Umstände - Besvær
„Wer ohne Brot ist, sollte ohne Kinder sein."
(Norwegisches Sprichwort)
~
Sie weigerte sich standhaft, zu einem Arzt zu gehen.
„Ich will nicht dort hin. Bitte, es ist bestimmt nichts Schlimmes!", sagte sie immer wieder. Einar ignorierte sie geflissentlich und packte weiterhin die Sachen zusammen, die er brauchte, um zum Festland zu fahren.
Vielleicht würde es ihm sogar gut tun, seine alte Heimat wiederzusehen. Außerdem konnte er ein paar Dinge kaufen, die er dringend brauchte. Das Mehl zum Brot backen war ihm schon vor Jahren ausgegangen. Und er hatte auch nicht mehr viel von dem angesetzten Schnaps übrig. Solche Dinge brauchte man manchmal auf einer einsamen Schäre.
„Einar, bitte. Hör mir doch zu. Es geht mir schon wieder gut. Mir war nur jetzt am Morgen nicht so gut.", protestierte sie weiter. Einar drehte sich ruckartig zu ihr um.
„Warum willst du auf keinen Fall zum Arzt gehen? Warum wehrst du dich so dagegen? Wahrscheinlich hast du mich die ganze Zeit über angelogen. In Wirklichkeit hast du irgendwelchen Mist gebaut. So ist es doch, oder?", fragte er in einem bissigen Tonfall. Ihre grau-blauen Augen blickten ihn verzweifelt an. Sie schüttelte den Kopf, sah aber ein wenig erschrocken aus. Hatte er irgendeinen wunden Punkt getroffen?
„Nein! So ist es nicht, Einar, ich,..."
„Nicht? Dann ist das gut für dich. Und wenn du mich doch anlügst, dann werde ich das wohl heute noch herausfinden.", erwiderte er und sah sie mit einer stummen Aufforderung an.
„Nein, ich habe dir gesagt, dass ich nicht zum Arzt gehen werde.", meinte sie stur. Einar nickte.
„Gut."
Er begann, das Boot klarzumachen.
„Was soll das jetzt heißen? Gut?", wollte sie aufgebracht wissen.
„Ich habe das zur Kenntnis genommen. Aber es ist mir egal.", antwortete Einar. Mit diesen Worten hob er sie auf seine Arme und setzte sie über die Bordwand unsanft auf die harten Holzplanken.
Sie keuchte vor Schmerz kurz auf und hielt sich den Rücken, dann stand sie jedoch sofort wieder auf und sah Einar herausfordernd an.
„Was soll das?", fragte sie ihn. Es gab jetzt sowieso kein Zurück mehr.
„Ich bringe dich ans Festland. Du gehst zu einem Arzt. Ich gehe in der Zwischenzeit ein paar Sachen kaufen. Du brauchst auch ein paar Sachen, die du anziehen kannst. Dann treffen wir uns wieder am Boot und fahren zurück.", erklärte er ihr seinen Plan knapp. Dass er sich mal wieder bei seiner Familie blicken lassen würde, verschwieg er ihr. Sie würde nur Fragen stellen.
„Was, wenn ich nicht zurückkomme?", fragte sie trotzig.
„Dann soll es mir auch recht sein.", erwiderte Einar. Sie würde zurückkommen, wenn sie sich wirklich an nichts erinnern konnte.
Wo sollte sie denn sonst hin?
Sie lehnte an der Bordwand und hatte ihm den Rücken zugewandt. Wahrscheinlich sah sie aufs Meer hinaus.
Ob sie sich alles gekauft hatte, was sie brauchte? Einar hatte ihr genügend Geld gegeben, damit sie sich irgendwo etwas besorgen konnte.
„Hedvig?", fragte er vorsichtig. Sie drehte sich um. Ihre Augenränder waren leicht gerötet. Sie musste geweint haben. Ihr Blick war kühl.
„Was ist?", erwiderte sie. Sie sah ihn an, aber ihr Blick schien durch ihn hindurchzugehen. Fast, als würde sie auf die Stadt schauen, als würde sie ihn nicht erkennen.
„Wie ist es gelaufen? Hast du alles gekauft, was du brauchst?"
„Ja. Dein restliches Geld habe ich unten hingelegt."
„Warst du beim Arzt?"
„Ja."
„Und?"
„Ich bin schwanger."
Sie war schwanger.
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Huset på skjæret - Das Haus auf der Schäre
Aktuelle LiteraturEinar Andersen lebt allein auf einer Schäre vor der Küste Norwegens. Er hat seit vier Jahren mit keiner Menschenseele mehr geredet und kümmert sich eigentlich nur um sich und seine Insel. In einer stürmischen Nacht klopft allerdings ein junges Mädch...