Kapitel 20 - Raven, ehm Ravely!

16.1K 1.2K 89
                                    

"Was bist du? Eine Berühmtheit oder so? Du kennst wirklich alles und jeden", bemerke ich. 

Er zuckt mit den Achseln. "Na ja, ich komme halt viel rum. Ich lebe schon lange in London und mit der Zeit kennt man nunmal die Leute."

"Wo hast du gewohnt, bevor du auf's College gekommen bist?

"In Holmes Chapel, Ein kleines Dorf hier in England. Klein, aber wirklich nett, ich gehe jedes Mal wieder gerne dort hin." Sein Lächeln zeigt mir, dass er an seine Heimat denkt.

"Also lebt deine Familie dort noch?"

"Fast. Meine Eltern sind geschieden, nur meine Mutter wohnt dort mit ihrem verlobten Robin. Mein Vater lebt auch hier in London."

Ich nicke. "Hast du noch Geschwister?"

Kurz erstarrt er, lacht dann aber auf. "Man, Raven, seit wann hast du so viel Interesse an meinem Leben?"

"Sorry, bin ich zu aufdringlich?" Werd bloß nicht rot, Raven... ehm, Ravely. 

"Nein, ist schon in Ordnung, es ist nur so extrem ungewohnt", sagt er und sieht hinter mich. 

Die Kellnerin bringt unser Essen und Trinken. Ich betrachte Harry's Burger. "Wieso bestellst du eigentlich einen Barbeque-Burger, wenn du keine Barbequesoße drauf haben möchtest?"

Er wickelt das Besteck aus der Serviette und pickst eine Pommes auf. "Weil auf dem Barbeque-Burger der Belag einfach am Besten ist. Aber die Soße ist einfach grausam."

"Na toll, wieso hast du mich sie dann bestellen lassen?", frage ich angewidert und klappe meinen Burger auf, um die Soße abzukratzen. 

Er betrachtet mich amüsiert und nimmt einen Schluck von seinem Wasser. "Hör auf das da runter zu kratzen, das war ein Spaß. Ich mag Barbeque einfach nur nicht."

Ich stöhne laut auf und verdrehe die Augen, kann mein Grinsen aber trotzdem nicht verbergen. 

"Du hast meine Frage nicht beantwortet von vorhin", sage ich und beiße in meinen Burger. Er ist wirklich lecker. 

Er sieht mich fragend an und ich sage mit vollem Mund: "Ob du Geschwister hast."

"Achso, ja, natürlich." Herzhaft beißt er in seinen Barbecue - Burger ohne Barbecue und sagt mit vollem Mund: "Eine große Schwester."

Ich starre ihn immer noch mit vollen Backen an und er sieht mich mit vollen Backen an. Ich schlucke schnell den Brocken runter und pruste dann los. Das sieht einfach zu lustig aus. 

Harry muss sich beherrschen nicht auch loszulachen, damit er nicht gleich alles ausspuckt. Er schafft es ebenfalls alles runterzuschlucken, scheint sich aber verschluckt zu haben. Er hustet und lacht gleichzeitig, trinkt einen Schluck und wir beruhigen uns. 

"Eine Schwester also", sage ich und nehme ebenfalls einen Schluck von meiner Cola. 

"Ja, Gemma. Sie ist toll. Sie lebt auch hier in London momentan."

"Du hast es gut", seufze ich. "Du kannst fast so oft du willst deine Familie sehen. Ich kann meinen Dad hochstens einmal im Monat besuchen. Er wohnt vierhundert Kilometer entfernt."

"Was ist mit deiner Mum?"

Sofort sticht es in meinem Herzen. Meine Mum ist ein heikles Thema und ich habe bestimmt schon Jahre nicht mehr über sie geredet. Meine Laune sinkt binnen Sekunden. 

"Ich habe keinen Kontakt zu ihr", sage ich resigniert und esse ein paar Pommes. 

Harry sieht mich stirnrunzelnd an. "Ist das ein Thema, worüber du nicht gerne redest?"

Eigentlich schon... 

"Ich denke schon." Ich zucke mit den Schultern.

"Du denkst schon?"

"Bisher hat mich nie jemand danach gefragt, also weiß ich eigentlich nicht, ob ich soetwas jemandem erzählen möchte."

"Wow. Du scheinst weniger von 'Soetwas' zu haben, als ich dachte."

"Anscheinend."

"Und hast du Geschwister?", lenkt er höflich vom Thema ab. 

"Nein, bin Einzelkind."

"Das erklärt einiges", bemerkt Harry grinsend. "Dieses Einzelgängerding, das du durchziehst. Sowas machen meistens nur Einzelkinder", erklärt er, als er meinen fragenden Blick sieht.

"Wieso weißt du so viel?", frage ich lachend. 

Er zuckt mit den Schultern und sieht auf seinen Teller. "Schriftsteller wie wir lesen viel. Da erfährt man nunmal viele Dinge."

Und da fällt es mir wieder ein. Cate hat mir mal erzählt, dass Harry ein Buch veröffentlicht hat und ich weiß noch wie neidisch ich auf ihn war. 

"Cate meinte mal, dass du schon ein Buch veröffentlicht hast", sage ich nebenbei und schiebe mir noch ein Stück in den Mund. 

"Hach, hat sie das?" Er lacht leise. "Das war letztes Jahr im Herbst, also noch gar nicht so lange her."

"Das ist wirklich beeindruckend. Ich wünschte, ich könnte auch ein Buch von mir veröffentlichen und endlich Geld damit verdienen." Ich seufze theatralisch.

"Du musst nur extrem gut sein. Und dazu gilt nicht nur eine gute Schreibweise, sondern auch Erfahrung, Raven." Sein Blick spricht Bände.

Ich weiß ganz genau was er meint und schäme mich dafür, dass ich so wenig Lebenserfahrung in meinem Leben gemacht hab, sondern alles nur objektiv betrachtet habe. Aber wieso reicht denn das Wissen und die Gefühle, Erlebnisse, die ich in den Büchern nicht aus, um ein erfülltes Leben zu haben? Ich wünschte, die Menschheit wäre nicht auf solch Konzepte eingestellt.

"Darf ich dein Buch lesen?", frage ich. 

"Na, klar."

"Wie heißt es?" Mir ist die Freude ins Gesicht geschrieben. Ich bin froh, wenn ich in Harry's Seele schauen darf. Denn bei Schrifstellern ist es ja meistens so, dass sich in ihren Büchern auch ihre Seele spiegelt. 

Doch Harry schüttelt nur schelmisch grinsend den Kopf. 

"Du willst es mir nicht sagen?", sage ich empört. 

"Erfasst."

"Brauchst du auch nicht. Ich gebe einfach deinen Namen bei Google ein."

"Da wirst du nichts finden. Ich habe mein Buch unter einem falschen Namen veröffentlicht."

Wie bitte? 

"Wieso?"

"Weil Bücher, die hier von diesem College veröffentlicht werden ,weltweit veröffentlicht werden und ich möchte nicht, dass die Leute mich sehen."

"Sondern nur dein Buch", vervollständige ich seinen Satz. 

Er nickt. Wow, dass er das Ansehen der Leute nicht genießen möchte ist wirklich das selbstloseste, das ich je mitbekommen habe. 




Hearts Collide Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt