2.Kapitel

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Hunderte von Häuser zogen an mir vorbei als ich über die Autobahn fuhr. Autofahren bedeutete für mich Freiheit. Es war einfach eines der wenigen Dinge, die ich gut konnte. Früher hatte ich mich nicht einmal getraut das Lenkrad meiner Eltern anzufassen, aus Angst das Auto würde plötzlich lernen alleine zu fahren und heute musste ich mich zurückhalten das Gaspedal meines Autos nicht völlig durchzutreten.

Malibu und damit mein altes zu Hause lag schon einige Meilen hinter mir. Tja, mit der Farbbombe im Kunstraum war es der Schule wohl doch zu viel geworden und das Jugendamt war der Meinung ich wäre bei meiner Tante in LA besser aufgehoben. Als ob ich mein Verhalten mit einem Umzug ändern würde. Wie naiv konnte man sein und denken ich würde wieder zur lieben Prinzessin mutieren?

Meine Tante war sozusagen die einzige Verwandtschaft, die ich noch hatte. Und zufällig arbeitete sie in einem Heim für schwererziehbare Jugendliche. Also sollte sie ja perfekt mit mir umgehen können und wenn nicht, würde ich vermutlich auch dort landen. Obwohl, vorher würde ich freiwillig von einer Klippe in die Weiten des Meeres springen.

Während die Landschaft immer bebauter wurde und die Häuser immer höher, zeigte mein Navi an, dass ich mein Ziel bald erreicht habe. Ich war hier schon ewig nicht mehr, ich glaube sogar das letzte Mal als ich 7 war. Das Verhältnis zwischen meinen Eltern und meiner Tante war schon vor ihrem Tod nicht sehr gut. Immer wieder gab es Streitigkeiten wegen Geld und anderen sinnlosen Dingen.

Sie waren lediglich dort hingefahren, damit ich meine Cousins und Cousinen sehen konnte. Nun waren sie schon erwachsen und ich, die Jüngste der Familie, durfte leider Gottes ihren Platz im Haus einnehmen. Als ob es so ein großes Problem gewesen wäre, wenn ich die restlichen paar Wochen alleine zu Hause wohnen geblieben wäre. Ändern würde ich mich doch sowieso nicht, geschweige denn würde es meine Umgebung tun.

"In hundert Metern haben Sie ihr Ziel erreicht." , sprach die nervige Computerstimme durch mein Navi. Hundert Meter noch. Wie sie wohl reagieren wird.

Ein typisch amerikanisches Einfamilienhaus erstreckte sich vor mir. Weiße Holzlatten, weiße Fenster und eine große Veranda davor. Daneben eine kleine Garage sowie drumherum ein relativ großer Garten mit Pool. Es war anders als unsere Villa, aber ich mochte es und es war sicher gemütlicher als alleine in einem dreistöckigen Betonklotz zu leben.

Seufzend, weil ich absolut keine Lust auf diesen bescheuerten Umzug hatte, parkte ich im Vorhof und schaltete den Motor meines Autos ab. Ich hatte es erst seit knapp einem Jahr, weil nun ja. Mein anderes Auto hatte eventuell ein bisschen was bei einem Autorennen abbekommen und stand jetzt so gut wie immer in meiner Garage herum. Vielleicht würde ich es irgendwann mal in eine Werkstatt bringen.

Bevor ich überhaupt aussteigen und an der Tür klingeln konnte, wurde sie von Tante Lissy aufgerissen und sie rannte schon fast in ihren grünen Flauschpantoffeln auf mich zu.

HÄ?

Zurückspulen.

Ungläubig hob ich meine Augenbrauen.

Was ging denn hier ab? Tante Lissy und Flauschpantoffeln!? Das war, als wenn eine Ziege und ein Lama heiraten würden. Aber gut, in dieser Welt wunderte mich seit Langem schon nichts mehr.

"Ach Gottchen Avery bist du groß geworden! Du bist ja schon fast eine erwachsene Frau.", rief sie mir zu, während sie mich umarmte. "Ave, mein Name ist Ave", korrigierte ich sie und erwiderte ihre Umarmung halbherzig. Eigentlich hasste ich es, wenn man mich umarmte. Ich fühlte mich dann so eingesperrt und wehrlos. So als wenn man mir plötzlich eine ewig dicke Stahlkette umlegte und mir die Luft zum Atmen nahm.

Kurz sah sie mich perplex an, bevor sie sich wieder fasste und mir half die Koffer ins Haus zu tragen. "Also Ave, wie war deine Fahrt?" "Gut", antwortete ich ihr knapp und folgte ihr durch den Flur. Ich war kein Mensch für lange Reden, vor allem wenn es um meine Familie ging. Sie war Vergangenheit und diese hatte in meiner Zukunft nichts zu suchen. Sie zog mich runter und ich wollte frei sein. Ich wollte leben. Etwas was ich vor einiger Zeit nicht konnte. Aber jetzt gab es keine Eisplatte mehr, die gebrochen werden konnte. Jetzt war alles um mir herum aus Eis. Stark wie eine meterdicke Mauer aus Stein. Und in der Mauer, gefangen das Feuer.

Mein Blick fiel auf mein Linkes Handgelenk. Ich lächelte, als ich die schnörkelige Schrift sah, deren Tinte ein feines Armband auf meiner Haut bildete.

Dangerous as Fire and Beautiful as Ice.

Zwei Gegensätze, die doch zusammengehörten.

Hold me - Heart of IceWo Geschichten leben. Entdecke jetzt