Jagd - Jakt
„Einsam oben auf dem Hügel
An des Felsens Überhang,
An des See's blauem Spiegel
Ruh' ich Stunden, Tage lang.
Über mir das Laub der Bäume,
Um mich heller Frühlingsschein,
Wie in's Feenland der Träume
Schau' ich in den See hinein."
(Ruhe am See, Julius Mosen, 1. und 2. Strophe)
~
„Hell der Himmel ist erleuchtet,
Sonnenstrahlen hin und her,
Frischer Tau den Rasen feuchtet,
Silbern glänzt das Jagdgewehr.
Eine Jagd ist's! Blutig jagend
Eilt der Jäger durch den Wald,
Für das böse Alles wagend,
Mordruf weit und breit erschallt!
Aufgescheucht fliehn junge Rehe
Von dem blut'gen Schauplatz fort,
Doch der Jäger Todesnähe
Eilet nach von Ort zu Ort."
(Friederike Kempner; Die Jagd; Strophen 1-3)
~
Einar Andersen konnte sie beobachten.
Er hatte sich auf die Lauer gelegt, um Vögel zu jagen. Hedvig Persen war vielleicht ein oder zwei Stunden lang in dem Haus geblieben, danach kam sie nach draußen. Sie schaute sich vorsichtig um und ging ein paar vorsichtige Schritte.
Einar bemerkte, dass sie keine Schuhe trug. Sie musste, sie verloren haben, als sie auf Tingelsædet zu geschwommen war. Er musste daran denken, ihr seine Schuhe anzubieten. Sie waren nicht perfekt, aber wenigstens würde sie sich keine Grippe holen und die ganze Sache noch schlimmer machen, als sie schon war.
Sie lief vorsichtig über den kalten Felsen, wurde aber schon bald mutiger und machte größere Schritte. Sie hatte ihren langen, blau-weißen Rock angehoben, sodass ihre Waden zu sehen waren. Einen Moment lang dachte er darüber nach, weg zu schauen, aber wenn sie ihre Beine so zur Schau stellte, musste sie damit rechnen, beobachtet zu werden.
Auf dem Festland mochte das üblich sein, aber sie befand sich auf einer kleinen Schäre. Mit einem Mann, der seit sechs Jahren so gut wie allein lebte. Was erwartete sie denn?
Aus ihren Zöpfen hatten sich ein paar dünne Haarsträhnen gelöst, die im Wind umherflogen. Hedvig war inzwischen bis zum Wasser gelaufen. Sie tunkte vorsichtig ihre Fußspitze in das Wasser.
Einar wusste, dass das Wasser kalt war. Er hatte heute Morgen erst nach seinen Reusen gesehen. Es waren nur ein paar wenige Fische darin. Die würden ein gutes Abendessen geben. Aber die Kälte schien Hedvig nicht zu stören.
Sie setzte sich vorsichtig auf den Fels und hielt ihre Füße ins Wasser. Nachdem sie sich an die Kälte gewöhnt hatte, rutschte sie ein Stück weiter vor, so lange, bis ihre Füße ganz im Wasser baumelten.
Ihren Rock hatte sie bis zu den Knien hochgeschoben.
Einar zwang sich, nicht ihre Beine anzustarren.
Sie schaute eine Weile aufs Meer hinaus, dann schaute sie kurz in die Sonne, blinzelte und legte sich auf den Rücken. Sie schloss die Augen. Wahrscheinlich genoss sie die frühen Sonnenstrahlen.
Einar wandte seinen Blick von ihr ab. Ein paar Meter weiter links tauchte ein Prachtexemplar einer Graugans vor seinem Fernrohr auf. Er beobachtete den Vogel nur einige Sekunden lang.
Dann legte er an und schoss.
Danach folgte ein Aufschrei.
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Huset på skjæret - Das Haus auf der Schäre
Ficção GeralEinar Andersen lebt allein auf einer Schäre vor der Küste Norwegens. Er hat seit vier Jahren mit keiner Menschenseele mehr geredet und kümmert sich eigentlich nur um sich und seine Insel. In einer stürmischen Nacht klopft allerdings ein junges Mädch...