69. Kapitel

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Kaum hatte ich die Worte ausgesprochen, sah ich im Augenwinkel, wie die Jungs im Türrahmen standen und verschlafen zu uns blickten. In ihren Augen lag ein undefinierbarerer Ausdruck von Unglaube. Tief atmete ich durch. Jetzt gab es wohl kein Zurück mehr. Heute würde ich entscheiden, ob ich beginne zu Verzeihen oder alles hinter mir lasse. 

"Ich hab Frühstück gemacht.", sagte ich und deutete auf die Teller mir gegenüber. "Ave-", fing Kyle an, doch ich unterbrach ihn. "Nicht. Esst erstmal, danach reden wir." Erstaunlich ruhig widmete ich mich wieder meinem Essen, während die Jungs sich zögerlich setzten und etwas auf ihre Teller machten. Die Musik spielte leise im Hintergrund vor sich hin, als mir etwas einfiel. "Weißt du eigentlich wo mein Handy ist Mace?", fragte ich ihn und er runzelte die Stirn.

Er griff in seine Hosentasche und holte das Gerät hervor. "Sorry, hatte ich völlig vergessen." "Nicht schlimm, ich muss nur meinen Termin beim Tätowierer verschieben.", fügte ich hinzu und sofort richteten sich sämtliche Augen in diesem Raum auf mich, sodass ich mich leicht unwohl fühlte.

"Was ist?" Verwundert zog ich meine Augenbrauen zusammen. "Du willst dir noch ein Tattoo stechen lassen?", fragte Mace überrascht. Ich nickte. "Ja." Er runzelte die Stirn. "Was soll es werden?", meinte er und musterte meine Arme, auf denen sämtliche Muster waren. "Keine Ahnung, entscheide ich spontan. Maxton hat immer ein paar coole Ideen." Ich zuckte mit den Schultern und trank aus meiner Kaffeetasse. Im Augenwinkel sah ich wie er inne hielt und seinen Blick auf meinen Arm heftete.

"Wie das an deinen Unterarmen?", meinte er, sodass ich mich beinahe verschluckte. Kälte breitete sich in mir aus und mein Körper verspannte sich. Ich wusste genau worauf er anspielte. Mace wusste, dass ich mich früher selbst verletzt hatte, jeder der genauer hinsah bemerkte das sofort, aber er hatte nie was gesagt. Bis heute. "Das ist lange her.", antwortete ich leicht verbittert und strich gedankenverloren über die unebene Haut an dieser Stelle. Ich war nicht stolz darauf und es war nicht schön, jeden Tag daran erinnert zu werden, wie schlimm es mir ging, aber ich akzeptierte die Narben dennoch. Sie waren ein Teil von mir und meiner Vergangenheit. Und sie erinnerten mich immer wieder daran, wie stark ich war da raus gekommen zu sein. Ich würde nie wieder so sein, dass hatte ich mir und Maci geschworen.

Ich sah das Schlucken der Jungs als sie die eigentlich kaum noch sichtbaren Narben betrachteten. Ich ignorierte es und schaltete stattdessen mein Handy ein, nur um festzustellen, dass Lissy mich zwanzig mal angerufen hatte. 'Mir geht es gut. Die Jungs sind bei mir in Malibu. Reden.', schrieb ich, sagte dann noch Maxton Bescheid und packte mein Handy auf den Tisch. 

Ich stand auf, um meinen Teller in die Spüle zu stellen und ging dann zu den beiden Kisten, die ich auf die Erde gestellt hatte. 

"Was ist das?", fragte Kyle unsicher, während ich die Boxen auf die Kücheninsel stellte. "Erinnerungen.", sagte ich. "Und Erklärungen." Ich setzte mich auf meinen Stuhl, zog die Beine an und wartete angespannt bis sie fertig waren. Zwischendurch klaute ich mir immer wieder irgendwas von Mace seinem Teller, bis dieser irgendwann meine Finger wegschlug. "Hör auf, mein Essen zu klauen.", schützend schob er den Teller aus meiner Reichweite. Dennoch hatte ich das kleine Grinsen bemerkt. "Ich glaube du vergisst, dass ich das Essen gemacht habe Macilein.", lachte ich, doch er quittierte das ganze nur mit einem bösen Blick. "Mir egal Avilein." Belustigt schüttelte ich den Kopf. "Idiot."

Als die Anderen dann fertig waren, räumte ich die restlichen Sachen zur Seite. "Ich lass euch mal alleine.", sagte Mace und ich nickte. Er warf mir einen 'Du schaffst das'-Blick zu und ich lächelte ihn dankbar an. Dann war er auch schon verschwunden und ein unangenehmes Schweigen breitete sich aus. 

"Tut mir leid, dass ihr das gestern mitbekommen habt.", fing ich an. In meinem Kopf herrschte ein völliges Chaos, ich wusste nicht womit ich zuerst anfangen sollte. Die ganze Situation erschien mir völlig surreal. In den letzten Jahren hätten die Jungs lediglich in meinen schlimmsten Albträumen in diesem Haus gesessen und nun war es tatsächlich Realität. Allein die Tatsache, dass ich sie nicht anschrie oder irgendwas nach ihnen warf, erschien mir wie ein Fiebertraum. In diesem Moment hatte ich wirklich alle meine Vorsätze ihnen genauso weh zutun wie sie mir, sollten wir uns jemals wieder begegnen, über den Haufen geworfen.

Hold me - Heart of IceWo Geschichten leben. Entdecke jetzt