Kapitel 67 - Gibt bessere Methoden

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Die Sonnenstrahlen kitzeln meine Nase und ich wache auf. Langsam öffne ich meine Augen und schaue geradewegs auf Harrys Uhr auf dem Nachttisch. 11.04 Uhr! Ach du Scheiße!

Hastig werfe ich Harrys Arm von meiner Hüfte und springe aus dem Bett.

Harry stöhnt und dreht sich um. "Raven, pscht."

Entsetzt sehe ich ihn an. "Pscht? Pscht du mich auch! Wir haben elf Uhr und wir verpassen unsre Kurse!" Nervös laufe ich von links nach rechts.

Ich sehe Harrys Schultern zucken. Lacht er?

"Wieso lachst du? Beweg dich!"

Harry dreht sich um und grinst mich verschlafen an. "Beruhig dich, heute ist keine Schule."

"Was meinst du 'Heute ist keine Schule'?"

"Eigentlich ist die ganze Woche keine Schule. Ist so'ne Studienwoche für alle Abgänger und da hat niemand Schule. Und jetzt pscht." Er schließt wieder die Augen.

Erleichtert seufze ich und lasse mich aufs Bett fallen. "Wow, so kann man auch einen Tag starten", nuschle ich mit dem Gesicht in die Matratze gedrückt.

"Gibt bessere Methoden."

Ich sehe zu ihm. "Aber hast du heute nicht dein Vorlesen in der Kirche?"

Sofort reißt Harry die Augen auf und scheint hellwach zu sein. "Scheiße!", flucht er und springt auf. "Ich sollte schon seit sechs Minuten da sein."

Amüsiert sehe ich ihm zu, wie er zu seinem Schrank geht und irgendwelche belanglosen Klamotten rausschmeißt. 

"Beeil dich besser, sonst wirst du nächste Nacht bemalt", witzle ich.

Harry zieht sich sein T-Shirt über den Kopf, das er zum Schlafen anhatte und ich kann die Röte in meinem Kopf nicht zurückhalten, als ich seinen Oberkörper betrachte. Auch, wenn es nur kurz ist, kann ich erkennen, dass er einen fetten Schmetterling auf seinem Bauch tätowiert hat? Einen Schmetterling? Das sieht echt scheiße aus.

Aber der Rest ist wie gegossen. Ich hätte niemals gedacht, dass Harry ohne Shirt noch besser aussehen kann, als er so schon aussieht.

"Ich, ehm, ich werde schonmal runter gehen", sage ich verlegen und wende meinen Blick ab, als er anfängt sich die Hose runter zu ziehen. Auch, wenn es sehr einladend aussah, will ich ihm seine Privatsphäre noch gönnen. Ich weiß nicht, wie ich reagieren würde, wenn Harry mir einfach beim Umziehen zusieht. Wahrscheinlich würde ich ihn beleidigen und rausschmeißen.

Ich gehe die Treppen runter und sehe jetzt erst, dass auf seinem Tisch das Buch liegt, dass er schon beim letzten mal mit in der Kirche hatte. Sicherheitshalber nehme ich es schonmal an mich, damit er es auch nicht vergisst, denn so früh nach dem Aufstehen ist kaum jemand zurechnungsfähig.

"Okay, wir können", sagt Harry, der angezogen die Treppe runtergestürzt kommt. Er greift sich die Schlüssel von dem Regal und geht aus der Tür. Natürlich hätte er das Buch vergessen.

Ich gehe ihm schnell hinterher und wir fahren in hohem Tempo zur Kirche.

Vor der Kirche steht - wie erwartet - schon der Minibus des Krankenhaus, nur, dass heute ganz viele Leute darin sitzen.

Harry steigt schnell aus und geht zu dem Bus. "Sorry, ich hab verschlafen", sagt er und klopft an die Scheibe, wo Tammy sitzt.

Diese sah bis vor einer Sekunde noch traurig aus, aber jetzt erhellt sich ihre Miene und sie grinst breit, als sie Harry sieht.

"Kein Problem", sagt ein grimmiger, alter Mann, der aus dem Bus steigt. "Ist ja nicht so, als hätte schon der erste abkratzen können, während wir gewartet haben. Da drin bekommt man ja mehr Viren entgegen geschleudert, als im Gesundheitslager der dritten Welt."

Harry hilft ihm aus dem Bus und lächelt ihm entgegen. "Wie ich sehe, strahlst du heute mal wieder nur Positives aus, Carl."

"Ja ja", brummt Carl und geht mit einem Krückstock zur Kirche.

"Hazza", ruft Tammy und springt aus dem Bus in Harrys Arme. "Ich dachte schon, du kommst heute nicht."

Harry küsst sie auf die Wange und setzt sie auf dem Boden ab. "Ich würde dich doch niemals mit Carl allein lassen."

Ich höre Carl von Weitem laut schnauben und irgendetwas vor sich hin grummeln.

"Harry, hilfst du Elizabeth? Dann trage ich Bronnie rein", fragt der Sanitäter und klopft Harry auf die Schulter.

Harry nickt und steigt in den Bus rein, um Elizabeth rauszutragen. "Raven, klappst du bitte den Rollstuhl aus dem Kofferraum aus?"

Sofort nicke ich und ziehe den Rollstuhl aus dem Kofferraum und stelle ihn vor Harry auf, damit er sie dort rein setzen kann. Ihr Aussehen schockt mich jedes Mal, wenn ich sie sehe. Es scheint, als würde sie jeden Tag mehr abnehmen und kränker werden. Wahrscheinlich entspricht das auch einer Tatsache.

"Hallo, Elizabeth", flüstere ich ihr zu, als ich sie den Berg zur Kirche hochschiebe.

"Raven", höre ich sie leise krächzen.


Als wir alle Sitzkissen im Kreis verteilt haben und alle sitzen, sehen alle Harry erwartungsvoll an.

Dieser weiß erst gar nicht was Sache ist, haut sich aber dann mit der flachen Hand an die Stirn. "Das kann jetzt nicht wahr sein."

"Was denn?", frage ich gespielt unwissend.

"Harry, sag nicht, dass du wieder das Buch vergessen hast", sagt Bronnie und lacht leicht. Auch sie sieht kränker aus, als beim letzten Mal.

Tammy kichert und ich will Harry nicht länger leiden lassen. Ich ziehe das Buch unter meinem Hoodie hervor und halte es ihm hin.

Er sieht verwirrt von mir zu dem Buch und von dem Buch wieder zu mir. Lächelt dann aber gemeinnützig. "Wow, das war gemein."

"Nun nimm endlich das Buch und les' vor. Ich bin nicht hier hergekommen um euch beim turteln zuzusehen", beschwert sich Carl und klopft mit seinem Krückststück, der schon bereits auf dem Boden liegt, auf den Boden.

Harry nimmt mir das Buch ab. "Carl, turteln sagen die Menschen von diesem Jahrhundert nicht mehr. Du scheinst wohl noch in der falschen Zeit zu leben."

"Du meinst wohl eher im falschen Jahrtausend", ruft eine junge Dame augenrollend.

Carl schnaubt und spitzt die Lippen. "Schweigt! Ihr Kinder müsst erstmal im Krieg gekämpft haben und zehn Tage ohne Essen ausgekommen sein!"

Harry lacht. "Ist ja gut, Carl. Willst du jetzt weiter ein Griesgram sein, oder darf ich endlich anfangen?"

Carl verschränkt die Arme und sieht wütend weg. "Mach halt."

"Endlich", stöhnt Bronnie schmunzelnd.

"Okay", sagt Harry und öffnet sein Buch.

Sofort lehnt sich Tammy wieder an ihn und am liebsten würde ich mich ebenfalls an ihn lehnen. Aber es reicht auch nur zu beobachten, wie Nahe sich die beiden mal wieder sind.

"Es war einmal...."

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