54. Kapitel

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Ave P.O.V

Die Kühle Nachtluft umgab mich. Am Himmel kämpften sich die Sterne durch die Wolken - so sah es zumindest aus.

Ich fröstelte, doch ich genoss die Kälte. Mir war es egal ob ich morgen krank sein würde. Ich brauchte im Moment einfach diese Klarheit und diese Sicherheit, die ich nur in einer kühlen Nacht fand.

Schon seit ein paar Stunden lag ich hier draußen auf dem Gras, sah in den Himmel und dachte über das Gespräch mit Lizzy nach.

"Ich werde dir nicht verzeihen, vergiss es Lizzy." Nachdem ich plötzlich wieder vor ihrer Tür stand, war sie ziemlich überrumpelt gewesen. Ehrlich gesagt, es wundert mich nicht. Im Ernst, eigentlich hätte ich nicht mal von mir selbst erwartet, dass ich zurück komme. Aber es war besser so, für mich und für Mace.

"Aber warum? Weil ich ihnen geholfen habe? Du musst mich doch verstehen Avery." Aufgebracht wedelte sie mit ihren Händen quer durch die Gegend.

"Weil du mich verdammt nochmal verletzt hast! Du hast immer gewusst wie es mir ging und nie was gesagt. Du hast mich im Stich gelassen Lizzy, ich gehöre auch zu deiner Familie, aber scheinbar waren die Jungs dir schon immer wichtiger. Ich kann dir das nicht verzeihen. Du weißt wie sehr ich sie hasse und trotzdem hast du mich gezwungen sie in meinem zu Hause wohnen zu lassen. In einem zu Hause, das sie nicht mehr ihres nennen können."

"Ich dachte du würdest ihnen verzeihen. Ich dachte ihr würdet wieder näher zueinander finden. Ich dachte....Ach keine Ahnung was ich dachte. Ich kenne dich doch gar nicht mehr Ave und du erwartest, dass ich alles richtig mache. Du hast keine Ahnung wie schwer es für mich ist die Tochter meiner verstorbenen Schwester aufzunehmen. Ich will dass du dich zu Hause fühlst, aber ich bin nicht deine Mutter. Ich weiß nicht wie ich mit dir umgehen soll nach allem was passiert ist. Du gibst mir ja nicht mal die Chance an dich heranzukommen oder dich überhaupt kennenzulernen!" Verzweiflung spiegelte sich in ihren Augen wieder.

"Seit Mum und Dad tot sind, hast du nicht einmal angerufen. Ich habe nichtmal eine Karte oder eine SMS von dir zum Geburtstag bekommen. Das habe ich von niemanden. Dabei hätte ich genau das gebraucht. Nur ein einziges Zeichen, dass jemand an mich denkt. Dass ich erwünscht bin, nicht vergessen wurde und noch irgendwo eine Familie habe an der ich festhalten kann. Du erwartest, dass ich dir nach all dem freudig und mit dem schönsten Lächeln der Welt in die Arme springe. Ich könnte es tun, aber es wäre nicht echt. So bin ich nicht mehr und ich will es auch nicht mehr sein.", ruhig sah ich sie an und lies für einen winzigen Moment die Trauer in meine Augen, die ich tief in meinem Herzen eingeschlossen hatte. Ich wusste nicht, ob sie es erkennen würde, ob sie so aufmerksam war. Ein einziges Mal, hatte ich ihr gezeigt, was ich wirklich fühlte. Ein einziges Mal hatte ich ihr die Trauer gezeigt, die ich mit meiner Wut und meinem Hass übermalte.

"Nach dem Tod meiner Schwester, war es für mich so unfassbar schwer. Ich weiß, für dich sah es immer so aus, als könnten wir uns nicht mehr leiden, aber wir waren immer noch Schwestern. Wir sind es immer noch, nur an zwei unterschiedlichen Orten." schweigend blickte ich sie an. Ich wusste nicht, was ich darauf antworten sollte, also wartete ich darauf, dass sie weiter redete. "Du siehst ihr so unglaublich ähnlich Avery. Selbst euer Charakter ist ähnlich. Du bist genauso stark, stur und klug wie sie." Ich presste die Lippen zu einer schmalen Linie zusammen. Ich hasste es mit Mum verglichen zu werden. Ich würde niemals so schön sein wie sie, niemals so klug und stark wie sie es war.

"Dich zu sehen Ave, an sie erinnert zu werden bricht mir jeden Tag aufs neue das Herz. Denn dann muss ich immer daran denken, dass diese ganzen Streitereien eigentlich so sinnlos waren. Ich bin traurig und wütend auf uns - auf mich selbst - , dass wir die Zeit nicht genutzt haben und wegen so sinnlosen Dingen wie Geld auf dem Kriegsfuß standen. Denn wie du siehst ist das Leben viel zu kurz, es kann dich immer überraschen. Und das schlimmste ist du merkst erst am Ende was du alles verloren hast und bereust es. Du bereust, dass du nicht jede Sekunde genutzt hast. Aber leider wird einem das immer erst dann bewusst, wenn es bereits zu spät ist. Wenn du verloren hast, was du niemals wieder bekommst."

Benommen blickte ich auf den Boden. Die hellen Fliesen glänzten im Licht der Sonne. Ich war nicht dumm, ich wusste was Lizzy mir damit sagen wollte. Sie wollte mir nicht nur ihr Verhalten erklären, sondern mich auch dazu auffordern zu verzeihen. Anfangen zu lieben. Aber wie sollte ich das tun? Wie soll ich etwas tun, dass ich nicht wollte. 

Ich war ehrlich. Ich hatte Angst. Eine scheiß Angst wieder so sehr verletzt zu werden wie damals. Mich wieder so elendig zu fühlen. So betrogen, belogen und ungeliebt.

Angst davor mich zu fragen, was falsch mit mir war, weil ich nie wusste was ich getan hatte. War es mein Aussehen, mein Verhalten? Ich wusste es nicht. Und diese Ungewissheit brachte mich um. Sie war schlimmer als zu wissen was los war. Denn so machte ich mir mehr Gedanken und suchte pausenlos Fehler an mir. Etwas, dass ich verbessern konnte, dass mir einen Grund gab das alles verdient zu haben. Irgendetwas fand ich immer und wenn nicht redete ich es mir ein. Solange bis ich es nicht mehr ertrug.

Und trotzdem fürchtete sich ein Teil von mir davor die Wahrheit rauszufinden. Wollte ich das überhaupt? Was wenn die Antwort mir nicht gefiel. Wenn es mich noch mehr verletzen würde. Wenn ich es nicht ertrug?

Und wie immer waren da Fragen über Fragen. Aber nirgendwo fand ich eine Antwort. Vielleicht wollte ich auch keine Antwort.

Und wieder war genau das da, was ich nie wollte. Was ich dachte überwunden zu haben. 

Angst. Angst vor dem was ich nicht wusste. Angst vor Antworten. Angst vor mir selbst und meiner Reaktion.

Hold me - Heart of IceWo Geschichten leben. Entdecke jetzt