Kapitel 46 - Es riecht nach Zuhause

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Wir kommen nicht mal zwei Minuten später schon am Campus an und Harry begleitet mich zu meinem Zimmer. "Um den Abschied auch ordentlich ausklingen zu lassen", meinte er. Er tut ja fast so, als würden wir uns für die nächsten Monate nicht sehen, dabei sind es nur zwei Tage.

"Und was hast du sonst so für's Wochenende geplant?", frage ich, während ich ein paar Klamotten in eine Tasche packe.

Harry sitzt auf meinem Bett und beobachtet mich interessiert. Cate ist nicht da - wo auch immer sie ist. "Also morgen Nachmittag fahren wir zum Strand. Davor werde ich wahrscheinlich mal zu meiner Schwester fahren und Sonntag, hm, hab ich noch keinen Plan. Wahrscheinlich werde ich den Sonntag nur mit Schreiben verbringen im Krankenhaus. Tammy hilft mir immer, weißt du?" Er grinst während dem letzten Satz.

Man könnte wirklich das Gefühl bekommen, dass Tammy seine kleine Schwester sei, die ihm unglaublich viel bedeutet. Dass Harry sich so um sie kümmert, macht ihn noch so viel liebevoller und ich mag es. Gleichzeitig ist die ganze Situation auch so verdammt traurig, da Tammy krank ist. Und die Realität trifft einen hart, wenn man bedenkt, dass Harry meinte, dass sie nicht mal noch ein Jahr hat. Ich muss sie unbedingt öfters sehen.

"Das ist lieb von dir, dass du ihre Ideen in deine Geschichten einbindest." Ich grinse und gehe wieder zu meinem Schrank, um eine Jacke rauszuholen, weil ich weiß, dass es in Aldbury kälter sein wird. Warum muss ich nur so weit im Norden wohnen?

"Ist doch klar, immerhin müssen ihnen ja auch die Geschichten gefallen. Meinst du nicht, dass du langsam genug Klamotten eingepackt hast? Oder hast du vor für die nächsten Wochen wegzubleiben?", lacht Harry und betrachtet meine Tasche, die mittlerweile bis oben hin vollgepackt ist.

Ich zucke mit den Schultern und stopfe die Jacke in meine Tasche. "Man kann nie wissen und außerdem sollte ich auf Nummer sicher gehen." Ich schaue auf meine Handy, um die Uhrzeit zu checken und mich trifft fast der Schlag. Ich habe nur noch sechs Minuten bis mein Zug fährt! Während der ganzen Zeit mit Harry, habe ich total die Zeit vergessen! "O Gott, Harry! Ich muss zum Zug!", schreie ich und schmeiße mir schnell die Tasche über die Schulter und gehe zur Tür.

Harry springt sofort auf und schnappt sich seine Autoschlüssel von meinem Nachttisch.

"Los! Nur noch fünf Minuten!" 

Wir rennen mittlerweile durch die Flure des Gebäudes und nach draußen zu seinem Auto. Schnell steigen wir in Harrys Range Rover und er fährt sofort los.

"Das nächste mal schaust du auf die Uhr", sagt Harry und fährt mit mindestens mit 90 km/h um eine Kurve.

Ich werde durch den Schwung volle Kanne gegen die Tür gepresst. "Jaja, jetzt drück einfach auf die Tube. Nur noch drei Minuten! O man, ich werde zu spät kommen und kann nicht zu Scar's Geburtstag kommen." Aussichtslos halte ich mir die Hand an die Stirn. "Sie wird mich umbringen."

"Wir sind schon da", meint Harry und steigt aus."Los, komm!"

Wir rennen zu meinem Gleis und ich bin erleichtert, als ich sehe, dass er noch da steht. "Gott sei Dank!", stöhne ich und bleibe vor den Türen stehen. Ich drehe mich zu Harry um und er sieht mich mit einem leichten Lächeln an.

"Dann hast du es ja gerade noch gepackt."

"Ja", lache ich und wippe von einem Fuß auf den andren. Soll ich ihn jetzt küssen? Ich würde auf jeden Fall gern. Aber ich werde auf gar keinen Fall den ersten Schritt machen, niemals.

Der Zug hupt und gibt damit ein Zeichen, dass er jeden Moment los fährt.

"Also ich wünsche dir viel Spaß bei deinem Dad. Wenn du möchtest - wenn dir zum Beispiel totlangweilig ist - kannst du mich anrufen oder so."

Ich nicke und grinse breit. "Okay."

"Okay", grinst Harry und zeigt mir zum letzten Mal seine schönen Grübchen.

Ich höre, wie die Türen sich hinter mir beginnt zu schließen beginnen und ich schlüpfe schnell in den Zug, ohne noch etwas Harry sagen zu können. Durch die Scheiben der Tür sehe ich noch zu Harry und ich winke ihm leicht. Ich sehe ihn leicht lachen und er schüttelt mit dem Kopf. Der Zug fängt an loszufahren und Harry geht einen Schritt zurück. Er nickt mir nochmal lächelnd zu und ich beobachte, wie er immer kleiner und kleiner wird. Harry steht die ganze Zeit noch da, bis der Zug um die Kurve fährt ist und ich ihn nicht mehr sehen kann. Mein Lächeln verblast, als er aus meinem Blick schwindet und ich lasse die Schultern hängen. Ich hätte ihn wenigstens noch gerne umarmt... Ich trotte zu einem Platz, verstaue meine Tasche in der Ablage über mir, wühle meine Kopfhörer raus und lasse mich in die Bank fallen. Ich stopfe mir meine Kopfhörer rein, schalte The National ein und schließe die Augen.

"Miss?"

Etwas berührt mich an der Schulter.

"Miss, sie müssen aufwachen."

Ich öffne verschlafen die Augen und blicke geradewegs in die Augen des Schaffners, der mich eindringlich durch seine Brille anstarrt.

"Miss, der Zug endet hier. Sie müssen hier aussteigen."

Ich nicke und reibe mir über die Augen. "Tut mir Leid."

"Kein Problem. Nach einer so langen Fahrt kann man mal einschlafen." Sein Lächeln ist sehr sympathisch.

Ich lächle zurück und hole meine Tasche von der Ablage runter. Als ich aus dem Zug aussteige, kommt mir sofort die kalte Luft Aldburys entgegen - hab ich sowas von nicht vermisst. Ich ziehe mir eine Jacke aus meiner Tasche über und laufe den gewohnten Weg vom Bahnhof nach Hause. Wahnsinn. Ich habe das Gefühl, dass als ich das letzte Mal hier war, ich eine komplett andere Person war. Ich war noch so fixiert auf Karriere und Erfolg, dass mir nicht mal aufgefallen ist, wie schön diese Jasminsträuche sind, die an den Mauern Aldburys wachsen. Ich streiche mit den Fingern über die schönen weißen Blüten und muss sofort an Harry denken. Kurzerhand zupfe ich eine kleine Blüte ab und rieche an ihr. Ich liebe diesen Geruch einfach. Zuhause angekommen klopfe ich an der Tür und meine Freude steigt aufs Extremste, weil ich gleich Dad wieder sehen werde. 

Die Tür öffnet sich und Dad grinst mich an. "Endlich!" Er nimmt mich sofort in den Arm und drückt mich fest. "Du kannst dir nicht vorstellen, wie schön es ist, dich wieder zu sehen."

Ich vergrabe mein Gesicht in seiner Schulter und sofort kommt mir der wohlige Geruch von ihm entgegen. Er riecht wie Zuhause. "Ich hab dich auch vermisst", flüstere ich.

Er lässt mich los und zieht mich ins Haus. Es riecht nach Lasagne. Wie ich es mir schon dachte. "Ich hab gekocht", verkündet er und grinst.

"Ich rieche es. Ich bin am verhungern." Ich streife mir die Schuhe ab und lege meine Tasche in die Ecke des Flurs. Ich folge Dad in die Küche.

Und ich wünschte sofort, ich wäre nicht gekommen. Innerhalb von einer Sekunde staut sich so viel Wut und Hass in mir an, dass ich auf der Stelle in Scherben zerspringen möchte. Ich bleibe erstarrt im Türrahmen stehen und starre auf das Wesen, das ganz normal am Esstisch sitzt und mir zu grinst.

"DU?", schreie ich aufgebracht.

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