Kapitel 103 - Zehn Tage

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Zehn Tage. Zehn Tage hat Harry kaum geredet, gegessen, geschlafen, gelebt.

Zehn Tage in denen wir beide unglaubliche Qualen durchlebt haben. Harry hat getrauert und ich war da und habe ihm hilflos zugesehen. Jeden Tag habe ich aufs Neue versucht, ihn ein wenig von seinen Qualen zu befreien, doch es schien aussichtslos. Ich war all die Tage, Stunden, Minuten hilfloser als je zuvor und es schmerzte mir unheimlich, ihn so zu sehen.

All die Zeit habe ich sein Lachen, seine Lächeln und seine lustigen Sprüche vermisst. Ich habe sogar seine schöne Stimme vermisst...

Ich wusste, dass er für die nächste Zeit nicht zu den Kursen am College gehen würde, deshalb beschloss ich - ohne viel nachzudenken - ebenfalls nicht zu gehen, denn ich wollte jede Sekunde für ihn da sein können, wenn er mich brauchte. Niemals hätte ich ihn mit seiner Trauer allein lassen können.

Am ersten Tag, der Montag nachdem Tammy gestorben ist, hat er kein Wort geredet. Er saß den ganzen Tag, sogar die ganze Nacht in seinem Sessel vor dem großen Fenster in seinem Schlafzimmer und starrte heraus. Einmal, als ich nach ihm gesehen habe, habe ich eine kleine Träne auf seiner Wange entdeckt, aber das war auch das Einzige mal an diesem Tag.

Ich verbrachte meine Zeit irgendwo in seiner Wohnung und hoffte, dass er irgendwann aus seinem Zimmer kommt, um wenigstens etwas zu trinken... Doch er kam nicht. Ich wusste, dass ich keine Chance hatte, ihm zum Reden zu bringen und deshalb versuchte ich es nach ein paar Versuchen gar nicht mehr.

An dem Abend bin ich auf der Couch weinend eingeschlafen und mitten in der Nacht aufgewacht. Ich ging hoch, um nach ihm zu sehen, und ich sah, dass er in seinem Sessel eingeschlafen war. Ich wollte ihn auf keinen Fall aufwecken, deshalb legte ich einfach eine Decke über ihn, damit er nicht fror.

Am zweiten Tag saß Harry wieder nur in seinem Sessel und starrte über die Stadt, die sich ihm bot.

Ich bin am Vormittag in die Stadt gefahren, um uns einen Film auszuleihen, von dem ich mir sicher sein würde, dass er ihm gefallen könnte.

"Baby, ich habe uns einen Film aus diesem Laden, den du so magst, ausgeliehen", sagte ich, als ich das Schlafzimmer betrat. Ich versuchte mir zwingend ein kleines Lächeln auf die Lippen zu schleichen. "Der sollte dir gefallen, ist ein typischer Ballerfilm mit Strategie." Ich ging zu ihm und er regte sich kein Stück.

Seine Miene war immer noch starr aus dem Fenster und seine Augen strahlten eine solche Müdigkeit aus, dass ich fast wieder weinen musste.

"Was sagst du?", fragte ich und hielt ihm das Cover vor die Nase.

Ohne darauf zu sehen, schob er meinen Arm beiseite.

Meine Mundwinkel zogen sich sofort nach unten und ein kleiner Schmerz zuckte in meiner Brust, wegen seiner Zurückweisung. "Okay." Ich seufzte leise. "Ich verstehe... Tut mir Leid." Ich ließ den Film wieder in die Tüte fallen und ging mit gesenktem Kopf zurück zur Tür. Meine Tränen konnte ich nicht mehr zurückhalten, als ich aus der Tür ging.

Ein kleiner Teil von mir hatte sich erhofft, er würde sagen, dass es mir nicht Leid tun brauchte und er mir sagen würde, dass er mich liebt, doch das war genau so unwahrscheinlich wie der Wunsch, er würde plötzlich anfangen zu lachen.

Am dritten Tag rief Anne an. Natürlich ging Harry nicht ans Telefon, deshalb redete ich mit ihr. Er schien ihr die ganze Sache mit Tammy erzählt zu haben, deshalb sagte ich ihr, dass sie Sonntagnacht gestorben sei und er deshalb die letzten Tage nicht angerufen hat.

Anne schien genau so geschockt, wie ich es vermutet hatte. Ich erzählte ihr nicht von Harry's Zustand, denn ich wollte nicht, dass sie sich Sorgen machte, doch bevor sie auflegte, sagte sie noch, dass ich nachsehen solle, ob er noch schreibt.

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