Sonnenbrillentyp P.O.V.
Ich beobachtete das Mädchen im Wasser. Ihre schwarzen nassen Haare glänzten vor sich hin und ihr Blick war starr aufs Meer gerichtet.
Eine unheimliche Leere breitete sich in mir aus, als ich mich an sie erinnerte. Ich hatte das selbe durchgemacht wie Ave, genauso wie Tyler und Kyle. Auch wir hatten jemanden verloren. Doch waren wir auch selbst daran Schuld.
Ich kannte ihre Geschichte nicht, aber seitdem ich von ihrem Verlust wusste, sah ich kein gefühlsloses und brutales Mädchen mehr. Ich sah eine tief verletzte Person, die sich durch ihre eiserne Mauer schützen wollte.
Sie hatte ihre Eltern verloren. Sie hatte ihre Geschwister verloren. Wie schwer muss dass für sie gewesen sein?
"Wie war sie so, als du sie kennengelernt hast Ryan?", murmelte ich halb abwesend, konzentriert auf die Szene vor mir.
"Das erste Mal gesehen hatte ich sie bei einem Essen bei ihren Eltern. Es war anscheinend ein sehr wichtiges Geschäft, denn wir waren aufgebrezelt wie sonst was. Ave hatte zwar damals ein haufen Make- Up im Gesicht, aber selbst ein Blinder hätte die tiefen dunklen Augenringe und Schatten unter ihrem Gesicht entdeckt.
Sie schien sehr abgemagert, bestand praktisch nur noch aus Haut und Knochen. Ich hab sie die gesamte Zeit wo wir bei ihr waren kein einziges Mal echt lächeln sehen. Ihre Augen waren matt vor Trauer und Schmerz und wenn ich euch sage, dieser Anblick würde euch das Herz brechen, dann mein ich das auch so.
Wir waren damals über Nacht geblieben, weil es schon spät war. Ihr wisst nicht, wie schlimm es war, als ihre Schreie mich aus dem Schlaf gerissen haben." , erzählte er, während er besorgt aufs Meer zu Ave starrte. Er machte sich Sorgen, dass sah jeder.
"Wir waren da gerade mal 12 Jahre alt.", ergänzte er und ein mulmiges Gefühl breitete sich in meiner Magengegend aus. Tausend Stimmen schwirrten in meinem Kopf herum und redeten kreuz und quer durcheinander. Irgendwas war da, aber die Puzzleteile wollten sich einfach nicht zusammenfügen, die Stimmen wollten sich einfach nicht ordnen.
"Sie wurde in der Schule gemobbt und hatte starke Depressionen, aber ihre Eltern waren trotzdem nie für sie da. Das einzige was von ihnen kam waren Klamotten, Spielsachen und Geld. Dabei wollte sie das alles nie, sie wollte immer nur, dass sie mit ihr redeten und für sie da waren. Ich hab versucht sie abzulenken, aber es endete damit, dass sie sich in mich verliebte. Ab da ging alles nur noch bergab. Tracy, meine Ex, kam und hat mich um ihren Finger gewickelt. Ich hab Ave fallen gelassen und bin gegangen. Danach hab ich bis auf heute nie mehr etwas von ihr gehört. Selbst in der Presse, war sie kein einziges Mal mehr zu sehen.
Es hat mich geschockt, wie sehr sie sich verändert hat und es nagt an mir, dass ich einer der Gründe dafür bin. Vermutlich ist das auch der Grund, warum ich mich ihr gegenüber so dumm verhalte. Sie ist einfach eine komplett andere Person als damals." Reue spiegelte sich in seiner Stimme wieder und ich konnte es ihm nicht verübeln. Mir würde es genauso gehen.
Ich sah wie dieser Mace sie plötzlich umarmte und ich konnte die ausgehende Kälte von Ave förmlich spüren. Der Anblick schmerzte, als sie ihn versuchte wegzudrücken. Ich wusste nicht, was sie fühlte oder dachte, aber ich konnte es ahnen.
Sie versuchte ihn wegzustoßen, ihn auf Abstand zu halten. Vermutlich aus Angst, oder etwas anderem?
Eine kalte Gänsehaut überzog meinen Körper, als ich ihre zitternden Hände sah. Wie kalt musste ihr nur sein?
"Sie hat viel zu viel durchgemacht.", bemerkte ich. "Ich kann es ihr nicht verübeln, dass sie so geworden ist." Sie versuchte Aufmerksam auf sich zu machen, wie stumme Hilfeschreie. Wie kleine Teile, die ein großes Bild ergaben.
"Ich ihr auch nicht, aber es hätte nie so weit kommen müssen.", sagte er und ich nickte. "Hast du sie eigentlich mal gesehen, also ihre Geschwister?", fragte Kyle und ich sah ihn leicht verwirrt an.
"Nein, ich hab auch nie ihre Namen erfahren. Sämtliche Bilder wurden abgehangen, wenn es denn je welche gab. Ich hab nur welche von ihr gesehen und die Person darauf, war eine völlig andere, als sie damals und jetzt war. Ich weiß nur, dass sie einen Zwilling hatte, aber sonst hab ich keine Ahnung. Es wurde nie wirklich viel darüber gesprochen, ich denke einfach es hätte ihr zu doll weh getan und sie zu viel Kraft gekostet, die sie nicht hatte." Er machte auf einmal einen bestürzten Gesichtsausdruck.
"Mir wird gerade erst klar, dass ich sie nie wirklich richtig gekannt hab.", beantwortete er unsere unausgesprochene Frage.
Ich beobachte wie, dieser Mace ihr beruhigend über die Haare strich und ihr einen Kuss auf den Kopf gab. Kurz darauf waren sie auf dem Weg nach draußen zu ihrem Platz dicht neben unserem.
Sie schien uns völlig zu ignorieren. Auch als sie sich in unsere Richtung dreht um aus einer Kühlbox zwei Flaschen Bier rauszuholen, beachtete sie uns kein einziges Mal.
Ich musterte sie. Erst jetzt registrierte ich die vielen Tattoos auf ihrem Körper. Das auf ihrem Bauch hatte ich vorhin gesehen, doch nun fielen mir auch die anderen auf. Sie hatte ihre Haare zu einem Zopf gebunden, weshalb ich nun das Muster auf ihrem Rücken sah.
Beginnend mit einer Blume zog sich eine Schrift über ihr rechtes Schulterblatt. Vermutlich ein Spruch, ich konnte es über diese Entfernung nicht lesen. An ihrem Nacken waren kleine Schmetterlinge zu sehen und an ihrem Knöchel ein Rosenmuster.
Doch viel mehr Aufmerksamkeit erhielten die dunklen Formen und Linien auf ihrem linken Arm. Ein Muster, dass ich nicht genau deuten konnte erstreckte sich über ihren unteren Arm und schien beim zweimaligen Hinsehen irgendwie unvollständig. So als würde es noch einen zweiten Teil geben, der dort dazu gehörte.
Ich schüttelte den Kopf und sah dann noch die letzten Kunstwerke auf ihrer Haut an. Ein weiteres Blütenmusster war an ihrem Handgelenk und ein anderes an ihrem Bein. Anscheinend mochte sie Blumen oder sie hatten eine besondere Bedeutung für sie.
Dieses Mädchen hatte Geheimnisse. Geheimnisse, die ich lösen wollte.
DU LIEST GERADE
Hold me - Heart of Ice
Teen Fiction(Deutsch) 》Trotzt dieser Leere, die mich in diesem Moment und seit Jahren beschrieb, konnte man die Spannung und die Gefühle in der Luft spüren. Sie hingen wie Blitze um uns und bildeten eine Gitter voller Schmerz, Hass und Erinnerungen. Ich war gef...