Gewitter - Tordenvær
Man kann nicht wählen, wann man lieben wird.
(Norwegisches Sprichwort)
~
Es war wirklich sehr warm unter der Decke.
Es war eine relativ kleine Decke, deswegen mussten Einar und Hedvig ziemlich nahe zusammenrücken. Trotzdem hielten sie den größtmöglichen Abstand voneinander. Es regnete noch immer stark und inzwischen hatte es sogar angefangen, zu gewittern.
„Ich mag Gewitter, vor allem nachts.", sagte Hedvig und nahm einen Schluck Tee. Sie hatte ihre Haare immer noch geflochten. Einar wollte schon fast fragen, ob sie mit den Zöpfen schlief, hatte es dann aber bleiben lassen.
„Warum?", wollte Einar wissen. Es war mehr eine obligatorische Frage, nur um das Schweigen zu überbrücken. Inzwischen hatten sie sich an längeres Schweigen gewöhnt. Es war nicht mehr so seltsam, nicht mehr so unangenehm. Im Gegenteil, eigentlich fand Einar das Schweigen zwischen ihnen beiden inzwischen recht angenehm.
Er mochte es, sich Gedanken darüber zu machen, was Hedvig im Moment gerade denken mochte, was ihre Geschichte sein könnte oder ganz einfach darüber, ob es nun gut oder schlecht war, dass sie hier war.
„Sie haben etwas Romantisches an sich, nicht? Also, solange man im Trockenen sitzt, natürlich. Und es hat etwas Mächtiges und Kraftvolles. Ich mag das Gefühl, der Natur ein bisschen ausgeliefert zu sein.", erklärte sie und trank den letzten Rest Tee in ihrer Tasse aus.
„Das stimmt.", meinte Einar. Am Anfang hatte er sich noch schlecht gefühlt, weil er immer so einsilbig auf ihre Fragen geantwortet hatte. Inzwischen hatte er mitbekommen, dass es sie ganz und gar nicht störte. Sie schien froh zu sein, wenn er überhaupt mit ihr redete.
„Bist du deswegen auf die Insel gezogen?", wollte sie wissen. Das war etwas, was Einar störte. Sie fragte immer wieder einmal nach seiner Vergangenheit. Sie versuchte, das Thema vorsichtig anzugehen. Er redete nun einmal nicht gerne über sich und sein Leben. Aber ihm war auch klar, dass er nicht so lange darum herumkommen würde.
„Teilweise. Eigentlich mochte ich die Natur schon seit ich klein war.", antwortete er. Hedvig schwieg und lehnte sich mit geschlossenen Augen an die Holzwand hinter sich. Einar beobachtete sie eine Weile. Sie sah erschöpft aus. Ihre Haut hatte von der vielen Sonne in den letzten Tagen einen ganz leichten Braunton abbekommen.
Sie sah müde und erschöpft aus. Würde sie jetzt einfach so einschlafen? Sollte er sie vielleicht fragen, ob er gehen sollte, damit sie in Ruhe schlafen konnte?
„Danke.", hörte er sie verschlafen sagen. Er sah sie noch einmal an. Sie hatte die Augen immer noch geschlossen.
„Wofür?", fragte er verwirrt.
„Dass du mir etwas aus deiner Vergangenheit erzählt hast. Danke. Das hast du vorher noch nie gemacht.", antwortete sie und öffnete nur ein Auge, um ihn anzusehen.
„Willst du schlafen?"
„Früher oder später schlafe ich sowieso ein, schätze ich.", meinte sie mit einem leichten Lächeln.
„Ich meine, soll ich nach unten gehen, damit du deine Ruhe hast?", fragte Einar erneut. Sie schüttelte den Kopf.
„Bleib ruhig hier oben. Du störst mich nicht beim Schlafen.", sagte sie. Eine Zeit lang schwiegen die beiden. Hedvig hatte ihre Augen wieder geschlossen.
„Du könntest mir aber mal mein Kissen geben, das wäre nett.", fügte sie dann noch hinzu. Einar nickte und reichte ihr das Kissen.
„Danke.", meinte sie, rutschte ein Stückchen tiefer und legte sich auf die Seite, um zu schlafen. Einar sah auf seine Tasse Tee und dann auf Hedvig.
Vielleicht würde er ja auch hier bleiben.
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Huset på skjæret - Das Haus auf der Schäre
Fiction généraleEinar Andersen lebt allein auf einer Schäre vor der Küste Norwegens. Er hat seit vier Jahren mit keiner Menschenseele mehr geredet und kümmert sich eigentlich nur um sich und seine Insel. In einer stürmischen Nacht klopft allerdings ein junges Mädch...