrohung für ihn. Und das war gut.
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Huset på skjæret - Das Haus auf der Schäre
Fiksi UmumEinar Andersen lebt allein auf einer Schäre vor der Küste Norwegens. Er hat seit vier Jahren mit keiner Menschenseele mehr geredet und kümmert sich eigentlich nur um sich und seine Insel. In einer stürmischen Nacht klopft allerdings ein junges Mädch...