22. Kapitel

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"Du warst lange weg.", empfing mich Mace am Abend. "Ich musste nachdenken.", erwiderte ich monoton und schnappte mir meinen Rucksack. "Worüber denn?", ohne ihn anzusehen antwortete ich auf seine Frage. "Darüber wie es jetzt weitergeht. Schließlich kann ich nicht ewig bei dir bleiben und die Schule kann ich auch nicht ewig schwänzen."  Ich wusste er wollte noch etwas sagen, doch er blieb stumm.

"Und was hast du jetzt vor?", fragte er mich, als ich wieder Richtung Tür lief. "Ich muss zu Lizzy, um mir ein paar frische Sachen zu holen. Sie dürfte grade nicht zu Hause sein." Ich zog mir meine Jacke über und wollte rausgehen, doch hielt mich seine Stimme erneut auf. "Wann kommst du wieder?" Ich zuckte mit den Schultern. "Weiß ich noch nicht, könnte spät werden, also warte nicht auf mich. Bis morgen früh." 

Mit diesen Worten schloss ich die Tür und lief die tausend Stufen erneut an diesem Tag hinunter.  Meine Beine taten mir vom vielen Training heute unglaublich weh, aber ich mochte diese Art von Schmerz. Er tat auf eine besondere Art und Weise einfach gut. Er gab mir das Gefühl, etwas geschafft zu haben, etwas richtig gemacht zu haben.

Ich ging auf mein Motorrad zu, setzte meinen Helm auf und fuhr dann durch die Straßen zu dem Haus meiner Tante. 

Glücklicherweise hatte ich mit meiner Vermutung Recht und ihr Auto stand nicht in der Einfahrt. Ganz entspannt schloss ich die Tür auf und lief dann direkt die Treppe nach oben, um mir irgendwelche Sachen zu Schnappen und diese dann in eine Tasche zu schmeißen. Einen Collegeblock mit ein paar Stiften nahm ich mir ebenfalls mit und ging dann ins Bad um mir auch von dort noch das Nötigste mitzunehmen. 

Dann schloss ich die Badtür wieder und wollte die Treppe nach unten gehen, als mir etwas einfiel. Ich lies meine Sachen auf dem Boden stehen und lief dann auf die zwei weiteren Türen zu. Tief atmete ich durch, bevor ich die Türklinke runterdrückte. Die beiden Räume waren früher die Zimmer von Lizzys Kindern, aber sie waren schon vor ein paar Jahren ausgezogen. Schließlich waren sie schon lange Erwachsen. Seitdem dienten diese Räume wie auch mein jetziges Zimmer als Gästezimmer und ich könnte wetten, dass sie hier eine Zeit lang drin gewohnt hatten.

Ich schaltete das Licht an und ging durch den kleine Raum. Ich öffnete einen der großen schwarzen Schränke und tatsächlich befanden sich noch wenige Sachen darin. Sicherlich waren sie manchmal immer noch hier. Ein weiterer Grund so schnell wie möglich von diesem Ort zu verschwinden. 

Meine Hand strich über die Bettdecke und ich setzte mich auf die weiche Matratze. Während mir der allzu bekannte Geruch in die Nase stieg, erinnerte ich mich an eine nicht allzu schöne Zeit zurück.

Flashback

Ich schrie, schrie vor Schmerz, vor Trauer und Verzweiflung. Ich schrie, während unzählige Tränen meine Augen verließen und ich irgendwie versuchte den Schmerz in meiner Brust zu überspielen.

Mein Körper zitterte, er zitterte vor Kälte, welche sich tief in meinem Inneren ausbreitete und er zitterte vor Schmerz. Mein Atem ging so schwer, dass ich glaubte jeden Moment würde die Luft zu Ende sein. Ich wollte das Fenster aufreißen, doch es ging nicht. Meinem Körper fehlte jegliche Kraft dazu auch nur meinen kleinen Finger zu bewegen.

Ich atmete seinen Duft ein, während ich mein tränenüberzogenes Gesicht in seine Decke vergrub. Ich schluchzte laut auf, als ich realisierte, dass sich ab jetzt alles ändern würde und nichts mehr so sein wird wie es war. Und das zu wissen, brach mir das Herz erneut in tausend Teile, ließ mich sinken und hielt mich Unterwasser.

Flashback Ende

Ich schüttelte den Kopf und stand wieder auf. Wie oft hatte ich in seinem Zimmer gesessen und all das durchlebt. Ich ging auf den ebenfalls schwarzen Schreibtisch zu und hob die Unterlage die darauf lag hoch. Ich wusste nicht, was ich mir dachte, dass ich das tat aber als ich das Stück Papier sah, setzte mein Atem aus. Mit zittrigen Fingern nahm ich das Bild in die Hand und betrachtete es, während es in meine Inneren immer kälter wurde.

Ich betrachtete das kleine Mädchen, wie es glücklich in die Kamera strahlte und ihre Augen dabei wie Diamanten funkelten. Stolz hielt sie das Trikot in ihrer Hand nach oben, welches den Schriftzug: "Prinzessin" zeichnete. Eine Weile starrte ich darauf und  dachte daran, wie glücklich und schön die Kindheit des Mädchens gewesen war.

Unbemerkt schlich sich ein leichtes Lächeln auf mein Gesicht, doch verschwand es genauso schnell wieder, als ich daran dachte wie sehr sie sie ihr ganzes Leben lang belogen hatten.

"Sie vermissen dich und sie haben es immer getan." Erschrocken drehte ich mich zu Lizzy um, die im Türrahmen stand. "Glaubst du doch wohl selbst nicht." Erwiderte ich verächtlich, während ich das Bild noch ein letztes Mal betrachtete und es dann in den Mülleimer neben den Tisch schmiss. Dieses Bild war einmal und war genauso eine Lüge, wie alles zu dieser Zeit. Ich wollte nichts mehr damit zu tun haben.

Ich schob mich an ihr vorbei und ging zur Treppe. "Avery bitte, du kannst nicht immer nur weglaufen.", rief sie mir hinterher. "Und wie ich das kann.", ich tat es schließlich schon ein Weile. "Es tut mir leid okey, ich hätte es dir früher sagen sollen." Ich blieb stehen und sah sie Ausdruckslos an.

"Das hätte nichts daran geändert, dass ihr mich alle Jahrelang belogen habt. Warum verstehst du nicht, dass sie gestorben sind für mich, dass sie nicht mehr in meinem Herzen und Leben existieren. Ich will nichts mehr mit ihnen zu tun haben, ich will sie einfach verdammt nochmal nie wieder sehen. Ich hasse sie, für alles was sie mir getan haben und das wird auch nichts und niemand ändern. Es ist zu spät."

"Für manche Dinge ist es niemals zu spät. Und manchmal kann man auch die größten Fehler verzeihen.", sie sah mich mit hoffnungsvollen Augen an und erst jetzt bemerkte ich die dunklen Schatten unter ihren Augen. "Manche Fehler kann man nicht verzeihen."

"Liebe verzeiht alles.", versuchte sie mich weiter umzustimmen, doch ich verdrehte nur die Augen.

"Ja vielleicht, aber ich hab schon vor langer Zeit aufgehört zu lieben.", ich wirbelte herum, schnappte meine Sachen und rannte die Treppen nach unten aus dem Haus.

Hold me - Heart of IceWo Geschichten leben. Entdecke jetzt