42. Kapitel

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Damals hatten sie auch keine Rücksicht auf mich genommen, hatten nicht ein einziges Mal angerufen, kein Brief, keine SMS. Es war ihnen egal, ICH war ihnen egal. Nicht einmal mein eigener Zwilling hatte zu mir gehalten.

Dabei war unsere Bindung so stark gewesen. Er war ein Teil von mir, meine zweite Hälfte.

Ich hatte mich oft gefragt, wer ich gewesen wäre, hätten sie mich nicht verlassen. Wie mein Leben gewesen wäre, wenn ich mit ihnen aufgewachsen wäre, wenn sie mich jeden Tag aufgeweckt hätten, mich zur Schule gebracht und mich vor Jungs beschützt hätten. So oft hatte ich daran gedacht, davon geträumt und doch würde es für immer eine Vorstellung bleiben, die die Realität niemals erreichen würde.

Und trotzdem  hatte er Recht, ich hatte keine Lust eine Blutvergiftung zu bekommen. Zum einen, weil ich in meinem Leben noch in hunderte von Ärschen treten wollte und weil ich noch zu jung zum Sterben war. Ich hatte meine Freiheit doch gerade erst wiederbekommen.

Und weil ich für Maci weiterlebte.

Also ging ich zu dem kleinen Waschbecken und nahm mir aus dem Spiegelschrank, dessen Spiegel komplett zerschmettert war, eine Flasche mit Wunddesinfektionmittel und kippte es ohne Zögern eiskalt auf meine aufgeplatzten Hände. Der brennende Schmerz war irgendwie angenehm. Weh tat er schon lange nicht mehr. Seit dem ich psychische Schmerzen erlebt hatte, gab es für mich nichts schlimmeres als das.


Nachdem ich fertig war, stellte ich die Flasche zurück in den Schrank und verband meine Hände provisorisch. "Tut dir das nicht weh?" ohne Kyle anzusehen klatschte ich mir kaltes Wasser ins Gesicht, bevor ich ihm antwortete. "Schmerzen tun mir schon lange nicht mehr weh." Ich schüttelte meine Arme aus, machte die Musik aus und drängelte mich dann an ihnen vorbei. "Was macht ihr überhaupt hier unten? Ich dächte ich hätte euch gesagt, ihr sollt mich in Ruhe lassen. Mmh?", Kühl sah ich diese drei hirnlosen Idioten an. Ich erwartete keine Antwort, denn ich ahnte sie schon. Und trotzdem erhielt ich sie, leider nur anders als gedacht. "Wir wollten dich daran erinnern, dass wir in fünf Minuten bei den anderen sein müssen."

Erschrocken riss ich die Augen auf. Scheiße, wenn ich zu spät kam, konnte ich nicht mehr hier schlafen. "Fuck, warum sagt ihr mir das nicht früher!" Jace öffnete den Mund, um etwas zu erwidern und ich verdrehte die Augen. "Ich weiß du Idiot, du musst es mir nicht sagen." Danach sprintete ich nach oben und hatte mich innerhalb einer Minute übergeduscht. Keine Minute später hatte ich frische Sachen an und mir das wichtigste geschnappt. Ich rannte die Treppen nach unten, übersprang die letzten Stufen und schnappte mir den Autoschlüssel aus der Komode.

Drei spassten sahen mich überrascht an und ich verdrehte die Augen. "Hast du gerade geduscht?", Kyle sah mich verwirrt an. "Nein, der Weihnachtsmann hat mich in den Pool geschupst weißt du? Natürlich, sonst wären meine Haare doch nicht nass. Jetzt kommt und steht nicht so rum. Wir fahren mit meinem Auto. Wenn ich zu spät komme, krieg ich mächtigen Ärger."

Verwirrung speigelte sich in ihren Gesichtern wieder. "Was ist? Lizzy bringt mich um, wenn sie erfährt, dass ich euch nicht mitgenommen habe. Jetzt bewegt eure fetten Ärsche, wir haben nur noch zwei Minuten." Schnell schloss ich das Haus ab und lief, nein rannte schon fast zu dem alten Auto meiner Eltern. Meines war ja bei Lizzy und hatte nebenbei bemerkt nur zwei Sitze, also musste das reichen. Eigentlich hasste ich es damit zu fahren. Schließlich war es eines der wenigen Dinge, die noch von ihnen geblieben waren, aber eine andere Möglichkeit hatte ich momentan nicht.

Während Jace auf den Beifahrersitz stieg, setzten sich die anderen beiden nach hinten und ich mich ans Steuer. Mit viel zu hoher Geschwindigkeit fuhr ich durch die Straßen. "Ave, ich weiß du bist nicht besonders gut auf uns zu sprechen, aber das ist kein Grund uns mit in den Tod zu reißen. Also könntest du bitte langsamer fahren!" Und schon wieder verdrehte ich meine Augen. Mum hatte früher immer zu mir gesagt, dass wenn ich es zu oft machte, meine Augen stehen bleiben würden. Herausgefunden, dass es nicht stimmt, hatte ich dann erst mit zehn.

Hold me - Heart of IceWo Geschichten leben. Entdecke jetzt