Annäherung - Tilnærmelse

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Annäherung - Tilnærmelse

„Den größten Teil dessen, was meine Nachbarn gutheißen, halte ich insgeheim für schlecht. Und wenn ich irgend etwas bereue, so höchstwahrscheinlich mein anständiges Betragen. Welcher Dämon trieb mich, dass ich mich so wohllöblich benahm? Du magst mir die größte Weisheit sagen, du Alter, der du siebzig Jahre nicht ohne eine gewisse Würde gelebt hast. Ich höre eine unwiderstehliche Stimme, die mich von all dem wegführt. Eine Generation verläßt die Unternehmungen der andern wie ein gestrandetes Schiff."
(H.D. Thoreau, Walden, S. 14 f.)

~

Das Haus kam Einar noch immer wie ein Hochsicherheitstrakt vor.
Der Eisenzaun, die Überwachungskameras, die Alarmanlagen, die überall installiert wurden. Fehlten nur noch Wachmänner, aber auf diese Idee waren seine Eltern zum Glück noch nicht gekommen. Zugetraut hätte er es ihnen.
„Wow.", sagte Hedvig, die neben ihm stand. Sie schaute das Anwesen mit großen Augen an. Wahrscheinlich war sie noch nie auch nur in der Nähe eines so riesigen Hauses gewesen.
„Es ist groß, ich weiß. Ich fand es immer viel zu groß.", erwiderte Einar. Hedvig nickte.
„Es wirkt irgendwie ziemlich kalt. So ein riesiger grau-weißer Kasten mit einem hohen Zaun und Kameras überall. Das kommt mir eher wie eine geschlossene Anstalt vor oder wie der Hochsicherheitstrakt eines Gefängnisses.", meinte sie dann. Einar nickte. Er schaute zu der Klingel. Vielleicht war es die falsche Entscheidung.
Aber das war jetzt egal. Der Klingelknopf war gedrückt. Bald würde jemand auf einen Bildschirm schauen und ihn vor der Tür stehen sehen. Würden sie aufmachen? Was, wenn sie ihm die Tür nicht öffnen würden?
Dann konnte er wohl nichts machen. Dann wollten sie ihn nicht wiedersehen. Aber das konnte Einar sich nicht vorstellen. Sie hatten ihre Differenzen gehabt, große Differenzen sogar, aber es war nicht so schlimm, dass sie nicht mehr miteinander sprechen würden. Zumindest glaubte Einar das. Er wusste nicht, wie seine Eltern das sahen.
Das große, schwere Eisentor öffnete sich automatisch. Hedvig sog die Luft tief ein und atmete sie mit geschlossenen Augen geräuschvoll wieder aus. Sie war nervös.
„Es wird schon. Keine Angst.", meinte Einar und drückte ihre Hand.
Sie gingen zusammen den Weg bis zum Eingang der Villa. Die Tür stand offen und in der Tür stand eine blonde Frau. Ihr Gesicht hatte kaum Falten, dafür sah es auch sehr künstlich aus. Beim Näherkommen konnte man eine dicke Schicht Make-Up erkennen. Ihre Haare waren schulterlang und leicht gewellt.
Sie schaute skeptisch zu Einar und Hedvig. Allerdings schien sie ihre Aufmerksamkeit eher auf Einar zu richten. Es schien, als würde sie nicht wirklich glauben, dass er es war. Einar bekam ein immer mulmigeres Gefühl. Die Frau in der Tür war seine Mutter.
„Einar? Bist du das wirklich?", wollte sie wissen. Einar nickte nur. Seine Mutter kam die Stufen zu ihm heruntergelaufen und umarmte ihn.
„Du bist wieder da! Ich freue mich so, dass du wieder da bist!", rief sie aus und schloss die Augen. Im Gang des Hauses war ein Mann zu erkennen. Er hatte einen neutralen Gesichtsausdruck, obwohl es den Anschein hatte, dass er versuchte, zu lächeln.
„Der verlorene Sohn ist also zurück."

Huset på skjæret - Das Haus auf der SchäreWo Geschichten leben. Entdecke jetzt