Huset på skjæret - Das Haus auf der Schäre

Hedvig Persen - Hedvig Persen

Hedvig Persen – Hedvig Persen

„Sie war nicht in dem Tal geboren,
Man wußte nicht, woher sie kam,
Und schnell war ihre Spur verloren,
Sobald das Mädchen Abschied nahm."
(Das Mädchen aus der Fremde; F.Schiller; zweite Strophe)
~

Ihre Geschichte war kurz.
„Es klingt vielleicht seltsam, aber ich kann mich wirklich an rein gar nichts erinnern. Ich weiß nur noch, dass ich im Meer war und dass es gestürmt hat. Ich habe einen dunklen Fleck gesehen und habe versucht, ihn durch Schwimmen zu erreichen. Dann bin ich über den Felsen gestolpert und mit letzten Kräften bis zu deinem Haus gelaufen. Danach bin ich umgekippt und jetzt bin ich hier. Viel mehr weiß ich nicht."
Ihre Stimme klang verzweifelt. Trotzdem war sich Einar nicht sicher, ob er ihrer Geschichte glauben konnte. Möglich war es durchaus, aber es wäre schon ein zu großer Zufall, dass so etwas gerade ihm passieren sollte.
„Was weißt du noch?", fragte er.
„Nur ein paar Sachen über mich selbst. Ich weiß, dass ich 23 Jahre alt bin. Mein Nachname ist Persen, daran kann ich mich auch erinnern. Meinen Vornamen weiß ich nicht. Ich weiß nicht, woher ich komme, was ich von Beruf aus mache, ob ich Familie habe oder nicht. Ich weiß gar nichts mehr. Vielleicht kommt es mit der Zeit wieder.", erzählte sie.
Einar nickte und schwieg. Was sollte er jetzt mit diesem Mädchen ohne Gedächtnis anfangen? Er hätte sie natürlich trotzdem wegschicken können. Aber so etwas machte man nicht. Allerdings war ihm auch nicht wohl dabei, sie hier zu behalten.
„Wie soll ich dich dann nennen?", fragte er sie, nachdem er eine Weile nachgedacht hatte. Sie sah ihn konzentriert an.
„Hedvig. Der Name gefällt mir. Hedvig Persen, das klingt doch nicht schlecht, oder?", meinte sie lächelnd.
„Gut.", erwiderte er. Sie schwiegen sich wieder an.
„Du solltest zu einem Arzt gehen.", sagte er dann. Vielleicht würde ihr das ja helfen, sich schneller zu erinnern. Und er würde sie eher loshaben. Sie sagte nichts, sondern schaute nur auf den Boden und trat von einem Fuß auf den anderen.
„Ich habe keine Papiere. Ich habe gar nichts. Wie soll ich da zu einem Arzt gehen? Ich kann gar nichts machen. Ich weiß nicht, wo ich wohne, ich weiß nicht, wer ich bin und ich habe keine Ahnung, wer meine Familie ist.", erwiderte sie und senkte den Blick.
Einar wusste nicht, wie er darauf reagieren sollte. Sie konnte ja nicht einmal einen neuen Personalausweis beantragen, weil sie nicht wusste, wer sie war. Sie hätte jede Frau sein können, die 23 war und mit Nachnamen Persen hieß.
„Tut mir leid.", murmelte er.
„Schon gut. Jetzt weißt du ja alles über mich, was ich dir erzählen kann. Was ist mit dir? Wer bist du?", wollte sie wissen und schaute ihn neugierig an.
„Einar Andersen, 29 Jahre alt. Ich lebe seit sechs Jahren allein auf Tingelsædet. Mehr gibt es nicht über mich zu sagen.", antwortete er knapp. Er sprach nicht gern über sich. Er hatte es noch nie gemocht, im Mittelpunkt zu stehen und wenn es nur um so eine lapidare Vorstellung ging. Er mochte es nicht.
„Es gibt bestimmt viel mehr über dich zu wissen."
„Nein."
„Darf ich noch eine Weile hier bleiben?", fragte sie dann und sah ihn hoffnungsvoll an. Eigentlich wollte er nicht, dass sie noch länger blieb. Aber sie konnte nun einmal nicht weg von hier. Sie musste irgendwo bleiben können. Ohne irgendwelche Papiere und Erinnerungen konnte er sie unmöglich irgendwo absetzen.
„Ja."
„Kann ich mich während der Zeit irgendwie nützlich machen?"
Einar hätte es am besten gefunden, wenn sie sich einfach still in eine Ecke zurückziehen würde und so tun würde, als wäre sie nicht da. Aber das konnte er ihr natürlich nicht sagen.
„Wenn du möchtest, kannst du den Dachboden ein bisschen aufräumen und saubermachen. Dann kannst du von mir aus dort oben schlafen.", sagte er.
Sie nickte dankbar. Er wandte sich zum Gehen. Als er gerade durch die Tür nach draußen gehen wollte, fiel ihm noch etwas ein.
„Du kannst dir natürlich auch die Insel anschauen, wenn du möchtest. Fühl dich frei, überallhin zu gehen, wohin du möchtest."