Vertrauen - Tillit

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Vertrauen - Tillit

Was war das? War er wieder in die Stadt gekommen? War er rund gegangen? Nein, er war doch am Ufer gegangen den ganzen Weg. Er fing an zu laufen, er kam wieder zurück. Du liebe Zeit, er war doch immer nur vorwärts gegangen? Ja, gewiß. Und nun lichtete sich der Wald ganz, er sah die Bucht, ja, er kannte sie wieder von früher, an die Inseln erinnerte er sich auch – er war auf dem richtigen Wege.
(Björnstjerne Björnson – På Guds Veje)

~

Die Aufmerksamkeit der kleinen Gruppe lag jetzt auf Einar.
„Ja, wen hast du uns da mitgebracht?", wollte auch Lars wissen. Hedvig lächelte Einar kurz zu, dann sah sie wieder in die Runde.
„Ist er vielleicht der Vater des Kindes?", fragte Anders neugierig.
„Nein, nein, nein, Jungs. Er ist okay, glaubt mir. Das ist Einar Andersen. Ich habe euch doch erzählt, dass ich auf einer Schäre gestrandet bin. Er ist der einzige Mensch, der dort lebt.", antwortete Hedvig schnell.
„Aha. Deswegen ist er vielleicht so schweigsam.", entgegnete Tomas.
„Und warum lebst du dort allein, Kumpel?", wollte Henrik wissen und trank einen Schluck Bier.
„Ich wollte einfach meine Ruhe vor der Menschheit haben. Mehr nicht.", antwortete Einar. Lars begann zu grinsen.
„Oha. Und dann kommt dir Jorunn dazwischen. Das tut mir Leid, mein Freund.", meinte er. Hedvig schlug ihm gegen den Oberarm.
„Au! Sag mal, weißt du eigentlich, was für eine Kraft du hast? Du scheinst das immer wieder zu vergessen!", jammerte er.
„Hedvig...", murmelte Einar vor sich hin. Er konnte sich einfach nicht an den Namen Jorunn gewöhnen. Diese Frau hieß Hedvig und nicht anders. Sie konnte nur Hedvig heißen. Es war der einzige Name, der richtig klang.
„Was sagst du?", fragte Edvard, der bis jetzt fast nichts gesagt hatte.
„Hedvig. Sie... Sie konnte sich nicht mehr an ihren Namen erinnern, also hat sie gesagt, dass ich sie Hedvig nennen soll. Ich habe sie die letzten sechs Monate so genannt, deswegen finde ich es immer noch ungewohnt, dass sie mit Jorunn angesprochen wird.", erwiderte Einar. Edvard schmunzelte.
„Nennst du sie immer noch so?"
„Ja. Immerhin ist sie ja nicht mehr ganz die Alte. Ihr fehlen fast alle Erinnerungen, auch wenn jetzt einige so langsam zurückkommen."
Edvard nickte nur kurz und sah sich in dem Raum um. Hedvig und die anderen Jungs schienen gerade über irgendetwas zu diskutieren, wobei es ziemlich lustig zuging. Einar bekam jedenfalls am Rande viel Gelächter mit.
„Warum trinkst du nichts?", wollte Edvard dann wissen. Einar sah zu Hedvig.
„Ich weiß auch nicht. Vielleicht wegen ihr, aus Solidarität.", antwortete er dann und wandte sich wieder seinem Gesprächspartner zu. Der schüttelte nur den Kopf.
„Jorunn stört so etwas überhaupt nicht. Glaub mir. Wenn sie nichts trinken will, dann schafft sie das auch. Man glaubt es kaum, aber sie hat sich im Griff.", meinte er.
„Ich mache mir nur Sorgen um sie.", sagte Einar. Edvard lächelte wieder.
„Was ist da zwischen euch beiden?", fragte er nach einer kurzen Schweigepause. Einar musste überlegen. Es war verdammt schwierig, das einzuschätzen. Wusste Hedvig, was da zwischen ihnen war? Wahrscheinlich hatte sie selbst keine Ahnung. Aber damit schien es ihr ganz gut zu gehen. Zumindest wirkte sie äußerlich so.
„Ich weiß es selbst nicht so genau.", erwiderte Einar ihm. Edvard nickte nur verstehend und trank einen Schluck Bier.
„Kann ich mir denken. Ich kann es nicht beurteilen, aber ich denke, dass Jorunn – oder Hedvig – ein schwieriges Mädchen ist. Natürlich, man kann gut mit ihr auskommen, aber sie ist eben einfach so grob geschnitzt, dass ich mir eine Beziehung mit ihr kompliziert vorstelle. Aber sie scheint dir wirklich zu vertrauen.", meinte Edvard.
„Tut sie das?", wollte Einar wissen. Er konnte nicht so recht daran glauben. Sie wirkte manchmal einfach so unnahbar, aber im nächsten Moment strahlte sie wieder diese Wärme aus. Eigentlich verbrachte Einar gerne Zeit mit ihr. Zumindest, wenn keine komplizierten Fragen in der Luft lagen.
Aber dass sie ihm vertraute...? Nein, das konnte er sich nicht vorstellen. Er konnte sich nicht vorstellen, dass Hedvig irgendjemandem vertraute, der nicht sie selbst war. Einar hatte gemerkt, dass sie nicht immer so stark war, wie sie wirkte. Aber sie versuchte krampfhaft, daran zu arbeiten. Und dafür konnte sie einfach niemandem vertrauen.

Oder?

„Ja, das tut sie. Sonst wäre sie nicht mit dir hergekommen. Sie wirkt vielleicht sehr selbstsicher, aber ich glaube, dass sie sehr extreme Selbstzweifel hat. Nur zeigt sie das kaum jemandem. Nur den Menschen, denen sie wirklich aus tiefstem Herzen vertraut.", entgegnete Edvard.
Einar starrte schweigend vor sich hin. Er hatte oft mitbekommen, dass sie an sich selbst und an der ganzen Welt zweifelte. Sollte das wirklich heißen, dass sie ihm... vertraute?
Sollte es das heißen?
Oder bildete er sich das nur ein, wie so vieles?
Vielleicht irrte sich Edvard auch. Was, wenn alles gar nicht so war, wie er es ihm sagte. Was, wenn er falsch lag. Vertraute sie ihm trotzdem?
Tat sie es wirklich?
„Du solltest das zu schätzen wissen. Es gibt nicht viele, denen sie so vertraut. Jorunn ist ein tolles Mädchen. Sie tut alles für die Menschen, an denen ihr etwas liegt. Es gibt wenig, das sie nicht tun würde, wenn es wirklich darauf ankäme. Wenn du mit ihr umgehen kannst, ist sie wahrscheinlich das beste Mädchen, das du bekommen kannst. Du solltest das wirklich zu schätzen wissen.", erklärte Edvard.
Einar nickte nur.

Huset på skjæret - Das Haus auf der SchäreWo Geschichten leben. Entdecke jetzt