46. Kapitel

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Mit zitternden Händen nahm ich mein Handy in die Hand und tippte dann auf Mace seine Nummer. Kurze Zeit später hallte das vertraute Tuten durch meine Ohren.

"Was gibt's?", schallte mir seine kühle Stimme entgegen und ich konnte schon heraushören, dass er noch immer sauer und verletzt war.

Und ich hasste mich dafür.

"I-Ich wollte mich entschuldigen Mace. Es tut mir leid, dass ich dich so angefahren hab. Ich hoffe du kannst mir irgendwie verzeihen.", sagte ich leise und versuchte mich sogut wie möglich zusammenzureißen ordentlich zu sprechen, was bei meinem hohen Puls nicht so einfach war.

Einen Moment lang blieb es still in der Leitung. Er schien mit sich zu ringen, ob er mir jetzt schon verzeihen sollte oder mich noch länger versauern lies. "Schon gut, ich schätze du weißt, dass ich dir nicht lange Böse sein kann.", seufzte er und ein Lächeln stahl sich auf mein Gesicht. Mein Körper fühlte sich plötzlich ganz leicht an, so als wäre eine riesige Last von meinen Schultern gefallen. Schon komisch, was so wenig Worte anrichten konnten. 

"Wie geht es dir?", fragte ich leise. "Jetzt auf jeden Fall besser." Ich musste schmunzeln. Im Hintergrund hörte ich es rascheln. "Was machst du gerade?", neugierig lauschte ich den Geräuschen. "Aufräumen.", murmelte er knapp und klang dabei nicht gerade begeistert.

"Was machst du?", setzte er unseren Smalltalk fort. "Mit dir telefonieren", lachte ich und schloss meine Augen. Eine Zeit lang war es still, ich lauschte den Geräuschen und hing meinen Gedanken nach.

Ich merkte gar nicht wie ich immer mehr wegdriftete bis ich plötzlich ein lautes Knallen hörte und erschrocken nach oben fuhr. Völlig aus dem Konzept gebracht brauchte ich erst einmal einige Sekunden um mich zu fassen und zu realisieren was gerade passiert war.

"Avery? Ist alles okey bei dir? Was ist passiert? Geht es dir gut?" fragte er sofort besorgt. "Ja, ja alles gut. Mir ist nur eine Flasche vom Dach gefallen", beruhigte ich ihn und bereute meine Worte sofort wieder. 

"Trinkst du etwa schon wieder?" Scheiße, ich konnte ihn nicht anlügen, aber auch nicht die Wahrheit sagen. Natürlich trank er ab und zu mit mir, aber er hasste es wenn ich so viel in mich hinein schüttete und meine Probleme damit löste. Naja zumindest für einen kurzen Moment. Und er machte sich Vorwürfe, weil er mir nicht helfen konnte.

"Es war nur eine Flasche Wein, tut mir leid Mace, aber ich konnte einfach nicht mehr. Es ist einfach zu viel. Ich halte das nicht mehr aus." Ohne dass ich es verhindern konnte zitterte meine Stimme unkontrolliert.

"Dann rede mit mir verdammt noch mal!", sagte er verzweifelt. "Ich kann dir nicht helfen, wenn du mich nicht lässt."

"I-Ich, man ich weiß doch auch nicht. Seitdem ich nach LA gekommen bin geht alles nur noch bergab. Erst Lizzy, dann die Schule, meine Brüder, die mich im übrigen schon ersetzt haben mit Kyle's neuer Freundlin und jetzt unser Trip hierher. Ugh, ich bin so wütend, diese drei Verräter denken mit einem einfachen sorry ist alles wieder gut. Und jetzt sind sie auch noch hier bei mir eingezogen und ich kann nicht mal was dagegen machen! Klar ist es nur für ein paar Tage, aber es ist einfach zu viel. Ich halte das nicht aus. Alles woran ich denken kann ist an damals. Jede verfickte Sekunde, mein Kopf ist voll von Stimmen und ich kann nichts dagegen unternehmen.", Ohne das ich es merkte hatten sich meine Fingernägel tief in meine Haut gebohrt und verursachten einen angenehmen, erleichterten Schmerz. Erschrocken riss ich meine Hand von meinem Arm zurück, als ich realisierte was ich da gerade getan hatte.

Das war nicht gut, ganz und gar nicht gut.

Ich durfte nicht in alte Muster zurückverfallen. Nicht wieder in dieses Loch fallen. Zu viele Narben trug ich mit mir. Es durften nicht noch mehr werden.

"Ich weiß das ist schwer für dich. Aber wo ist das  starke Mädchen geblieben, das ich kenne?Wo ist meine Ave geblieben?", setzte er an.

Meine Ave

Seine Worte riefen ein komisches Gefühl in mir hervor. Ein Gefühl, dass auf keinen Fall, um keinen Preis der Welt bleiben durfte. Dazu war ich zu kaputt, zu verkorkst.

"Ich kenne dich seit ein paar Jahren Ave. Du bist doch nicht mehr das Mädchen von früher. Du bist zu einer starken jungen Frau geworden. Und auch wenn diese Idioten jetzt bei dir eingezogen sind, lass dich davon doch nicht unterkriegen. Du hast so vieles geschafft, dann wirst du damit doch jetzt auch fertig werden." Seine Stimme war ruhig, doch sie baute mich auf. Stück für Stück, Zentimeter für Zentimeter.

"Ich weiß aber nicht ob ich das alleine schaffe Mace.", zweifelte ich weiter an mir. Ich war zu unsicher, zu viel war passiert.

"Aber du bist doch nicht alleine Ave. Ich bin bei dir, ich unterstütze dich. Und du weißt doch, auch wenn du es nicht sehen kannst, Maci ist bei dir, deine Eltern. Jeder der dir wichtig ist, ist bei dir. Sie alle leben in deinem Herzen, sie alle unterstützen dich. Sie alle geben dir Kraft. Und ich weiß du schaffst das, denn ich glaube an dich, wir alle glauben an dich."

Gäbe es in meinem Leben noch Tränen und andere Gefühle außer Hass und Wut, dann wäre ich spätestens jetzt vor Rührung in Tränen ausgebrochen. Seine Worte waren schön, aufbauend und ehrlich. Sie waren beruhigend und gaben mir Kraft.

Er hatte recht, ich war nicht allein. Sie alle gaben mir Kraft. Und ich würde all das schaffen, koste es was es wolle. Denn ich hatte die Chance zu leben. Maci hatte sie nicht, meine Eltern hatten sie nicht, aber ich schon. Und ich lebte, vielleicht nicht für mich, aber für alle anderen denen ich es schuldig war.

Hold me - Heart of IceWo Geschichten leben. Entdecke jetzt