60. Kapitel

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Irgendwann raffte ich mich auf und zog mir frische Klamotten an. Dann griff ich nach etwas Geld und meinem Schlüssel und verließ das Haus. Mein Handy schien noch immer bei Mace zu sein, denn ich fand es nicht und konnte mich nicht erinnern es nach unserem Streit gesehen zu haben. 

Das Wetter ähnelte meiner Laune. Der Himmel war grau, es war kalt und stürmte. Die dunklen Wolken ließen mich Regen vermuten. Mit Kopfschmerzen lief ich unsere Auffahrt herunter und ging durch das große Tor, dass unser Grundstück von der Außenwelt abschirmte. 

Ich durchquerte die Straßen, bis ich an einem Blumenladen vorbeikam und einen Strauß kaufte. Ich weiß nicht, ob die Frau an der Kasse bemerkte, dass ich getrunken hatte, aber ihr komischer Blick ließ es mich erahnen. Nachdem ich bezahlt hatte, machte ich mich auf den Weg zum Friedhof. Ganz hinten, versteckt zwischen Bäumen, erreichte ich die Steine, die aus der Erde kamen. 

In Erinnerung an Russ und Ravina Collin. 

Ich füllte in eine der Vasen Wasser und steckte die Blumen hinein. Dann setzte ich mich vor das Grab auf den Rasen und starrte darauf. 

"Hallo Mum, hallo Dad", flüsterte ich und blinzelte die aufkommenden Tränen weg. Seit ich gestern das erste Mal seit Jahren geweint hatte, schien es als wären all meine Dämme gebrochen. Ich konnte die Tränen kaum noch unterdrücken und ehrlich gesagt, hatte ich nicht mal die Kraft dazu. Es war mir einfach egal. 

"Heute vor ein paar Jahren habt ihr mich verlassen. Ich wünschte es wäre mit der Zeit besser geworden, doch der Schmerz war noch nie so groß wie heute. Nicht nur, dass ich heute 18 werde und ich eigentlich mit euch zusammen an einem großen gedeckten Tisch mit lauter Luftschlangen, Konfetti und einer riesigen Torte sitzen sollte, nein auch, weil ich heute und auch in den Vergangenen Monaten Dinge erfahren habe, die mich tief verletzt haben. Ich verstehe, dass ich nie das leichteste Kind war, aber warum habt ihr mich die ganze Zeit angelogen, wo ihr doch wusstet wie es mir ging? Warum habt ihr mich ganz allein mit all den Problemen gelassen?

Ich habe die blaue Kiste gefunden Mum. Die aus deinem Kleiderschrank. Ich habe bisher nur ein Foto gesehen, aber selbst dieses eine Bild hat so viel in mir hervorgerufen. Schmerz, Wut, Enttäuschung, Trauer. Das sind ein paar der Gefühle, die gerade in mir in einem riesigen Sturm durcheinanderwehen. Ihr hättet ehrlich sein können, ihr hättet mir sagen können was wirklich los war. Stattdessen habt ihr mich an meinem Geburtstag völlig alleine gelassen. An einem Tag, an dem ich glücklich sein sollte, habe ich nur geweint und hoffnungsvoll und sehnsüchtig aus dem Fenster gestarrt. 

Ich habe so viele Fragen, aber ich finde keine einzige Antwort. Das Einzige was ich finde, sind noch mehr unbeantwortete Fragen, die sich zu einem noch größerem Rätsel verstricken. Nichts passt zusammen und langsam weiß ich nicht mal mehr, wo ich anfangen soll zu suchen. Ich weiß nicht mal, ob es gerechtfertigt ist, dass ich euch Vorwürfe mache, wo ich doch Schuld bin, dass ihr tot seid. Aber ich weiß auch, dass nicht nur ich Fehler gemacht habe. 

Trotz Allem vermisse ich euch so sehr. Auch wenn ich euch manchmal nur alle paar Monate gesehen habe, war die Zeit damals immer etwas besonderes für mich. Ihr seit meine Eltern und ich bin jedes mal fast vor Vorfreude gestorben, wenn ihr nach Hause gekommen seit. Heute kann ich nur noch der Zeit hinterhertrauern und an den schönen Erinnerungen festhalten, die leider immer mehr verblassen. 

Auch wenn es euch enttäuscht. - Dass ich die Jungs wieder getroffen habe, ändert nichts daran, dass ich sie nicht mehr in meinem Leben haben möchte. Sie haben mich so unfassbar verletzt, sie haben Wunden geschaffen, die nie wieder ganz verschwinden werden. Sie haben mich gebrochen und sind der Grund, warum ich nicht mehr Lieben kann. Warum ich nicht mehr Vertrauen kann. Warum ich nie mehr so sein werde wie früher. Warum ich jeden Menschen von mir stoße.

Es verwirrt mich sie in meiner Umgebung zu haben. Es macht mir Angst und gleichzeitig macht es mich so unfassbar wütend. Sie haben mir alles genommen was mich ausgemacht hatte. Meine ganze Lebensfreude von damals. Und auch wenn ich in einigen Dingen froh bin nicht mehr so zu sein wie früher, vermisse ich die Rosa Rote Brille ein wenig. Wenigstens hatte ich damals noch keine Sorgen, kannte nur Freude und Liebe und konnte einfach nur glücklich sein. 

Mittlerweile ist es so selten geworden, dass ich lache. Nur in Mace seiner Nähe kann ich wirklich glücklich sein.  Aber auch das habe ich mir kaputt gemacht. Ich weiß nicht warum ich dazu verdammt bin, verdammt nochmal alles zu zerstören. Ich mache alles falsch, was es falsch zu machen gibt und all das lässt mich mich selbst hassen. Ich kann nicht mal mehr in den Spiegel schauen, ohne dass mir bei meinem Anblick übel vor Selbstverachtung und Selbsthass wird. 

Ich weiß nicht wie ich weiter machen werde. Ich schätze ich warte einfach ab und lasse das Schicksal entscheiden, was meint ihr? Ich hoffe es geht euch gut, wo auch immer ihr seit. Es tut mir leid für alles was ich getan habe und vielleicht auch tun werde. 

Ich hab euch lieb, bis bald." 

Mit diesen Worten stand ich auf und  verließ den Friedhof. Ich lief wahllos durch die Gegend, bis ich mich dazu entschied zum Meer zu gehen. Das Wasser war unruhig, es tobte durch den Wind, der hier vorne noch viel stärker war, als im Inland. Ich zog meine Schuhe aus und ließ das kalte Wasser meine Füße berühren. 

Dann lief ich einfach am Strand entlang und genoss den kleinen Moment der wenigen Ruhe, die ich empfand. Das Meer hatte irgendwie eine beruhigende Wirkung auf mich. Das Rauschen, die Wellen, die Kälte des Wassers. - Ich mochte es.

Kaum ein Mensch begegnete mir. Schlimm war es nicht, im Gegenteil. Es war besser so.  Allein zu sein, war sicherlich besser für mich und auch für alle anderen. So konnte ich wenigstens niemanden verletzten und nichts kaputt machen. 

Hold me - Heart of IceWo Geschichten leben. Entdecke jetzt