𝐊𝐀𝐏𝐈𝐓𝐄𝐋 𝟗𝟎

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Es dauerte lange - sehr lange -, bis ich meine Angst wieder soweit unter Kontrolle hatte, dass mein Körper aufhörte zu zittern,  die Tränen, die unaufhörlich über meine Wangen rannen, langsam versiegten und meine Brust begann, sich ruhiger zu hebe...

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Es dauerte lange - sehr lange -, bis ich meine Angst wieder soweit unter Kontrolle hatte, dass mein Körper aufhörte zu zittern,  die Tränen, die unaufhörlich über meine Wangen rannen, langsam versiegten und meine Brust begann, sich ruhiger zu heben und zu senken. 

Noch länger dauerte es, die verkrampfte Haltung aufzugeben und nicht mehr wie ein in die Enge getriebenes, verletztes Tier auf dem Boden zu kauern und den Blick starr nach unten zu richten. 

Aber irgendwann - nach einer Menge beruhigender Worte und Versicherungen, dass alles gut werden würde - hob ich schließlich den Kopf und fuhr mir mit dem Ärmel über die rotgeränderten Augen, um die Überreste der Tränen fortzuwischen. 

"Tschuldige...", murmelte ich und wich ganz bewusst seinem Blick aus, denn das Mitleid darin war das Letzte, was ich jetzt gebrauchen konnte. "...ich wollte dich nicht wecken und mit irgendwelchen idiotischen Ängsten voll jammern!" 

Ein Schnauben war zu hören und als ich für einen Wimpernschlag lang zu ihm hinüberblickte, konnte ich erkennen, dass er das Gesicht vor Wut und Ungläubigkeit verzogen hatte. 

"Ist das gerade dein Ernst?!" fragte er und bemühte sich dabei ganz offensichtlich, den Zorn aus seiner Stimme zu verbannen, um mir keinen weiteren Grund zum Fürchten zu geben und meine angeknackste Psyche zu schonen.  

Ich ging nicht auf seine Worte ein, sondern senkte nur den Kopf und starrte schweigend auf den Boden, was ihm aber Antwort genug zu sein schien schien. 

"Du musst dich doch für... f-für sowas  nicht entschuldigen, verdammt! Jeder würde durchdrehen, wenn er auch nur ansatzweise  das durchgemacht hätte, was du durchgemacht hast!" 

"Ach ja...?", wollte ich nun ebenfalls leicht angesäuert wissen und funkelte ihn an - wie schnell die Gefühle eines Menschen, der bis vor wenigen Tagen noch eine gefühlskalte Killer-Maschine gewesen war, doch wechseln konnten. "...und warum liegst du dann nicht auf dem Boden und stellst dich an, als würde dir jemand eine Waffe an den Kopf drücken? Warum heulst du dir nicht die Augen aus dem Kopf, hm?!" 

Seine angespannten Gesichtszüge entspannten sich und ein - täuschte ich mich? - stolzes, bewunderndes Lächeln umspielte seine Lippen. 

"Weil ich nicht halb so viel durchstehen musste wie du!" 

Verwirrt sah ich ihn an. 

"Was zur Hölle meinst du?" meine Stimme klang noch immer belegt und kaputt, aber das interessierte mich im Augenblick herzlich wenig. 

Denn entweder ich hatte mich verhört - nicht unbedingt unwahrscheinlich bei dem Sturm um uns herum - oder er hatte gerade ernsthaft behauptet, dass ich mehr wegstecken musste als er, was völliger Blödsinn wäre. 

"Überleg doch mal...", meinte er und rutschte so nah an mich heran, wie es nur möglich war ohne mich zu berühren. "...bei den ganzen Aufträgen, die schief gelaufen sind, warst immer du diejenige, die verletzt wurde, nicht ich und wenn Hydra uns für irgendwas bestrafen wollte, haben sie immer dir weh getan, nicht mir!" 

Eine Mischung aus Schuld und Bedauern spiegelte sich in seinen Augen wieder, als er weiter sprach. 

"Bei der ersten Mission, die wir vermasselt haben, bei dem Geschäftsessen mit Henry Banks, erinnerst du dich? Da hast du dir den halben Bauch mit dieser Scherbe aufgerissen und als wir aus dem Fenster gesprungen sind..." 

"Da hast du dich wie ein bescheuertes Polster zwischen mich und den Boden geworfen! Das hat viel mehr weh getan als dieser winzige Splitter!" unterbrach ich ihn, doch er beachtete meinen Einwand nicht weiter und tat ihn nur mit einem "jaja, kann sein" ab. 

"Der Professor hat dich als Strafe dafür zusammenschlagen lassen, während ich keinen Kratzer abbekommen habe!" fuhr er fort, aber erneut fiel ich ihm ins Wort. 

"Die haben dir nur nichts getan, weil du völlig am Ende warst! Du hättest keine zwei Schläge wegstecken können, weil du dir bei dieser grandiosen Bruchlandung den halben Körper zerquetschst hast, erinnerst du  dich?!" 

Für einige Sekunden musterte er mich nachdenklich, als müsse er entscheiden, ob das, was ich sagte, der Wahrheit entsprach oder frei erfunden war. 

"Wie auch immer..." sagte er schließlich mit einem Schulterzucken, was wohl bedeutete, dass er mir nicht glaubte oder aber, dass es ihm egal war. "...als wir diesen Mann in den Bergen töten sollten, war nicht ich derjenige, der ein Geröllfeld runter gefallen und fast ertrunken ist, sondern du!" 

"Mag ja sein, aber du hast mich gerettet!" protestierte ich. 

"Darum geht es aber gerade nicht!" erwiderte er und rief mir damit ins Gedächtnis, dass wir darüber diskutierten, wer von uns beiden mehr Wehwehchen erlitten hatte, nicht darüber, wer wem wie oft das Leben gerettet hatte - wobei ich mir sicher war, dass er bei dieser Diskussion haushoch gewinnen würde. 

"Du hast immer, immer  die wirklich schlimmen Sachen abgekriegt und nicht ich! Hydra hat mich dazu gebracht dich anzugreifen und beinahe zu töten, nicht anders herum! Du bist auf dem Highway von dem Wagen geschleudert worden, du hast Rogers Schild an den Kopf bekommen, du bist fast verblutet, du bist gestorben und wurdest wiederbelebt! DU, NICHT ICH!" 

Mit großen Augen starrte ich ihn an. 

Sein Atem hatte sich beschleunigt und kam nun stoßweise, er hatte die unverletzte Hand gehoben und war sich damit ungehalten durch die Haare gefahren, sodass sie nun in alle Richtungen abstanden und in seinem Gesicht zeichneten sich Wut und Verzweiflung ab. 

So einen Ausbruch hatte ich nicht erwartet - er vermutlich genau so wenig - aber auf eine seltsame, verkorkste Art und Weise beruhigte mich dieses Emotionschaos seinerseits mehr, als all die besänftigenden Worte es getan hatten. 

"Ich bin immer nur der verdammte Idiot gewesen, der zu schwach, zu langsam oder zu dumm war um dich zu beschützen!" seine Stimme war nun überhaupt nicht mehr laut und auch nicht mehr wütend, sondern leise und gebrochen. 

Der Blick, den er mir aus seinen blau-grauen Augen zuwarf, war so voller Selbsthass und Reue, dass ich gar nicht anders konnte, als mich sofort mit einem ganzen Haufen Gewissensbisse herumzuplagen. 

"Du bist die mutigste, tapferste und verdammt nochmal stärkste Frau, die ich kenne, Liv! Also hör bitte auf dir wegen ein paar Tränen so den Kopf zu zerbrechen und dich auch noch dafür zu entschuldigen!" flüsterte er und ein trauriges, kleines Lächeln stahl sich auf sein Gesicht. 

Ich konnte spüren, wie meine Augen abermals verdächtig zu brennen begannen, aber diesmal nicht vor Angst oder Verzweiflung, sondern vor Rührung und Glück. 

"Verfluchte Scheiße..." brachte ich schniefend hervor und begann gleichzeitig zu lachen - meine Gefühle spielten in dieser Nacht ganz klar verrückt. "...hör auf mich zum Heulen zu bringen!" 

Das Lächeln auf seinen Lippen wurde breiter und wesentlich ehrlicher, während er die Arme ausbreitete - eine ganz klare Einladung, die ich mir nicht zweimal geben ließ. 

Das letzte bisschen Angst verschwand, als ich mich von ihm in eine Umarmung ziehen ließ und meinen Kopf an seiner Brust vergrub - darauf bedacht den schmutzigen Verband nicht zu verschieben. 

Mit einem leisen Seufzen zog er mich näher an sich heran und drückte mir - nach einem kurzen Zögern - einen federleichten Kuss auf den weißen Leinenstoff. 

Kaum mehr als einen Wimpernschlag lang und so sanft, dass ich es beinahe nicht spürte - die erste bedeutsame, liebevolle Berührung seit Jahrzehnten...


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Hey, 

ich wollte mich bei euch allen nochmal für die vielen Votes und Kommentare bedanken! 🙈🥺💖

Das bedeutet mir wirklich unglaublich viel und ich bin wahnsinnig dankbar dafür! 🥰💖

𝐦𝐨𝐫𝐞 𝐭𝐡𝐚𝐧 𝐟𝐫𝐢𝐞𝐧𝐝𝐬 || 𝐛𝐮𝐜𝐤𝐲 𝐟𝐟Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt