Kapitel 37 - Wir sollten rennen

16.2K 1.2K 144
                                    

Ich kann kaum meinen Ohren trauen. Und ich kann kaum glauben, was Harry für dieses kleine Mädchen tut. Was er allgemein für diese Menschen tut. Er spielt so eine wichtige Rolle in deren Leben und trägt eine riesen Verantwortung. Harry sieht so viel Leid und Schmerz und hört trotzdem nicht auf damit.

"Das ist bewundernswert", schniefe ich leise, "Du bist bewundernswert. Was du tust ist so selbstlos und doch so gut. Diese Menschen da... in der Kirche, sie lieben dich, das hat man von der ersten Sekunde an gemerkt. Ich glaube, du spielst eine wichtigere Rolle in deren Leben, als du dir vorstellen kannst. Vor allem Tammy..."

Harry lächelt leicht, "Danke, Raven."

Ich nicke hektisch und atme tief ein, "Oh, man, du musst denken, dass ich eine totale Heulsuse bin. Ich heul schon wieder", lache ich und wische mir eine Träne aus dem Auge.

Harry sieht mich einfach nur lächelnd an. Er kommt so rüber, als hätte er nicht mal verstanden, was ich gerade gesagt habe, als würde er mit seinen Gedanken ganz woanders sein, bei etwas Gutem, denn sein Lächeln ist so liebevoll.

Ich sehe ihn fragend an, "Bist du noch da?"

Harry's Grinsen wird breiter und er nickt, "Ja, ich bin noch da. Ich war nur gerade kurz in Gedanken."

"Okay", schmunzle ich und sehe, dass die Kellnerin mit unsrem bestellten Essen kommt. Übrigens kannte diese Kellnerin Harry auch schon, nur mal so.

"Sieht das nicht absolut traumhaft aus?", schwärmt Harry und starrt auf seinen Teller voll mit Speck, Rührei, Gemüse und Gebäck.

"Das ist auf jeden Fall extrem viel", staune ich und picke in meinem Speck rum, "Und ich muss sagen, dass ich Vegetarierin bin."

Harry runzelt die Stirn und sieht mich inbrünstig an, "Tatsächlich?"

Ich zucke mit den Schultern, "Ja."

"Na ja, okay, bleibt mehr für mich". Harry nimmt seine Gabel und greift mir den Speck vom Teller und schiebt ihn auf seinen drauf, "Du hast ja keine Ahnung was du verpasst."

Ich lache leise und nehme eine Gabel von dem Ei. Und es schmeckt unglaublich gut, selbst wenn es nur Ei ist. "Wow, das ist gut", staune ich und nehme gleich noch eine Gabel.

"Sag ich doch", meint Harry und isst ein Stück Speck.

Einige Augenblicke schweigen wir und essen. Ich muss ständig an Tammy denken und wie schwer krank sie ist; und zu wissen, dass sie nie erwachsen werden wird, sich nie verlieben wird, nie Auto fahren wird und auch nie Kinder bekommen wird, zerreißt mir das Herz. Sie hat so viel Freude ausgestrahlt und sah so glücklich aus, als sie da bei Harry saß.

Ich wünschte, ich könnte etwas dazu beisteuern, dass Tammy - auch wenn es nur für die nächsten Monate ist - glücklicher ist, als je zuvor. Sie hat es einfach nicht verdient, so jung zu sterben. Niemand hat das.

Auch Elizabeth's Anblick tat beim Zusehen weh. Harry meinte, sie sei eine Schriftstellerin gewesen und sie hat ihm bei seinen Geschichten geholfen. Sie war bestimmt eine ausgezeichnete Schreiberin. Hat sie ihm auch bei dem Buch geholfen, das er veröffentlicht hat? Es ist schrecklich zu sehen, dass Menschen so schnell aus ihrem alltäglichen Leben gerissen werden können durch eine einzige Krankheit.

Wenn man Harry so sieht, könnte man sich nie vorstellen, dass er so oft mit dem Tod und Leid konfrontiert wird. Er sieht immer fröhlich und glücklich aus. Ich weiß nicht, ob ich so oft lachen könnte wie Harry es tut, wenn ich so viele Menschen ständig an irgendwelchen Krankheiten krepieren sehen würde.

Harry ist so ein starker Mann und ich denke, dass er das nicht mal selbst weiß. Denn auf irgendeine Art und Weise sieht zeigt seine Selbstlosigkeit eine gewisse Selbstverachtung. Wieso tut Harry all diese Dinge? Ich wünschte, ich wüsste was Harry alles Leid tut und was ihn am meisten bedeutet. Ich will alles von ihm wissen.



Harry und ich verlassen nach einer Stunde das Restaurant. 

"Scheiße, es regnet wie aus Eimern", bemerkt Harry, als wir gerade aus der Tür rausgehen. 

Ich sehe in den Himmel und es regnet wirklich Wasserfälle. Das ist dann wohl das allbekannte Londoner Wetter. Wir stehen noch unter einem Dach vor dem Restaurant. Und ich steh hier nur im T-Shirt.

"Entweder wir rennen oder wir warten hier bis es fertig geregnet hat", sage ich und sehe zu, wie die Wassermengen auf der Straße in den Abfluss fließen.

"Okay", sagt Harry und schnauft, als würde er gleich einen Marathon laufen wollen, "Ich bin für Möglichkeit eins - wir rennen."

"Alles klar", stimme ich entschlossen zu und tue ebenfalls so, als würde ich mich für einen Marathon aufwärmen.

Harry sieht einmal kurz nach links und rechts auf den Bürgersteig, "Bereit?"

Ich nicke.

"Los!", schreit Harry und rennt nach rechts über den Bürgersteig.

Ich renne ihm so schnell wie möglich hinterher und wir laufen Slalom durch die Menschenmengen. Wieso musste Harry nur so weit weg parken? Schon nach bereits fünf Metern hab ich das Gefühl, dass ich klitschnass bin, kann aber mein Lächeln nicht unterdrücken. Ich fühle mich gerade so unglaublich frei und unbeschwert, wie ich mit Harry durch den Regen renne, vorbei an den schlecht gelaunten Leuten, die gerade Mittagspause haben oder zu Meetings müssen.

Wir sind die Sonne am Horizont und der Rest eine tiefe Gewitterwolke.

Kurze Augenblicke später kommen wir an Harrys Auto an und Harry holt hastig seine Autoschlüssel aus der Hosentasche. Seine Haare sind total nass und kleben ihm in der Stirn. Er sieht unglaublich gut aus.

"Schneller!", schreie ich von der Beifahrerseite durch den Regen, während Harry noch mit den Schlüsseln kämpft.

Dann macht es Klick und wir springen ins Auto. Schwer atmend lehne ich mich in dem Sitz zurück und Harry legt seinen Kopf auf's Lenkrad.

Meine Klamotten kleben mir an der Haut und ich bin froh, dass ich ein schwarzes T-Shirt angezogen habe und kein weißes. Jedoch hat Harry ein weißes T-Shirt an und ich könnte bestimmt seine seine Muskeln durch das Shirt sehen.

Für Sekunden hört man nur noch unser Atmen und das Prasseln des Regens an den Scheiben. Man kann durch die Scheiben überhaupt nichts mehr erkennen, denn der Regen ist viel zu stark.

Schnell ziehe ich mir mein Handy aus der Hosentasche und lege es auf die Ablage vor mir, damit es nicht durch die Nässe kaputt geht. Daran hätte ich eigentlich vorher denken sollen, denn es war viel zu gefährlich einfach so durch den Regen zu rennen. Ich kann mir kein neues Handy leisten.

Halt die Klappe, Ravely!, schimpfe ich meine innere Stimme und ich lache. Ich lache laut. Ich weiß nicht wieso ich lache, aber ich lache so laut, dass ich nicht aufhören kann.

Harry richtet sich auf und sieht mich an, als wäre ich gestört. "Wieso lachst du?", fragt er schmunzelnd und mit gerunzelter Stirn.

Ich beruhige mich und sehe ihn an. Und ich kann definitiv seine Muskeln durch sein weißes T-Shirt sehen. Ich kann sogar ein paar weitere Tattoos erkennen, kann aber nicht entziffern was es sein soll.

Als mir auffällt, wie offensichtlich ich seinen Körper anstarre, sehe ich ihm schnell in die Augen und zucke mit den Schultern, "Ich habe gelacht, weil... ich weiß nicht", gluckse ich, "Ich hab mich einfach danach gefühlt, denke ich."


Ich denke, dass das das letzte Kapitel für heute sein wird. Eventuell (!) kommt noch ein weiteres, aber nur vielleicht :D


Und ich widme das Kapitel einer kleinen Motivation, die immer ganz liebe Kommis schreibt :) sääääänks



Hearts Collide Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt