Kapitel 9 - Was ich möchte

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Harry sieht sichtlich schockiert von meinen Worten aus. 

Ich bin mir nicht sicher, ob ich mich jetzt schlecht oder gut fühlen soll. Einerseits ist es doch nur die Wahrheit. Schon immer wollte ich Erfolg haben und dafür bin ich durch viele Opfer gegangen, wieso sollte ich das also jetzt aufgeben? Andererseits fühle ich mich gegenüber Harry wie der letzte Vollidiot. Ich komme mir gerade selbst vor wie eine absolut unerträgliche, karrierefixierte Frau. Mein Gedanken sind total durcheinander. 

Harry öffnet den Mund, um etwas zu sagen, schließt ihn dann aber wieder und lässt die Schultern hängen. Er hat jetzt einen sehr resignierten Blick in den Augen. "Okay." Es scheint, als wäre kein Leben mehr in seiner Stimme.

Okay? Einfach nur 'Okay'? jetzt sehe ich ihn fragend an. 

Harry sieht von mir weg und geht zur Treppe. 

Ich stehe immer noch stocksteif und absolut verwirrt im Turm. Stirnrunzelnd sehe ich ihm hinterher. Er geht einfach? 

"Kommst du?" Er sieht erwartungsvoll zu mir, als er merkt, dass ich mich nicht von der Stelle bewege. Ich endtecke absolut keine Emotion mehr in seinem Gesicht. Er scheint wie ausgewechselt. Eben war er doch noch der gut gelaunte Harry.

Ich nicke nur stumm und folge ihm die Treppen runter. Durch meinen Kopf schwirren so viele Dinge. Ich hab keinen Schimmer, was jetzt auf mich zu kommt. Will er jetzt nichts mehr mit mir zutun haben? Lässt er mich in Zukunft in Frieden? Ich hoffe es doch. Oder auch nicht... Ach, ich bin so verwirrt. Ich wünschte, ich hätte den Anblick der Sternschnuppen noch länger betrachtet. Es war wirklich schön.

Wir steigen wortlos in sein Auto und er fährt ohne ein weiteres Wort los. Die Musik vom Radio ist ausgeschaltet, was die Situation noch um einiges unangenehmer macht. Am Campus angekommen, parkt er auf dem Parkplatz. Die Situation wird immer unangenehmer. 

"Also...", traue ich mich zu sagen und sehe ihn an auffordernd an, etwas zu sagen.

Er sieht mich wieder mit einem Blick an, in den man einfach rein gar nichts hineininterpretieren kann. Etwas sagen tut er aber trotzdem nicht. 

"Ich versteh schon, du willst nicht mehr mit mir reden. Ist auch gar nicht nötig." Pampig schnalle ich mich ab und steige aus. Mit einem lauten Knall schmeiße ich die Tür zu und stampfe aufgebracht davon. 

"Ravely!"

"Was ist?" Aufgebracht drehe ich mich zu ihm um.

Sein Kopf hat er aus dem Fenster gestreckt. "Ich gebe dir nur das, was du möchtest." Und er fährt weg. 

Eigentlich hat er doch Recht. Er gibt mir das, was ich möchte. Ich sollte endlich froh sein, dass ich ihn los bin. Dieses College hat mich innerhalb von zwei Tagen schon zu Dingen gebracht, die ich normalerweise nie machen würde und dadurch habe ich jede Menge Zeit verloren. Ich weiß jetzt schon, dass ich morgen im Unterricht unausgeschlafen und unkonzentriert sein werde, weil ich so spät schlafen gehe. Außerdem bringt Harry meinen Kopf fast zum Platzen. Ich sollte ihn einfach aus meinem Leben verbannen und mich auf's Wesentliche konzentrieren. 

Mit Kopfschmerzen komme ich in mein Zimmer und bin erleichtert, als ich Cate in ihrem Bett schlafen sehe. Irgendwie mag ich sie, auch wenn sie merkwürdig sein kann. 

"Rave?", jauchzt Cate und dreht sich zu mir, als ich mir gerade die Schuhe ausziehe. 

"Hm?"

"Alles klar? Wo warst du?" Sie reibt sich verschlafen die Augen. 

"Ich war nur kurz weg. Etwas hat mich aus dem Schlaf gerissen." Und schon wieder sind meine Gedanken bei Harry, was meine Laune sichtlich runterschraubt. 

"Alles okay bei dir? Du siehst ganz schön... irgendwie traurig aus". Cate setzt sich an die Bettkante und betrachtet mich skeptisch.

Ich atme einmal tief ein und gehe zum Schreibtisch, wo noch meine Schlafsachen liegen. "Nein, ja, alles in Ordnung." Schnell ziehe ich mich um und lege mich in mein Bett. Mir entgeht jededoch der misstrauische Blick von Cate nicht. Ich ziehe mir die Decke bis zu den Ohren und schließe die Augen. Ich will jetzt nicht mit Cate reden. Ich will einfach die Nacht heute vergessen und schlafen. 

"Na ja, okay." Sie schaltet das Licht aus. "Aber wenn du etwas hast, worüber du reden möchtest, kannst du mit mir reden. Dafür sind Freunde da." 

Mit dem Wort Freunde im Hinterkopf und dem Versuch Harry aus meinem Gedanken zu drängen, schlafe ich ein. 

Ich träume in dieser Nacht von Sternschnuppen und Schmetterlingen. 

-

Am liebsten würde ich heute nicht zu den Kursen gehen. Ich bin, wie erwartet todmüde und  ich hab absolut keine Lust auf Harry zu treffen, vor allem, weil ich nicht weiß, wie er reagieren wird. Eigentlich nicht anders als sonst. Wir haben uns bisher immer während den Kursen ignoriert, also würde sich nicht viel ändern. Trotzdem wäre es ein Fehler nicht zu gehen, nur weil ich ihn nicht sehen möchte. Ich sollte mich von sowas nicht ablenken lassen, irgendwann habe ich ihn eh komplett vergessen. Hoffe ich zumindest. 

Ich entscheide mich heute, mich in die erste Reihe zu setzen, um nicht in die Versuchung zu kommen, Harry auch nur anzusehen. 

Professor Snow beginnt den Unterricht und ich frage mich, ob Harry hier ist. Immerhin sehe ich von hier vorne niemanden. Ich drehe mich kurz um und sehe ihn in der letzten Reihe sitzen. Blondie sitzt wieder neben ihm. Ich bereue es zurück geschaut zu haben und drehe mich sofort wieder nach vorne. Ich bekomme nur nebenbei mit, dass wir in Partnerarbeit eine Argumentation über Gott verfassen sollen. 

Partnerarbeit. Super. In meiner alten Schule hatte ich immer Scar, die mit mir gemacht hat, aber hier habe ich niemanden.

Die Pärchen in den Klassen haben sich gebildet. Als ich mich in der Klasse umsehe, um zu sehen, ob noch jemand frei ist, sehe ich, dass Harry mit Blondie Partnerarbeit macht.

"Miss Green, wie ich sehe, haben sie noch keinen Partner." Professor Snow kommt auf mich zu.

Ich nicke und er sieht sich suchend in der Klasse um. "Möchte vielleicht jemand Miss Green in seine Gruppen einbinden?" 

Niemand sagt etwas und ich starre nervös auf meine Finger. Das ist dann also der Preis dafür, wenn man sich von allem enthält. Nicht mal Liam meldet sich. Ich fühle mich unheimlich ungewollt. 

"Niemand?", hackt Snow nochmal nach. Die Klasse ist immer noch still und Snow sieht mich entschuldigend an. "Dann schreiben sie eben allein. Ist doch sowieso viel besser, weil man sich mit niemandem über irgendwelche Argumente streiten muss." Er lächelt mir väterlich zu.

Wieder nicke ich nur stumm. Ich bin froh, wenn ich endlich aus diesem Kurs fliehen kann. Das heute war wirklich nur noch reine Folter. Früher hätte es mir gefreut, wenn ich etwas alleine machen durfte, aber heute... ich weiß nicht, ich habe mich einfach ausgegrenzt gefühlt. Wo kommen denn aufeinmal diese Zweifel her? Genau das wollte ich doch. Allein sein. 

Ich beschließe kurzerhand die andren Kurse saußen zu lassen, da ich diese als eh nicht für wichtig empfinde. 

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