Ähnlichkeiten - Likhetene
„Die meisten Menschen leben in stiller Verzweiflung. Was man Resignation nennt, ist chronische Verzweiflung."
(H.D. Thoreau, Walden, S. 12)
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Sie saßen sich schweigend gegenüber.
Es hatte sich nichts geändert. Noch nichts. Dasselbe Schweigen, dieselbe angenehme Ruhe. Nein. So angenehm wie sonst war sie heute nicht. Es war mehr eine gespannte Ruhe. Irgendetwas lag in der Luft, das spürte Einar.
Er hatte noch nie einen besonders guten Instinkt gehabt, aber seit Hedvig auf Tingelsædet war, schien er ein Gespür für die Atmosphäre zu bekommen. Wahrscheinlich hatten die sechs Jahre ohne einen anderen Menschen ihm den Rest gegeben. Vielleicht wurde er auch einfach nur verrückt. Wer wusste das schon?
„Was ist los?", wollte Hedvig auf einmal wissen. Einar sah von seinem Teller auf und schaute in ihre besorgten Augen. Grau. Sie erinnerten ihn ein wenig an Sturmwolken. Ironisch, dass gerade ein Sturm sie auf die Insel gebracht hatte.
„Was soll los sein?", erwiderte er verwundert.
„Du grübelst schon den ganzen Tag über irgendetwas nach und du siehst aus, als würdest du bald Kopfschmerzen davon bekommen.", antwortete sie ihm. Einar schüttelte den Kopf.
„Nein, mir geht es gut."
Schweigen. Ein endloses, ewiges, langes Schweigen. Irgendetwas war daran nicht richtig, das wusste Einar, das spürte er. Er konnte nicht gut mit Menschen umgehen, aber selbst er wusste, dass gerade irgendetwas nicht richtig war. Er wusste nur einfach nicht, was. Es wollte ihm nicht einfallen, er kam einfach nicht darauf.
Hedvig legte ihr Besteck zur Seite und sah ihn eindringlich an. Einar hob langsam den Kopf. Ihr Blick war jetzt geradezu stechend, nicht mehr so warm, wie zuvor. Dieser stechende Blick. Einar kannte ihn, aber nicht von Hedvig.
Er zuckte ein wenig zusammen, als er sich daran erinnerte. Hedvigs Blick blieb nicht lange so stechend. Er wurde schnell weicher und wieder so warm wie vorher. Aber gerade eben in diesem einen Moment...
„Einar. Du weißt so gut wie alles über mich. Vielleicht weißt du inzwischen sogar mehr über mich, als ich selbst. Ich glaube, es wird Zeit, dass du mir langsam etwas über dich erzählst.", sagte sie leise. Etwas über sich. Einar sprach nicht gerne über sich und sein Leben. Er dachte nicht gerne daran. Aber wenn er ihr darüber erzählen sollte, würde alles wiederkommen. Eigentlich wollte er das nicht. Aber gleichzeitig wusste er, dass sie Recht hatte.
„Ich rede eigentlich nicht gerne darüber...", begann er vorsichtig, um zu sehen, wie sie reagieren würde.
„Du musst nicht darüber reden. Aber ich würde mich freuen, wenn du es tätest. Meinetwegen kannst du auch einfach damit anfangen, wenn dir danach ist. Ich würde nur irgendwann gerne etwas über den Mann wissen, mit dem ich zusammenlebe. Und der mir und meinem Kind mehr oder weniger das Leben gerettet hat.", sagte sie in einem warmen Tonfall.
Einar nickte. Sie hatte Recht. Er musste ihr davon erzählen. Wenn er nicht mit ihr redete, mit wem denn sonst? Aber jetzt noch nicht. Er brauchte noch Zeit, um sich innerlich darauf vorzubereiten. Eigentlich war es gar nicht so schlimm. Es hätte ihn sehr viel schlimmer treffen können. Aber trotzdem...
„Ich werde dir davon erzählen. Aber nicht jetzt. Vielleicht heute noch. Ich weiß es nicht. Bleibst – bleibst du noch ein bisschen bei mir?", meinte er. Die Frage flüsterte er fast, als wäre es etwas Verbotenes. Hedvig lächelte und legte ihre Hand auf seine.
„Natürlich.", antwortete sie, ließ seine Hand los und begann, das Essen wegzuräumen.
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Huset på skjæret - Das Haus auf der Schäre
General FictionEinar Andersen lebt allein auf einer Schäre vor der Küste Norwegens. Er hat seit vier Jahren mit keiner Menschenseele mehr geredet und kümmert sich eigentlich nur um sich und seine Insel. In einer stürmischen Nacht klopft allerdings ein junges Mädch...