Zugleich erschöpft und Energiegeladen zog ich mir Sportsachen an und ging nach unten in den Keller. Auch wenn ich diese Idioten nicht sehen wollte, sah ich es nicht ein mich verstecken zu müssen, schließlich war das hier mein Haus. Sollten sie doch mit den Konsequenzen leben, wenn sie hier wohnen wollten.
"Ich kann nicht glauben, dass sie uns so sehr hasst." Tyler's Stimme klang traurig - irgendwie bedrückt und niedergeschlagen. "Was hast du erwartet? Dass sie uns nach fast sechs Jahren weinend vor Freude in die Arme springt? Ich meine natürlich, hab auch ich auf diese Reaktion gehofft, aber sie ist bald achtzehn und keine zwölf mehr. Sie ist nicht mehr das selbe Mädchen wie damals.", erwiderte Kyle, auch wenn ich allein aus seiner Stimme heraushören konnte, wie schwer ihm diese Worte über die Lippen kamen.
Schlauer Junge
"Sie hat alle Bilder mit uns abgehangen" Ach was du nicht sagst Jace. "Was glaubt ihr wohl was da oben so los ist? Ob unsere Zimmer noch existieren?" Ich erschien im Türrahmen und sofort verstummten sie.
"Av-" "Spar dir das", unterbrach ich Tyler und sah sie kalt an. Mein Gesicht schien sicher wie tot. Emotionslos, ohne sämtliches Funkeln in den Augen. "Die Zimmer existieren noch, nur sind es nicht mehr eure. Also tut mir den Gefallen und gebt mir verdammt nochmal keinen Grund wegen euch auszurasten. Es ist schon schlimm genug, dass ihr euch überhaupt traut hier aufzukreuzen, nach allem was ihr getan habt." ohne sie noch eines weiteren Blickes zu würdigen, durchquerte ich das Wohnzimmer, in dem sie standen und ging die Treppen nach unten in den Keller, in welchem sich seit zwei Jahren ein Fitnessraum befand.
Als ich Maci und Mace kennenlernte, hatte ich mit ihrer Hilfe meine Liebe zum Sport entdeckt. Es war wie ein Traum, den ich nach dem Aufwachen immer vergessen und nun ohne Wissen zur Realität gemacht hatte. Ich war mehr als nur froh darüber, denn mit Mitte 15 kam von einem Tag auf den anderen meine Unzufriedenheit mit meinem Körper. Ich hasste alles an mir so sehr, dass ich mich nicht einmal mehr im Spiegel ansehen konnte, ohne dass mir schlecht geworden ist. Dieses Idealbild was man von Social Media bekam, aus den Fernsehsendungen und Modemagazinen hatte mich förmlich zerstört.
Jede Kleinigkeit an meinem äußeren Erscheinungsbild, jede Narbe, jeder Pickel, jeder Gramm zu viel zerstörte mich von Tag zu Tag mehr und mehr. Ohne Pause, ohne Gnade. Es gab nichts mehr an mir, das mir gefiel. Am liebsten wäre ich zu Hause geblieben, hätte mich 24/7 in meinem Zimmer versteckt. Doch die Zwillinge haben mir gezeigt mich selbst zu akzeptieren, stolz auf meine Narben zu sein und auf die Meinung anderer zu scheißen. Mit dem Sport gewann ich an Mut, Sicherheit und Selbstvertrauen. Mir wurde es egal, was andere von mir dachten, ich hatte Mace und Maci und mehr brauchte und wollte ich auch nicht. Den Glauben an die Liebe hatte ich sowieso schon längst verloren.
Meine Schuhe hallten dumpf auf dem Boden, während ich mir laut Musik an machte und dann zum Laufband ging, um mich aufzuwärmen. Nach einer viertel Stunde ging ich dann zum Boxsack und lies all meinen Frust an diesem heraus. Meine Füße und Fäuste knallten mit all meiner Kraft und ohne Gnade gegen den Boxsack, sodass er bei jedem Schlag ordentlich nach hinten flog und fast an die Wand dahinter knallte. Meine brennenden Arme und Beine interessierten mich dabei so viel wie meine blutigen Hände. Nämlich gar nicht.
Meine einzige Absicht in diesem Moment war es meine Wut über jeden auszulassen. Über meine Tante, die Idioten die sich einst meine Brüder nannten und mich selbst. Ja, sogar mich selbst, einfach weil ich so dumm war und überhaupt ein Wort mit ihnen geredet hatte, weil ich zu dumm war ganz am Anfang nichts zu merken und weil ich so dumm war mich nicht gegen Lizzy durchzusetzen. Dadurch hatte sie doch auch nur wieder ihr Ziel der Kontrolle über mich erreicht, sie wusste nun, womit sie mir drohen konnte. Sie hatte einen Schwachpunkt an mir gefunden, eine Lücke mit der sie mich zu fast allem zwingen konnte, denn wenn ich ehrlich bin, hatte ich verdammt nochmal keine Lust zum Psychologen zu müssen oder in ein Heim gesteckt zu werden. Nur weil man der Meinung war, ich hätte den Tod meiner Eltern nicht richtig verkraftet, mich deswegen nicht unter Kontrolle und Aggressionen. Ja vielleicht stimmt letzteres, aber ich hab verdammt nochmal die Nase voll, dass andere meinen zu wissen, was das beste für mich sei. Wie konnten sie das auch, wenn sie mich nicht einmal kannten, und schon gar nicht verstanden?
Mit all meiner Kraft schlug ich gegen den Boxsack und schrie dabei all meine Wut aus. Ich hasste diese Scheiß Welt so sehr. Sie nahm mir alles. Alles was mir lieb war, alles was mich glücklich machte. Alles was mir einen Grund zum Leben gab.
Zuerst die Jungs, meine vermeintlichen Freunde, Ryan, meine Eltern, Maci und jetzt meine Freiheit.
Von einer Sekunde auf die andere berührte etwas meines Schulter und aus gewohntem Reflex, griff ich nach dem Arm, verdrehte ihn so schnell, dass die Person nicht einmal reagieren konnte und brachte sie zu Boden.
Schwer atment erkannte ich Jace und lies dann abrupt von ihm ab. "Fass. Mich. Nie. Wieder. An. Verstanden? Und schon gar nicht wenn ich wütend bin und trainiere, dass kann nämlich ganz schön gefährlich ausgehen. Das gilt für euch alle." Wenn einer da war, dann waren es alle. Schon ohne hinzusehen konnte ich ihre Anwesenheit erkennen. Dafür brauchte ich kein dämliches Familienband oder wie man es nannte. Das war schon längst zerissen. Schon vor Jahren.
"Du blutest Avery." Genervt verdrehte ich die Augen und betrachtete dann meine blutüberströmten Hände. Ich zuckte gleichgültig mit den Schultern. "Gibt schlimmeres.", meinte ich und wischte es mir an einem Handtuch ab, um meine Sachen nicht damit zu beschmieren. Als ob das bisschen Blut mich jetzt umbringt.
"Du solltest das wenigstens desinfizieren. Ich will meinen Zwilling nicht an einer Blutvergiftung verlieren." Abrupt blieb ich stehen und sah ihn mit einem meiner bekannten 'Das-ist-nicht-dein-Ernst Blick' an, bevor ich gekünstelt auflachte und ihn verächtlicht ansah. Wen will der verarschen. Mich oder sich selbst? "Dazu hat es nicht mal eine Blutvergiftung gebraucht. Das hast du auch so geschafft." Ich konnte den Schmerz förmlich spüren, den er empfand und es sein Herz in tausend Stücke zerriss. Ob ich Mitleid empfand?
Niemals.
Never ever in a million years
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Hold me - Heart of Ice
Teen Fiction(Deutsch) 》Trotzt dieser Leere, die mich in diesem Moment und seit Jahren beschrieb, konnte man die Spannung und die Gefühle in der Luft spüren. Sie hingen wie Blitze um uns und bildeten eine Gitter voller Schmerz, Hass und Erinnerungen. Ich war gef...