Der Kloss

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Drei Tage war ich nun hier unten und hatte kein Essen bekommen. Einmal öffnete sich die Tür und eine schmale Hand mit einem Becher mit Wasser kam zum Vorschein. Als ich erkannte, dass es die Frau war, welche mir die Haare geflochten hatte, wollte ich sie ansprechen. Doch sie legte schnell den Zeigefinger an die Lippen, um mir zu verstehen zu geben, dass ich leise sein sollte. Offenbar hatte sie sich zu mir geschlichen, um mir wenigstens ein bisschen Wasser zu bringen. Gegen die Anweisung versteht sich.
Dankbar lächelte ich sie an und sie verschwand mit einem kleinen Nicken wieder.

Ich war völlig erschöpft und suchte verzweifelt einen Ausweg aus diesem Loch.
Doch mein letztes bisschen Kraft wollte ich nicht verschwenden, indem ich versuchte an das kleine Fenster, hoch oben zu gelangen.
Das Wasser, welches mir die Frau gebracht hatte, war zu weit weg, denn ich war wieder an der Wand angekettet.
Ich hatte alles versucht, um nur in die Nähe des Bechers zu gelangen. Aber nichts half.
Ich kriegte ihn um 10 Zentimeter nicht zu fassen. Frustriert schrie ich auf und schlug die Hände mit letzter Kraft auf den Boden, doch niemand hörte mich.
Tränen bildeten sich in meinen Augen und ich setzte alles daran, sie nicht zu verschwenden.

Nur keine Flüssigkeit rauslassen. Du brauchst sie noch.

Die Tränen erfolgreich unterdrückt, blinzelte ich noch ein paar mal, um meine Sicht zu klären.
Gerade als ich mich wieder in meine "Lieblingsecke" verkriechen wollte, sah ich, dass sich etwas im Raum anders war. Mit zusammengekniffenen Augen suchte ich jeden Millimeter ab, um zu finden, was sich geändert hatte.
Mein Blick blieb am Becher hängen.

Der Becher! Aber wie?

Er stand 10 Zentimeter näher bei mir, als noch kurz vorher.
Schnell hastete ich hin und hob ihn mit Bedacht auf. Ich wollte nicht, dass ich auch nur das kleinste Tröpfchen verschüttete.
Vorsichtig führte ich ihn zu meinem Mund und ich nippte zögerlich daran.
Sofort hatte mein Körper das Verlangen nach mehr und in Nullkomanichts war der Becher leer.
Ein bisschen traurig schaute ich in den Becher hinein, in der Hoffnung er würde sich wieder füllen. Dem war nicht so.

Das wäre auch zu schön gewesen.

Ich versteckte den Becher hinter einem losen Stein und lehnte mich mit dem Rücken an die Wand.
Den Kopf legte ich nah hinten und schloss die Augen. Die körperliche Erschöpfung übermannte mich und ich fiel in den Schlaf.

„Sophie.. Sophie.", flüsterte eine Stimme immer wieder. Ich riss die Augen auf, um nachzusehen, wer das war, aber ich konnte nichts erkennen. Es musste Nacht sein, denn hier unten war es noch dunkler als zuvor und ich konnte noch kaum meine Hände vor dem Gesicht sehen.
Ich schüttelte meinen Kopf um mich zu besinnen.

Ich bin alleine hier, wieso also sollte jemand meinen Namen flüstern.

Meine Paranoia liess aber nicht nach und ich konnte schwören, dass ich ein Flüstern hörte.

Na toll, jetzt ist es definitiv. Meine Damen und Herren, Sophie White hat einen Dachschaden.

Ich verdrehte die Augen und legte mich auf die Seite, zusammengerollt wie ein Embryo.
Das Flüstern in meinem Kopf hörte leider nicht auf und ich wurde halb wahnsinnig, bis endlich die Sonne aufging und ich wieder den ganzen Raum sehen konnte. Ich schaute mich um, konnte aber niemanden entdecken.

Na siehst du. Niemand da.

Vor lauter Langeweile hatte ich schon abgefangen Selbstgespräche zu führen. Zum Glück fanden diese noch nur in meinem Kopf statt.
In diesen Momenten der Einsamkeit switchten meine Gedanken öfters mal zu Brian.
Wie es ihm wohl geht? Vermisst er mich? Sucht er nach mir? Hat er überhaupt bemerkt, was mit mir passiert ist?
Das waren meine Sorgen, wenn ich anfing an ihn zu denken, aber diese Fragen wurden bald ersetzt durch andere.
Warum hat er mir nicht von James erzählt?
Steckt er mit ihm unter einer Decke? Hat er mich die ganze Zeit belogen?
Warum wollte er mir helfen, wenn er mich hintergeht?
Durch all diese Fragen brummte mir der Kopf und ich wechselte wieder zu meinen Selbstgesprächen.
Heute jedoch hatte ich ein anderes Programm.
Ein Käfer krabbelte seelenruhig über den Boden, quer durch den Raum.
Lange beobachtete ich ihn und fragte mich sogar, was ihm wohl durch den Kopf ging.
Kurz vor meinem Fuss hielt er inne, breitete seine Flügel aus und flog davon.

White WolveWo Geschichten leben. Entdecke jetzt