Ich lief durch die Flure Richtung Umkleiden und Sporthalle. Nur noch einzelne Schüler rannten herum, während ich ganz entspannt weiterlief. Schon auf dem Weg um die Ecke zu gehen, griff plötzlich eine Hand nach meinem Arm und noch bevor ich mich hätte wehren können, wurde ich in einen Raum gezogen.
"Geht's noch?", fauchte ich die Person an und drehte mich dann um, um das Gesicht des Übeltäters zu sehen. Leicht erschrocken wich ich zurück und knallte deswegen gegen irgendein Regal, als ich diese bekannten Augen sah. Dann fing ich an zu Grinsen, mit dem Versuch all meine Gefühle zu überspielen - die ganze Angst und Unsicherheit, die mein Gehirn in den hintersten Ecken hervorkramte.
"Hallo Bruderherz", sagte ich und schaute ihm herausfordernd in die Augen. Er schien erschrocken, fassungslos und konnte scheinbar nicht einmal glauben, dass seine Schwester vor ihm stand. Zugegeben, in seiner Position würde ich das auch nicht. Schließlich bin ich, als wir uns das letzte Mal gesehen hatten noch in einem pinken Kleid rumgerannt. Mit großen Augen schaute er mich an und schüttelte dann langsam den Kopf. Nach einigen Sekunden, die sich wie eine Ewigkeit anfühlten, blickte er mir in die Augen und ich hatte das Gefühl seine Gedanken lesen zu können. Er war wie ein offenes Buch, dessen Seiten man einfach durchblättern konnte, ohne ein Hindernis. Meines war verschlossen, jede einzelne Seite, mit Schlössern dessen Passwörter selbst manchmal ich nicht kannte.
"Du bist es also wirklich.", meinte er und versuchte sicher zu wirken, doch seine Stimme und seine Augen schrien nur so nach Unsicherheit. Ich versuchte im Gegensatz zu ihm so viel Hass und Verachtung in meinen Blick zu stecken wie ich nur konnte. "Die einzige Wahre", Ich verbeugte mich so gut es ging, bevor mein Grinsen verschwand und ich ihm eiskalt ins Gesicht sah.
"Wo wir das jetzt geklärt hätten, würde ich gerne gehen.", ich drehte mich um und wollte wieder hinaus laufen, als er mich am Arm zurückzog. Erschrocken riss ich ihn aus seinem Griff - seine Hand fühlte sich an wie Feuer.
"Was willst du?", genervt funkelte ich ihn an. Er sah mich unsicher an und fuhr sich nervös durch seine Haare. "Mit meiner Schwester reden." Ich lachte verächtlich auf. Was dachte er von sich? "Welche Schwester?", er sah so aus, als hätte ich ihn gerade eine Faust ins Gesicht versetzt. Doch es war die Wahrheit. Er hatte schon lange keine Schwester mehr.
"Es tut -" "Wag es ja nicht.", unterbrach ich ihn harsch. "Du hast die ersten 12, ja vielleicht auch 13 oder 14 Jahre eine Schwester gehabt, aber die ist Tod. Ertrunken an Verzweiflung, Schmerz und sinnloser Hoffnung. An Albträumen und Enttäuschung. Weil ihr nicht da wart, weil du deine Zwillingsschwester allein gelassen hast. Deine Entschuldigungen kannst du dir sonst wo hin stecken. Die holen keine verdammten 5, nein fast 6 Jahre auf. "
"Aver-", er streckte seine Hand aus und wollte nach der meinen greifen, doch ich wich so weit es ging zurück. Als hätte ich Angst vor seiner Berührung, sah ich ehrfürchtig auf jede seiner Bewegungen. "Fass mich nicht an.", meinte ich harsch zu ihm.
Er sah... irgendwie...traurig aus.? Doch hatte er keinen Grund dazu. "Du hättest zu mir halten sollen, aber das hast du nicht. Du hast mich verlassen wie jeder andere Mensch. Und du kannst Kyle und Tyler sagen, dass ich vor nichts zurückschrecken werde, um euch von mir fernzuhalten. Frag Devran, er kennt einen Bruchteil von dem, wozu ich im Stande bin." Schneller als er hätte reagieren können, war ich aus dem Raum verschwunden und lief, nein rannte schon fast in Richtung Umkleiden.
Ich lief weg, so wie immer.
Tief atmete ich durch, verdrängte die eben passierten Ereignisse und drückte dann die kalte Türklinke nach unten. Die Tür öffnete sich und gewährte mir Zutritt in einen großen Raum, voller Bänke und Spinde. Hinter einer Tür waren scheinbar Duschen - die ich aber eh nicht benutzen würde - sowie Toiletten.
Mehrere Mädchen befanden sich schon hier drin und zogen sich um. Ich suchte mir meinen zugeteilten Spind und fing dann an mich ebenfalls umzuziehen. Dabei ignorierend die anderen Mädchen, die mich anstarrten. Vermutlich wegen meiner Tattoos und Muskeln, oder der schon verblassten blauen Flecke und Narben. Wer weiß. Sollen sie doch glotzen, mir ging es am Allerwertesten vorbei was andere über mich dachten.
Ich trug eine schwarze kurze Sporthose und ein schwarzes etwas weiteres Sport Top. Ein großer Fan von den Mädchen, die im Sport BH in den Unterricht gingen war ich nicht. Meiner Meinung nach war das für die Schule einfach nicht passend, aber mir sollte es recht sein. Es war und ist des jedem Seine.
"Hey", sprach mich ein Mädchen an. Sie hatte naturblonde gewellte Haare, grau-blaue Augen und ein rundliches Gesicht. Irgendwie kam sie mir bekannt vor.
"Hey?", verwirrt sah ich sie an. Was wollte sie denn. "Mein Name ist Ally. Ich bin in deiner Klasse und wollte nur mal Hallo sagen. In letzter Zeit, haben sich da ja nicht so viele Möglichkeiten für geboten.", sie lächelte mich unsicher an. Jap, dass ich in letzter Zeit recht oft geschwänzt hatte, war mir sehr wohl bewusst.
Während ich meine Flasche nahm, verstaute ich meine Sachen in dem Spind und knallte diesen dann mit einem lauten Scheppern zu. "Na dann Hallo Ally. Meinen Namen kennst du ja sicherlich schon."
"Du machst viel Sport oder? Darf ich fragen was genau?", neugierig musterte sie mich. "Boxen und Fitness.", erwiderte ich knapp. Ich war wenig darauf aus ein Gespräch mit ihr aufzubauen, weshalb ich hoffte dass meine knappen Antworten ihr das verdeutlichten. Unbedingt unhöflich wollte ich nicht sein, aber ich war in meiner jetzigen Situation definitiv nicht in der Lage Freundschaften zu knüpfen und ehrlich gesagt wollte ich es auch nicht.
"Oh wie cool, ich liebe es Basketball zu spielen. Besonders mit meine Freund und seinen Brüdern." Ein komisches Gefühl braute sich in mir auf. Mein Inneres verkrampfte sich und eine Kälte nach der anderen überkam mich. "Kenn ich ihn?", fragte ich.
"Oh, ich denke nicht. Kyle ist zwei Jahre älter als du und ich. Er und seine Brüder gehen zwar beide auf unsere Schule, aber da du noch nicht so oft da warst, hast du ihn sicherlich noch nicht gesehen. Aber ich kann ihn dir gerne mal vorstellen wenn du willst.", redete sie begeistert, während ihre Augen wie Diamanten funkelten.
"Kyle Collins?", hakte ich monoton nach. "Ja, kennst du ihn?" Überrascht blickte sie mich mit großen Augen an. Wie schnell sie mich ersetzte hatten, dass sie nun mit ihr statt mit mir all das machten, was bei uns früher Alltag war. So sehr konnten sie mich ja nicht vermisst haben. "Leider viel zu lange." Sie riss ihre Augen auf. "Wart ihr zusammen?" Erschrocken fing ich an zu Husten. "Um Gottes Willen nein. Das hat ganz andere Gründe. Hör zu Ally. Du bist wirklich nett und ich finde es echt gut, dass du nicht so wie ein paar andere Mädchen hier bist, aber es ist besser wenn du nichts mit mir zu tun hast. Ich will dich nicht in Gefahr bringen."
Damit ließ ich sie perplex stehen und ging in die Turnhalle. Mag sein, dass mein Handeln nicht gerade nett war, aber ich konnte keine Freunde finden, wenn ich nicht mal mit mir selbst klar kam. Das sie die Freundin von ihm war, ignorierte ich ganz einfach mal.
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Hold me - Heart of Ice
Teen Fiction(Deutsch) 》Trotzt dieser Leere, die mich in diesem Moment und seit Jahren beschrieb, konnte man die Spannung und die Gefühle in der Luft spüren. Sie hingen wie Blitze um uns und bildeten eine Gitter voller Schmerz, Hass und Erinnerungen. Ich war gef...