Kapitel 18 - Na, du Nomade

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Noch 4% Akku, zeigt mir mein Handy an und ich fange an noch nervöser zu werden. 

"Wo bist du denn?" 

"Ich sitze gerade in einem Pub."

"Sehr hilfreiche Information." Er lacht. "Du musst schon genauer werden."

"Ehm, der Pub heißt...", ich gucke umher, sehe aber kein Schild, wo der Name stehen könnte. 

"Frag den Barkeeper", höre ich Harry's Stimme durchs Telefon. 

Ich tue, was er sagt und sage dann schnell ins Telefon: "Vision! Harry, schnell, bitte sag, dass du den kennst. Ich hab nur noch 2% Akku!" 

"Man, du bist ja am Arsch der Welt", sagt er ausatmend, "Aber ich kenn den Pub, ich bin ungefähr in einer halben Stunde da." 

Ich lege auf und nicht mal fünf Sekunden danach stirbt auch schon mein Handy. Zum Glück habe ich Harry rechtzeitig angerufen, sonst würde ich wahrscheinlich in irgendeiner Gosse schlafen oder mich bei  irgendeinem komischen Typ einschleimen, damit er mich eventuell nach Hause fährt. Ich schüttle mich bei dem Gedanken, dass sowas eine der wenigen Möglichkeiten wären, hätte mir Harry nicht seine Nummer  gegeben. 

"Miss, wollen sie noch etwas trinken?", fragt der Barkeeper und zeigt auf mein leeres Glas. 

Harry sagte ja, dass er erst in einer halben Stunde hier ist, also nicke ich. 

Der Barkeeper füllt mein Glas auf. "Ich hab dich hier noch nie gesehen"Er sieht mich lächelnd an. Sein Lächeln ist wirklich sympathisch. Er scheint auch noch nicht so alt zu sein, ich würde ihn auf zwanzig schätzen. "Normalerweise sitzen hier nur Männer, nachdem sie Stress mit ihren Frauen hatten, Alkoholiker oder-" Von einem Tisch hört man viele Männer ungefähr mitte vierzig rumgröllen, weil im Fernsehen gerade ein Touchdown gemacht wurde. "Oder nunmal solche." Er lacht.

"Ich war bei einer Lesung ein paar Straßen weiter und hab mich letzten Endes verlaufen."

Er formt mit seinen Lippen ein 'Oh' und runzelt belustigt die Sitrn, "Aber ich nehme an, du hast gerade deine Abholmöglichkeit bestellt?" Er deutet auf mein Handy.

Ich nicke und nehme einen Schluck von meinem Wasser. 

"Ich bin übrigens Andy."

Ich will gerade antworten da wird die Eingangstür laut aufgeschmissen und mehrere junge Frauen stolzieren in den Pub. Ich will ja nicht voreilig urteilen, aber sie sehen wirklich alle aus wie Frauen, die für Geld ihren Körper verkaufen. Huren. Ich zähle vier Stück und sie klackern auf die Bar zu. 

Mir entgeht kein einziger Blick von den Frauen, während sie an mir vorbei laufen und mich von oben bis unten abwertend anschauen. Sie scheinen lange Hosen und Shirts ohne Ausschnitt nicht gewohnt zu sein. 

Ich sehe amüsiert zu Andy und nehme einen weiteren Schluck meines Wasser. 

"Andyyy", trällert eine von den vier Gestalten und winkt ihn zu sich. Ihre Brüste sind größer als ihr Kopf. 

"Stammgäste", seufzt er als er meinen fragenden Blick sieht und geht auf sie zu. 

Ich schenke diesem Szenario nicht weiter meine Aufmerksamkeit und fange an den Untersetzer der vor mir liegt zu zerfetzen. Harry soll sich beeilen, ich will hier nicht länger rumsitzen. Auch, wenn Andy echt nett zu sein scheint. Ich wundere mich sowieso, wieso er so freundlich ist und mich abholt. Ich war wirklich nie nett zu ihm, außer als ich betrunken war. Wenn jemand so mit mir umgehen würde, hätte ich ihm schon längst die kalte Schulter gezeigt.  Aber er ist noch genau so freundlich wie als er mich das erste Mal am Campus angesprochen hat. Ich frage mich, was ihn jemals wirklich verletzen würde und ob das überhaupt möglich ist.

Was hat er eigentlich gemacht, bevor ich ihn angerufen habe? Vielleicht war er ja wieder auf einer Party. Oder bei Freunden. Oder bei Blondi. Nein, dann würde er mich wahrscheinlich nicht abholen, wenn er bei ihr gewesen wäre. Also war er wohl auf einer Party, ich kann mir nämlich nicht vorstellen, dass er seinen Samstagabend in seinem Zimmer verbringt. Oder wo auch immer er wohnt. 

Hat er eigentlich schon eine eigene Wohnung? In seinem Alter haben doch die meisten schon eine eigene Wohnung. Obwohl... Ich weiß ja nicht mal, wie alt er ist. Mir wird immer mehr klar, wie wenig ich ihn eigentlich kenne. 

"So, ich bin wieder aus der Hölle zurück."

Ich lache leise, "Hach, so schlimm, sehen die doch gar nicht aus." Meine Ironie ist nicht zu überhören.

"Nein, du hast Recht", stimmt er ernst zu, "Sie sind in Wirklichkeit noch viel schlimmer, wenn man näher dran ist."

"Ravely", sage ich und nehme noch einen Schluck von meinem Wasser. 

"Was?"

"So heiße ich. Ravely." 

"Schöner Name. Wusstest du, dass Rave 'Raabe heißt?"

Ich verdrehe gespielt die Augen. "Ja, habe ich tatsächlich schon öfter gehört."

Nach ungefähr fünfzehn Minuten geht die Tür der Bar ein weiteres Mal auf und Harry betritt den Raum. Er trägt heute mal keine schwarze Jeans, sondern eine helle, diese hat aber auch Löcher an den Knien, aber sie steht ihm mindestens genau so gut. So sieht man seine durchtrainierten Beine. Dazu trägt er einen schwarzen Hoodie. Selbst mit so einfachen Klamotten, sieht er einfach wieder unglaublich gut aus.  Als er mich erblickt, zeigt er mir wieder sein Grübchenlächeln und seine weißen Zähne. 

Mir ist das defintiv unangenehm, denn mittlerweile bin ich ihm einfach so viel schuldig. 

"Na, du Nomade", grüßt er mich und setzt sich auf den Hocker neben mir. Jasmin, Moschus und Harry.

Ich sehe, wie die vier Gestalten sich zu ihm umdrehen und sich etwas zuflüstern. Ich verdrehe wieder die Augen, "Jaja, hau bloß jegliche Sprüche raus, die du dir auf der Fahrt hier her ausgedacht hast."

"Okay, also", er räuspert sich kurz und will gerade zum Sprechen ansetzen, wird aber unterbrochen. 

"Styles", ruft Andy vom anderen Ende der Bar, während er gerade Gläser abspült. Er trocknet sich die Hände ab und kommt auf uns zu. 

Harry dreht sich zu ihm um und hebt den Arm, "Hey, Alter. Du arbeitest ja immer noch in diesem Puff." Er deutet unauffällig auf die Frauen hinter uns.

Die kennen sich? Kennt Harry eigentlich jeden? Ich beobachte stirnrunzelnd die Szene vor mir. 

"Irgendwo muss ich ja um die Runden kommen. Und du bist heute Nacht Fahrdienst für Ravely?" Andy nickt zu mir. 

Wow, ich scheine nicht mehr anwesend zu sein.

Harry sieht verwirrt zu mir und wieder zu Andy. "Ihr kennt euch?"

Andy antwortet: "Ja, sie saß so verzweifelt hier am Tresen und da haben wir uns angefangen zu unterhalten." 

"Hallo? Ich sitze hier und kann euch hören", melde ich mich jetzt auch mal zu Wort. 

"Na, wenn das so ist, werden wir jetzt fahren." Harry steht auf und nickt Andy noch zum Abschied zu.

Ich krame noch zwei Geldstücke aus meinem Geldbeutel und reiche es Andy. 

"Lass, geht auf's Haus", zwinkert er mir zu. "Mach's gut Ravely. Ich hoffe, man sieht sich mal wieder."

Ich lächle ihm noch zu, lege noch heimlich die Geldstücke hin und folge Harry aus dem Pub. 


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