Erschrocken - Redd

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Erschrocken - Redd

„Aus einer Wolke fiel
ein Vogel
war so still,
eben er noch flog
war so jung,
kunstvoll und erhaben
die Heimat in der Luft
die will ihn nicht mehr tragen,
und wo er einst gewohnt
da hat ihn eingeholt
im letzten Fall-
der Tod."
(Stefan Ziegler; Der Vogel)

~

Sie kam ihm auf halber Strecke entgegen.
„Was war das?", rief sie ihm aufgebracht entgegen. Er deutete auf ihre Füße.
„Du solltest dir Schuhe anziehen. Der Boden ist noch kühl.", sagte er nur und versuchte, an ihr vorbeizukommen, aber sie blockierte seinen Weg.
„Was war das?", wiederholte sie.
„Das Abendessen für morgen.", grummelte Einar und schob sie zur Seite. Vielleicht war er ein wenig grob. Aber es war die einzige Möglichkeit, an ihr vorbei zu kommen.
„Was?"
„Eine Graugans. Wir müssen sie ein bisschen ausbluten lassen, dann können wir sie morgen oder übermorgen essen.", erwiderte er. Sie blieb stehen und ließ ihn gehen.
Einar hob den Vogel auf und nahm ihn mit zu seinem Schuppen. Hedvig folgte ihm mit einigem Abstand. Bevor er die Tür zu dem Schuppen öffnete, drehte er sich um.
„Du wirst dich daran gewöhnen müssen. Wir brauchen etwas zu Essen und Pflanzen wachsen auf diesem Felsbrocken nun einmal sehr wenige.", meinte er in einem rauen Tonfall. Er wusste nicht, warum er so verärgert war. Vielleicht, weil sie ihn mit dem Schrei erschreckt hatte. Für einen Moment hatte er an sich gezweifelt. Er hatte schon fast geglaubt, er habe aus Versehen sie getroffen, anstatt den Vogel.
„Das weiß ich.", erwiderte sie.
„Warum bist du dann so aufgebracht?"
„Du hast mich erschreckt."
„Und du hast mich erschreckt!"
Sie zuckte zusammen, als er das so laut sagte. Sie senkte den Blick und schaute betrübt zu Boden. Jetzt tat es Einar auf einmal leid. Warum war das vorher nicht so gewesen? Es wurde Zeit, dass dieses Mädchen von der Insel verschwand.
„Entschuldige.", sagte sie leise. Dann drehte sie sich um und verschwand eilig im Haus. Einar seufzte leise auf.
„Ich weiß, warum ich so abgeschieden lebe...", murmelte er ein wenig verärgert vor sich hin. Dann ging er in den Geräteschuppen. Er musste der Gans den Kopf abschlagen und sie dann ein paar Tage aufhängen, um sie ordentlich ausbluten zu lassen. Er hatte dafür eigens eine Ecke eingerichtet.
Er wollte nicht, dass der gesamte Schuppen aussah, wie ein Schlachthaus. Es reichte, wenn nur ein kleiner Bereich blutbeschmiert war.
Einar legte den Vogel auf einen Holzstumpf und griff nach seiner Axt. Mit einem ordentlichen Hieb hatte er dem Tier den Kopf abgeschlagen.

Huset på skjæret - Das Haus auf der SchäreWo Geschichten leben. Entdecke jetzt