Gefahren - Farer
„Ich kann ein ehrliches Geheimnis bewahren, reiten, laufen, eine kurzweilige Geschichte langweilig erzählen und – eine deutliche Botschaft schlicht bestellen. Wozu ein gewöhnlicher Mensch brauchbar ist, dafür tauge ich, und das Beste an mir ist Fleiß."
(König Lear, Shakespeare, 1.Akt, 4. Szene, Kent)
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Sie stand vor ihm wie ein junger Rekrut.
Ihre Haare waren wieder streng zurückgebunden, ihre Füße standen genau nebeneinander, ihr Rücken war durchgedrückt, die Schultern ein wenig nach hinten gezogen und ihr gesamter Körper angespannt.
„Kann ich dir helfen?", wollte sie wissen. Einar war gerade damit fertig geworden, die Tiere zu füttern. Konnte sie ihm helfen? Wenn er ihr irgendeine unverfängliche und ungefährliche Aufgabe gab, konnte sie wenigstens nicht im Haus alles in Unordnung bringen.
„Du könntest Holz sammeln. Auf der Insel gibt es einen kleinen Wald. Denkst du, du findest den?", erwiderte er.
Hedvig sah ihn fast schon gleichgültig an. Einar war das egal. Er wollt eine Antwort auf seine Frage und bis er die nicht bekommen hatte, würden sie sich eben gegenüberstehen und sich anschweigen.
„Kann ich das Pferd nehmen?", fragte sie.
„Warum?"
„Das geht schneller. Und ich kann mehr transportieren. Vorausgesetzt, du hast Körbe oder Eimer oder etwas in der Art."
Natürlich. Es war logisch. Trotzdem traute Einar ihr nicht. Sie schien zwar hilflos und ungefährlich zu sein, aber man konnte so etwas nie wissen. Das hatte er auf die harte Tour lernen müssen, bevor er in das Haus auf der Schäre zog.
„Bist du überhaupt schon einmal geritten?", wollte er wissen.
„Ich weiß es nicht. So schwer kann es ja nicht sein, oder?", erwiderte sie. Nein, das war es wirklich nicht.
„Na, schön. Du kannst das Pferd schon einmal satteln, während ich nach ein paar ordentlichen Körben suche.", meinte er und ging in Richtung Geräteschuppen. Aus dem Augenwinkel sah er, wie Hedvig Persen mit großen, starken Schritten auf den Stall zulief.
Ob ihre Beine genauso stark waren, wie ihre Arme?
Einar konnte es sich vorstellen. Sie würde sicher auch schwer beladen innerhalb von einer Stunde um die ganze Insel laufen können. Sie war sicherlich eine der Frauen, die man nur allzu leicht unterschätzte.
Machte sie das gefährlich?
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Huset på skjæret - Das Haus auf der Schäre
Ficción GeneralEinar Andersen lebt allein auf einer Schäre vor der Küste Norwegens. Er hat seit vier Jahren mit keiner Menschenseele mehr geredet und kümmert sich eigentlich nur um sich und seine Insel. In einer stürmischen Nacht klopft allerdings ein junges Mädch...