Vergehende Zeit – Gående tid
„[...] Hier nun saß ich lange Wochen;
Kann die Einsamkeit nicht tragen;
Von Erinnrungsweh zerbrochen,
Kann ich länger nicht entsagen.[...]"
(Henrik Ibsen – Auf den Höhen)
~
Mehrere Wochen vergingen ohne besondere Vorfälle.
Einar bemühte sich, so selten wie möglich im Haus zu sein, damit er nicht so viel mit Hedvig zu tun hatte. Er konnte und wollte sich einfach nicht an die Gesellschaft dieser Frau gewöhnen. Bald würde sie sich bestimmt an alles erinnern und zurück zu ihrer Familie gehen. Dann würde er sich erst wieder an die Einsamkeit gewöhnen müssen.
Das gefiel Einar ganz und gar nicht. Er war diese ständigen Veränderungen und Umbrüche leid. Er wollte doch einfach nur seine Ruhe haben – war das etwa zu viel verlangt?
Scheinbar war es das. Hedvig begann, sich langsam einzuleben. Sie kochte. Früh war sie als erstes wach und machte das Frühstück, dann kümmerte sie sich um das Mittag- und das Abendessen.
Sie fischte. Immer wenn Einar mit dem Boot aufs Meer fuhr, war sie dabei. Und man musste ihr lassen, dass sie ihre Sache wirklich gut machte. Was sie sonst den ganzen Tag tat, wusste Einar nicht.
Sie redete nicht darüber und er fragte nicht nach.
Sie schwiegen sich im Allgemeinen viel an. Allerdings schien das weder Hedvig zu stören, noch störte es Einar. Sie wussten nicht viel voneinander. Sie kannten nur ihren Namen und ihr Alter, das war alles. Aber mehr musste man auch nicht wissen, um in ein- und demselben Haus zu leben. Es funktionierte. Sie kamen zurecht.
Auch wenn Einar nie richtig wusste, was sie den ganzen Tag tat. Manchmal hatte er regelrecht Angst, dass sie im Haus herumschnüffeln könnte. Aber da sie nie etwas sagte, sah er keinen Grund, ihr irgendetwas vorzuwerfen. Vielleicht hatte sie seine persönlichen Sachen schon längst gefunden, redete aber nicht darüber.
Von der Schwangerschaft merkte man in den nächsten Wochen kaum etwas. Die Schmerzen hörten auf oder Hedvig hatte einen guten Weg gefunden, sie zu verstecken. Ihr wurde morgens auch nicht übel. Sie aß relativ viel, das war das einzige, woran man es festmachen konnte. Und sie nahm natürlich ein wenig zu.
Sie hatte sich seit ihrer Ankunft an nichts mehr erinnert. Es war nichts wiedergekommen. Einar hatte fast schon die Hoffnung aufgegeben und sich mit dem Gedanken abgefunden, dass sie jetzt immer den Dachboden bewohnen würde.
Aber das sollte sich ändern.
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Huset på skjæret - Das Haus auf der Schäre
General FictionEinar Andersen lebt allein auf einer Schäre vor der Küste Norwegens. Er hat seit vier Jahren mit keiner Menschenseele mehr geredet und kümmert sich eigentlich nur um sich und seine Insel. In einer stürmischen Nacht klopft allerdings ein junges Mädch...