Hearts Collide

Kapitel 54 - Ich will es nicht mehr

Mein Kopf ist randvoll, als ich mit dem Auto auf dem Weg zu Scar bin. Dad meinte, dass er daran Schuld wäre, dass ich Margret hasse. Er meinte, es wäre seine Schuld... Ich versuche, mir nicht verschiedene Gründe auszumalen, die die Wahrheit sein könnten, wovon Margret und er geredet haben. Ich bin mir auch nicht mal sicher, ob ich es überhaupt wissen will. Ich habe Angst, dass sich am Ende so viel ändert, dass ich nicht mehr nach Hause kommen möchte. Nein, das kann ich mir nicht vorstellen. Ich liebe Dad, egal, was er je getan hat. Aber Margret hasse ich ja auch und sie ist... meine Mutter. Doch die beiden kann ich nicht miteinander vergleichen. Margret war seit ich klein bin nie für mich da, deshalb konnte ich sie nie richtig lieben, während Dad jeden Tag für mich da war.

Seufzend stütze ich meinen Kopf in meiner Hand ab und fahre in Scar's Hof. Natürlich sind die ganzen Plastikbecher und Zigarettenstummel vom Rasen schon verschwunden, immerhin organisieren ihre Eltern jedes Jahr drei spanische Billigputzfrauen, die ihnen alles wieder sauber machen. Ist wahrscheinlich auch schlauer, denn dieses ganze Durcheinander selbst aufzuräumen, würde vermutlich Tage dauern. Ich schnappe mir die kleine eingepackte Schachtel mit der Kette drin und laufe zur Tür. Es ist wirklich arschkalt geworden. Ich wünschte, ich wäre wieder in London, wo man wenigstens normal rausgehen konnte, ohne, dass einem die Finger abfrieren.

"Oh, hallo, Ravely", begrüßt mich Scar's Mutter, als sie die Tür öffnet und nimmt mich in den Arm. "Schön, dich mal wieder zu sehen."

Ich lächle und trete ein. "Ich war doch nur eine Woche weg."

"Ja, natürlich, aber ist nunmal ungewohnt, dich nicht fast jeden Tag zu sehen." Sie ist so nett. Ich habe früher oft versucht sie mit meinem Dad zu verkuppeln, aber er hat sie natürlich - wie immer - abblitzen lassen. Jetzt ist sie seit einem halben Jahr wieder verheiratet.

"Scarlett ist oben, falls du zu ihr möchtest und nicht mit mir Smalltalk halten wolltest", lacht sie.

"O ja, natürlich, danke." Ich streife mir die Schuhe ab und gehe die Treppen hoch zu Scar's Zimmer. Ich klopfe.

"Herein", ruft sie und ich betrete ihr Zimmer. "O, hi Ravely."

"Hey", grinse ich, "Hier ist dein supertolles Geschenk." Ich halte ihr das Päckchen entgegen und sie steht von ihrem Bett auf.

Sie sieht irgendwie sehr... genervt, traurig, enttäuscht,... ich weiß nicht, aus. Hat sie vielleicht herausgefunden, dass Danny ein Arschloch ist und hat Schluss gemacht? Oder hat Danny Schluss gemacht? "Danke", sagt sie leise und nimmt mir das Päckchen ab.

"Bitte. Ist, ehm, alles in Ordnung mit dir?", frage ich vorsichtig und betrachte skeptisch ihr Gesicht.

Sie sieht mir jetzt das erste Mal in die Augen. Ihr Blick ist unheimlich kalt. "Was denkst du denn? Sollte alles in Ordnung sein?"

Ich runzle die Stirn. "Was meinst du?"

Sie lacht sarkastisch auf und setzt sich auf die Bettkante. "Was ich meine? Denk doch mal nach."

Ich schlucke schwer und sehe unbeholfen im Zimmer umher. Mir fällt wirklich nichts ein, was ich je falsch gemacht haben könnte. "Ich... Ich weiß es nicht."

Scar dreht das Päckchen in ihren Händen hin und her. "O tatsächlich? Wie wäre es mit der Tatsache, dass du versucht hast dich an meinen Freund ranzumachen als ich nicht da war? O nein, stimmt ja. Sowas würdest du niemals tun. Du bist doch die unschuldige, unnahbare Ravely, nicht wahr? Glaub bloß nicht, dass ich sowas - auch wenn ich betrunken war - nicht irgendwann rausbekomme."

Mir klappt die Kinnlade runter und ich sehe sie entsetzt an. Was zur Hölle hat Danny ihr erzählt? "Hat Danny dir das erzählt?"

Sie sieht mich so giftig an, dass man denken könnte, sie würde jede Sekunde Gift aus ihren Zähnen spritzen. "Nein, Danny hat mir das nicht erzählt."

"Wer dann?"

"Das nette Mädchen was gegenüber von euch saß und euch die ganze Zeit beobachtet hat. Sie hat mir alle Einzelheiten erzählt. Du bist ihm ständig zu Nahe gekommen und wolltest ihn sogar küssen! Ravely, das ist widerlich! Ich dachte, wir sind beste Freunde!" Sie beginnt zu schreien.

Ich gehe einen Schritt zurück. Dieses Wochenende wird von Stunde um Stunde schlimmer. "Scarlett, bitte glaube mir, wenn ich dir sage, dass es so nicht war! Danny hat sich an mich rangemacht, nicht umgekehrt! Ich würde sowas wirklich niemals tun und das weißt du!"

Scar schnaubt verächtlich und steht auf. "Hier", sie hält mir das Päckchen entgegen, "Ich will es nicht mehr."

Ich starre auf das Päckchen und sie abwechselnd an. "Scar, du musst mir glauben." Meine Worte sind nur noch ein Flüstern. "Ich würde sowas nie tun..."

"Ich will nichts mehr hören. Es steht deine Meinung gegen die von Amber und Danny und jetzt nimm dieses blöde Geschenk."

Langsam nehme ich ihr das Geschenk aus den Händen und lasse meine Schultern sinken. "Das ist alles ein riesen Missverständnis."

Scar geht zur Tür und öffnet sie, während ich noch immer wie ein Häufchen Elend im Raum stehe und auf ein Wunder hoffe. Verliere ich gerade ernsthaft meine beste Freundin, wegen so einem Arschloch wie Danny und einer - anscheinend - verlogenen Amber?

"Scar, bitte...", bettle ich. Ich merke, wie mir ein Riesen Kloß im Hals wächst. Dieses Wochenende war doch schon von Anfang dazu bestimmt, komplett zu eskalieren, wieso sollte es also jetzt enden? Ich denke, dass ich jetzt an einem Punkt angekommen bin, an dem ich es nicht mehr in mir drin halten kann.

"Geh, Ravely", sagt Scar ohne mich anzusehen und hält mir die Tür offen.

Ich nicke nur ergeben und gehe an ihr vorbei auf den Flur. Ich versuche nicht mal mehr etwas zu sagen, denn wenn ich jetzt etwas sagen würde, weiß ich, dass ich weinen würde und ich will nicht weinen.

Scar schließt vor meinen Augen die Türe und ich stehe allein im Flur. Ich fühle mich gerade komplett verlassen. Als würde ich in ein dunkles Loch fallen. Als würde mich gerade jede Menschenseele hassen und mich verachten. Ich habe doch versucht ihr zu helfen gestern... Und ich habe Danny und dieser Amber auch nichts getan. Ich wollte nur das Richtige tun. Mit langsamen Schritten gehe ich die Treppen nach unten und bin froh, dass mich Scarletts Mutter nicht sieht, als ich gerade nach draußen gehe. Als ich draußen an der frischen Luft ankomme, habe ich nicht das Gefühl, dass der kühle Wind irgendetwas besser macht. Das Wetter spiegelt schon seit gestern meine Stimmung und genau jetzt fängt es auch noch an zu regnen. Wie mein Dad gesagt hat. Er hat mich sozusagen davor gewarnt hier her zu fahren.

Als ich mich in das Auto setze, realisiere ich erst, was gerade passiert ist. Scar hat mich verlassen. Sie hat mich verlassen, weil Danny so ein riesen Arschloch ist. Wieso hat mir niemand je gesagt, dass es sich anfühlt, als würde man sterben, wenn man eine Person verliert, die man liebt? Niemand sagte mir je, dass es sich anfühlt, als würde jemand in meine Brust kriechen und mein Herz rausreißen. Ja, das fühle ich gerade. Sitzend. Hinter diesem Lenkrad. Schreiend. Ich schreie buchstäblich alles aus und haue auf das Lenkrad ein. Dieses Wochenende ist verflucht.