Kapitel 41 - Ja, Mum

15.4K 1.2K 99
                                    

Langsame Gitarrenmusik holt mich aus meinem Traum von grünen Augen vollen Lippen. Ich öffne verschlafen die Augen und quäle mich aus dem Bett, um an mein Handy zu gehen, dass noch in meiner Hosentasche steckt. "Hallo?" Oh je, meine Stimme hört sich definitiv schrecklich an. Ich bekomme kaum einen Ton heraus.

"Rave, alles in Ordnung?" Cate.

Ich gehe mit mit dem Handy am Ohr wieder zurück in Harrys Bett und schmeiße mich wieder erschöpft hinein. "Ja, wieso?" Wenn sie nur ein klein wenig Intelligenz hat, wird sie heraushören, dass ich krank bin.

"Du hörst dich ja richtig beschissen an", lacht sie, "Wo bist du? Du bist ja kaum noch am Campus."

"Ich bin heute nur im T-Shirt durch den Regen gegangen, weil ich keine Jacke hatte und jetzt hat es mich anscheinend mächtig erwischt."

"Und wieso bist du dann nicht hier? Du solltest dich ins Bett legen."

"Ich war da. Nur schnarchst du so laut wie ein Walross und da konnte ich mich einfach nicht ausruhen", lache ich und huste sofort danach. Das Husten ist richtig anstrengend geworden und ich fühle mich, wie als hätte ich einen Marathon hinter mehr.

"Oh, sorry", kichert Cate, "Und wo bist du jetzt?"

"Ich bin bei - ", ich stoppe. Sollte ich ihr das wirklich sagen? Ich versuche mir irgendetwas ausdenken, was halbwegs glaubwürdig klingt.

"Bei Harry!", quietscht Cate.

"Cate, schrei nicht so", stöhne ich schmunzelnd.

"Also ja! Ich glaub es ja nicht. Kümmert er sich um dich, wie ein Edward es mit Bella gemacht hat, als sie krank war? Ich hoffe doch."

"Übertreib doch nicht gleich."

"Sorry", lacht sie, "Ich wollte einfach nur mal hören wo du bist und wie es dir geht."

"Es geht mir den Umständen entsprechend." Ich schaue auf das Nachtschränkchen neben mir, um eventuell eine Uhr zu sehen, hier steht jedoch keine, aber der Tee sticht mir ins Auge. Ich habe noch kein Schluck davon genommen und mittlerweile ist er bestimmt schon kalt. Quälend richte ich mich auf und greife nach der Tasse - Jap, kalt.

"Dann lass dich mal gut verwöhnen. Wir sehen uns hoffentlich nochmal die nächsten zehn Jahre."

"Bestimmt. Mach's gut!"

Cate legt auf und ich trinke den Tee in einem Zug. Er schmeckt wirklich grausig. Irgendwie sehr bitter und gleichzeitig nach Minze und Ingwer. Ich schaue auf mein Handy. 16.38 PM. Ich habe tatsächlich fast vier Stunden geschlafen und Harry hat mich nicht einmal aufgeweckt. Nachdem ich die Tasse wieder zurückgestellt habe, lasse ich den Blick durch das Zimmer schweifen. Ich habe mich noch gar nicht hier mit befasst, obwohl es extrem interessant aussieht. Es steht auch hier ein großes Regal mit Büchern und daneben ein Schreibtisch, von dem man perfekt nach draußen schauen kann, wenn man daran sitzt. Ich stehe auf und gehe auf den Schreibtisch zu. Neben einem Computer steht eine alte Schreibmaschine in schwarz, sie sieht sehr alt und teuer aus. Ich lasse meine Finger über die alten Tasten der Maschine wandern und stelle mir vor, wie Harry hier jeden Tag sitzt, aus dem Fenster sieht und schreibt. Bei dem Gedanken, was er wohl schreibt, suche ich den Schreibtisch nach möglichen Blättern ab, auf denen etwas stehen könnte, aber ich kann nichts finden. Vielleicht hat er ja alles vorher verstaut, damit ich auch ja nichts lesen kann. Hat Harry Geheimnisse? Ich wette, dass Harry viele Geheimnisse hat. Genau so wie das Geheimnis, dass er kranken Menschen vorliest und Geschichten schreibt.

Ich gehe auf das Bücherregal zu und sehe viele Ausgaben von Jane Austen, Emily Bronte und auch Schiller. Kein Wunder, dass er damals bei der Lesung voraussagen konnte, was bei der geklauten Geschichte von Schiller passiert. Neben vielen Krimis und Dramen sind auch ein paar Romane. Ich sehe immer weiter und komme irgendwann bei "Als wir unendlich waren" an. Er hat das Buch auch? Ohne viel zu überlegen, ziehe ich es aus der Reihe heraus und öffne es. Es sieht nicht so aus, als wäre es jemals geöffnet worden, noch ganz neu und so riecht es aus. Vielleicht hat er es ja nur hier stehen, um sein Regal zu füllen. Hat er seine anderen Bücher also auch nicht gelesen? Ich ziehe einen anderen Roman heraus, stelle dann aber schnell fest, dass dieser Roman - ebenso wie alle anderen - sehr abgenutzt und gelesen aussehen. Einzig allein "Als wir unendlich waren" scheint ungelesen zu sein.

Ich stecke es wieder zurück und sehe mich weiter im Zimmer um. Neben seinem Fenster hängen ein paar Bilder. Es zeigt ihn, als er kleiner war - ungefähr fünf - mit einem Mädchen. Sie ist blond und grinst genau so breit wie Harry. Ich nehme an, dass sie seine Schwester ist, es ist nicht zu übersehen. Daneben ist ein Bild von ihm mit ungefähr sechzehn Jahren und eine ältere Frau, von der ich annehme, dass sie seine Mutter ist und seine Schwester ist auch mit darauf. Im Großen und Ganzen sehen sie echt glücklich aus. Ich muss leicht grinsen, als ich mir Harry als kleinen Jungen vorstelle, der Geschichten über Drachen und Prinzessinnen schreibt.

Schmunzelnd trotte ich wieder zum Bett und setze mich auf die Bettkante. Schlafen kann ich jetzt bestimmt nicht mehr, aber fit bin ich absolut auch nicht. Ich beschließe mir die Tasse zu greifen und runter zu Harry zu gehen. Leise öffne ich die Tür und sofort kommt mir das Tageslicht entgegen. Aua. Ich will gerade den ersten Schritt die Treppe runter gehen, da höre ich Harry's Stimme.

"Ja - Nein - Bald, Mum." Er scheint zu telefonieren. Und irgendwie höre ich etwas bedrücktes heraus.

Ich stehe weiterhin auf der Stufe und höre ihm zu, obwohl ich mich schlecht fühle, ihn zu belauschen.

"Ja, sage ich ihr - Ja."

Ich wüsste gerne, um was es geht. Gerade als ich beschließen will zu ihm runter zu gehen, weil ich mich zu schlecht dabei fühle ihn zu belauschen, sagt er:

"Ja, ich schreibe noch. Mum, bitte, es ist nicht mehr so wie früher."

Was?

Ich reiße mich zusammen, gehe die letzten Schritte nach unten und gehe ins Wohnzimmer, wo er auf der Couchende sitzt und sich gerade frustriert den Kopf hält. "Hi", krächze ich leise.

Harry blickt erschrocken zu mir auf und sagt dann ins Telefon: "Mum, ich muss jetzt auflegen. Ich rufe dich morgen wieder an, okay? - Okay, bis dann. Ich liebe dich." Er legt auf und lächelt jetzt wieder. "Und? War es der beste Schlaf deines Lebens?"

Ich setze mich ebenfalls auf die Couch, aber mit genug Abstand, damit ich auch nicht aufdringlich wirke. Vor allem, weil ich immer noch nur seine Wäsche trage. "Ja", meine Stimme ist schrecklich.

"Wow, das hört sich nicht gesund an", sagt Harry und sein Lächeln verschwindet.

Ich nicke nur, weil ich nicht mehr reden möchte. Jedes Wort brennt im Hals.


Oh man, irgendwie bin ich richtig stolz auf das Kapitel. Kommis und Votes sind wie immer nett.

Hearts Collide Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt