"Naa, hast du mich vermisst.", grinste ich und sprang, sobald die Tür geöffnet wurde, in seine Arme. "Ich hatte mich eigentlich schon an die entspannte Ruhe gewöhnt.", scherzte er und drückte mich einmal fest. Für einen kurzen unscheinbaren Moment vergrub ich meine Nase in dem himmlischen Geruch seines Parfums.
Dann stellte er mich wieder auf meinen Füßen ab und kurz zuckte ich wegen der Nähe unserer Gesichter zusammen. Seine warmen Augen funkelten mir glücklich entgegen und einen kleinen Moment schien die Zeit still zu stehen. Alles um uns herum verschwand und es gab nur noch uns beide.
Doch so schnell der Moment auch gekommen war, so schnell war er auch wieder vorbei. Die grauen Wolken zogen wieder auf und verdeckten die Sonne, die eine ungewohnte Wärme auf mich niederstrahlte. Ich wendete meinen Blick ab und löste mich von ihm. Dann sah ich auf mein klingelndes Handy.
Lizzy. Das was das siebente Mal, dass sie mich anrief.
Genervt drückte ich auf den roten Hörer. "Was denkst du ist der Grund für ihre Anrufe?", fragte Mace mich. Ich zuckte die Schultern. "Keine Ahnung, interessiert mich auch nicht. Wahrscheinlich will sie, dass ich wieder zurückkomme, weil sie wegen dem Jugendamt Angst hat."
"Meinst du nicht, du solltest nochmal mit ihr reden? Ich meine sie ist deine Tante und vielleicht macht sie sich Sorgen." Meine Hand verkrampfte sich um meinen Rucksack. Ihn eiskalt ignorierend, quetschte ich mich an ihm vorbei. "Stehst du auf meiner Seite oder auf ihrer? Als ob sie sich Sorgen machen würde. Das hat sie sich die letzten Jahre auch nicht." Hatte sie mich jemals angerufen, jemals nachgefragt wie es mir ging? Stattdessen hatte sie mich jahrelang angelogen, alle hatten das. Und sie alle wussten wie es mir ging. Keinen hatte es interessiert.
"Was gibt es zu Essen?", fragte ich stattdessen.
"Avery.", seufzte er und sah mich traurig an. Ich konnte den Schmerz in seinen Augen nicht ertragen und wendete meinen Blick ab. "Du weißt, dass ich nicht gern darüber rede Mace. Und es tut unglaublich doll weh zu wissen, dass es dich verletzt, aber so bin ich nun mal. Ich kann mich nicht von heute auf morgen ändern. Nicht mal für dich.", entschuldigend sah ich ihn an, bevor ich mich umdrehte und ins Bad flüchtete.
Im Spiegel blickte ich mich an. Die letzten Tage hatten mich ziemlich sicher sehr mitgenommen. Unter meinen Augen waren noch tiefere Ringe als sonst und meine Haut wirkte ungewöhnlich blass. Ich wünschte mein Leben wäre anders gekommen. Dann würde ich nun glücklich mit meinen Eltern am Esstisch sitzen. Vermutlich hätten sie mit mir über meine Zukunft geredet, während meine Brüder darauf geachtet hätten, dass mir kein Junge näher als 1km kommen würde.
Zwar konnte ich nun machen was ich wollte, ohne Zwang und Verpflichtungen aber trotzdem wünschte ich mir nichts anderes als ein glückliches Leben zu führen. Man hatte mir meine halbe Kindheit gestohlen.
Scheinbar war ich nicht dafür gemacht ein unbeschwertes Leben zu führen.
Nachdem ich mir einen Schwall kaltes Wasser in mein Gesicht geklatscht hatte, verließ ich das Bad wieder. Ich konnte mich glücklich schätzen heute mal kein Make-Up aufgetragen zu haben.
"Dein Handy klingelt schon wieder." Genervt verdrehte ich die Augen und nahm den Anruf an. Vielleicht hörte sie dann endlich auf. "Was willst du?" "Ein bisschen freundlicher junge Dame.", kam mir ihre strenge Stimme entgegen. "Ich wüsste nicht wieso." Ich war immer noch unfassbar sauer und enttäuscht von ihr. Wieso sollte ich nett zu ihr sein, wenn ich ihr ja scheinbar egal war.
"Das Jugendamt hat heute angerufen. Sie wollten wissen wie es dir geht und ob du dich gut verhältst. Und du sollst sie zurück rufen." Na toll. "Und, hast du ihnen gesagt, dass ich zurzeit nicht bei dir wohne? Dass ich die Schule schwänze und nur Probleme mache?", sagte ich abfällig.
"Nein habe ich nicht Ave. Ich habe für dich gelogen, wieder einmal.", sagte sie, doch es überraschte mich nicht. "Stimmt, alles andere würde deinem Ruf auch schaden und deine Fähigkeiten in Frage stellen." Im Hintergrund hörte ich ihren tiefen Atemzug.
"Hör zu Avery, ich will mich nicht schon wieder mit dir streiten. Du wirst nächste Woche 18 und ich möchte, dass du wieder zu mir kommst. Du kannst doch nicht ewig bei deinem Freund bleiben." Ich schnaubte auf. Klar hatte sie recht, ich konnte nicht ewig auf Mace seinem Sofa schlafen und seine Wohnung blockieren. Doch warum sollte ich ausgerechnet zu ihr zurückkommen?
"Gib mir einen Grund. Du hast mich verdammt nochmal gezwungen, dass sie bei mir wohnen! Weißt du eigentlich was du mir damit angetan hast? Ich bin dir doch scheinbar völlig egal!" Meine Stimme bebte vor Verzweiflung und wenn ich ehrlich war, war ich das auch. Sie hatte mich belogen und immer und immer wieder enttäuscht.
"Es tut mir leid, alles. Dass ich dich belogen habe, dich zu all dem gezwungen habe. Ich dachte es würde dir besser gehen, wenn du sie wiedersehen würdest. Ich dachte sie würden dir helfen und du würdest dich freuen. I-Ich konnte doch nicht ahnen, dass das alles so endet. Woher sollte ich wissen, dass du sie so sehr hasst. Woher hätte ich wissen sollen, dass du sie am liebsten umbringen würdest."
"Hättest du auch nur einmal in den letzten Jahren mit mir gesprochen, hättest du es gewusst. Du hast dich nie gemeldet, kein einziges Mal. Kein Anruf, kein Lebenszeichen. Nicht mal zu meinem Geburtstag Lizzy. Du hast dich nie für mich interessiert, nie gefragt wie es mir geht. Ich war immer alleine, dabei hätte ich dich und alle anderen nach Mum und Dads Tod so sehr gebraucht. Aber es war dir egal, ich war dir egal. Ich war euch allen scheißegal. Und das werde ich euch nie verzeihen."
Dann legte ich auf und starrte gedankenverloren auf mein Handy. Ich war wütend, verzweifelt und traurig. Dieselbe Enttäuschung, die ich verdrängt hatte schaufelte sich ihren Weg nach oben frei und breitete sich in mir aus.
Mit den Händen vor meinem Gesicht sank ich an der Wand herunter. Wäre ich nicht so wie ich war, hätte ich jetzt sicherlich geweint. Ich war überfordert. Am liebsten würde ich einfach weglaufen und nie wieder kommen. Einfach weg von all dem hier. Einfach wieder frei sein. Doch meine Probleme würde ich mit mir nehmen. Ich wünschte ich könnte sie einfach abschnallen und irgendeine Klippe herunterwerfen.
Alles wäre so viel einfacher, doch es ging nicht.
Und ich hasste es.
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Hold me - Heart of Ice
Teen Fiction(Deutsch) 》Trotzt dieser Leere, die mich in diesem Moment und seit Jahren beschrieb, konnte man die Spannung und die Gefühle in der Luft spüren. Sie hingen wie Blitze um uns und bildeten eine Gitter voller Schmerz, Hass und Erinnerungen. Ich war gef...