3. Kapitel

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Der Wind wirbelte durch meine schwarzen Haare, als ich mit dem Longboard durch die Straßen LA's fuhr - auf der Suche nach dem perfekten Ort. Die Umgebung veränderte sich immer mehr, die Grundstücke wurden größer und die Häuser zu Villen. Normalerweise war dies meine gewohnte Umgebung. Die Welt der reichen Menschen und Stars. In dieser Welt war ich geboren, aber wollte ich dort auch leben?

Während ich so durch die Straßen rollte, meine Sonnenbrille stehts auf dem Kopf, fuhr ein silberner SUV an mir vorbei. Mir kam alles plötzlich wie im Zeitlupe vor. Wie ich den Fahrer des Autos in die Augen sah, wie er scheinbar langsam an mir vorbei fuhr und eine Ewigkeit verstrich. Mein Atem setzte aus und eine Gänsehaut überzog meinen Körper als ich glaubte die Augen der Vergangenheit zu sehen. Als ich glaubte meine ganze Vergangenheit noch einmal zu erleben. Als ich glaubte die ganzen Gefühle, den unendlichen Schmerz und die unendlichen Tränen auf mich einbrechen zu sehen.

Flashback

Meine Augen, gezeichnet von tiefen Augenringen, waren gerötet und geschwollen, meine Haut blass und meine Lippen spröde. Meine Wangenknochen standen hervor. Ich hatte abgenommen, da ich kaum noch aß, aber ich wusste nicht, dass ich so schlimm dadurch aussah. Zum ersten Mal in meinem Leben sah ich nicht mehr das wunderschöne, glückliche Mädchen, sondern eine hässliche, kaputte und zerstörte Kreatur. Ich erkannte mich selbst nicht wieder und wollte es nicht wahr haben, dass das wirklich ich war. Meine Augen hatten den Glanz und das Leuchten verloren und wirkten stattdessen matt und leer.

Obwohl die Sonne hoch am Himmel stand war mir eiskalt. Es war, als wenn mein Körper in einer Hülle steckte. Eine Hülle, die alles positive absorbierte und nur die eisige Kälte in mir zurückließ. Warum nur erschien mir alles wie ein Rätsel? Warum nur suchte ich vergebens nach einem Schlüssel, der in eins der tausend Löcher passen könnte?

Graue Wolken zogen auf und verdeckten den letzten Rest Hoffnung. Tränen flossen wie die Regentropfen vom Himmel aus meinen Augen. Sie bahnten sich genauso wie der Regen den Weg zur Erde und überwanden jedes Hindernis. Sie sammelten sich am Boden und bildeten eine Pfütze, wie ein kleiner See.

Wasser ist unbeschreiblich, es kann wunderschön und helfend sein, aber auch gefährlich und unberechenbar. Man musste aufpassen, Wasser gibt Lebewesen neue Kraft aber wenn man nicht aufpasste, dann riss es einem den Boden unter den Füßen weg und man drohte zu ertrinken.

Wenn es kein Halt gab und keine Rettung in Sicht war, war die Chance und die Hoffnung auf Hilfe und Überleben gering. Für mich gab es keinen Halt, denn ich hatte nicht nur meine Hoffnung schon längst in den tiefen des Schmerzes verloren, sondern auch mich selbst.

Flashback Ende

Starr wie ein Stein, blieb ich stehen und versuchte die Gedanken los zu werden. Der silberne SUV hatte seinen Weg schon längst fortgesetzt, während ich mitten auf der Straße Wurzeln der Erinnerung schlug. Ich durfte nicht schwach werden, ich durfte keine Gefühle zulassen. Lass sie nicht siegen, lass sie nicht zu. Immer wieder wiederholte ich diese Worte und es schien zu klappen. Das Eis um meinem Herzen wurde dicker, stärker. Es nahm die herausgebröckelten Gefühle und Erinnerungen wieder gefangen und gab mir meine Stärke und Gefühlslosigkeit zurück.

Ein Hupen riss mich aus meinen Gedanken und ich setzte meinen Weg, nicht ohne dem Fahrer oder der Fahrerin noch meinen Mittelfinger rauszustrecken, fort. "Hey Süße, hat dir Mami nicht beigebracht nett zu anderen Leuten zu sein?", fragte mich irgendein hirnverbrannter Schwachmat. "Nein, nur dass hirnamputierte Idioten wie du auf eine Welt namens "Verpiss dich du Arschloch" gehören. Jetzt zisch ab, oder bist du auch dafür zu dumm?" Zuckersüß lächelte ich ihn an, schnipste ihm gegen die Nase und fuhr mit meinem Board weiter die Straßen entlang.

Die Sprayflaschen in meinem Rucksack klapperten leise vor sich hin, während die Musik angenehm laut in meinen Ohren dröhnte. Eine schwarze gestrichene Villa stach mir ins Auge. Riesige verspiegelte Fenster und ein großer Garten mit Pool protzten vor sich hin. Ein fetter Sportwagen stand sich in der Einfahrt den Arsch ab und ein meterhohes Tor versperrte jedem unerwünschtem Menschen den Zugang.

Eins musste ich den Besitzern lassen. Sie hatten Geschmack. Schwarz ist wirklich wunderschön. Ich zuckte mit den Schultern und starrte wieder auf die saubere Straße, während die Häuser weiterzogen und ich mich immer weiter von der Welt der Reichen entfernte.

- - -

Ich hatte ihn gefunden. Den perfekten Ort. Eine alte Backsteinmauer eines heruntergekommenen Hauses im Armenviertel dieser Stadt. Die Leute, die hier wohnten waren arm, aber sie hatten eine Familie. Ich hatte so viel Geld, dass man sich darin baden könnte, aber keine Familie. Ich würde alles eintauschen um meine Eltern wieder zu bekommen, aber es war unmöglich. Mit Geld konnte man alles tun, aber nicht lieben.

Die meisten Menschen sind unzufrieden, wenn sie zu Weihnachten nicht das bekommen, was sie haben wollten, dabei geht es an Weihnachten doch nicht um die Geschenke, sondern um die Zeit, die man mit seiner Familie verbringen kann. Es geht um das Gefühl der Geborgenheit, das einem jeden Moment genommen werden kann.

Ich nahm den Rucksack und band mir ein schwarz- weißes Bandana um. Dazu noch meine Sonnenbrille, Handschuhe und eine lange schwarze Jogginghose, sowie meinen schwarzen Hoodie. Dann setzte ich mir noch eine schwarze Beanie auf und voilá ich war fertig.

Zuerst griff ich nach der weißen Sprühfarbe und sprühte einen Teil der alten Wand weiß an. Danach kam die schwarze Farbe für die Umrisse eines Gesichtes zum Einsatz. Anschließend nahm ich immer wieder die weiße, blaue und schwarze Farbe.

Damit ich auch nach oben kam, befestigt ich mir ein Seil an einem kaputtem Fenster, beziehungsweise dahinter an einem Balken, der noch so halbwegs stabil aussah. Obwohl es sehr gefährlich war, tat ich es. Ich liebte die Gefahr und das Risiko. Wie könnte ich sonst Spaß haben?

Nach mehreren Stunden war ich fertig mit dem Bild. Schnell setzte ich noch meine Unterschrift darunter und betrachtete dann mein Werk von Weitem. Ich war mehr als zufrieden, als ich ein Foto davon machte und es bei Instagram für meine knapp  eine Millionen Follower hochlud. Noch vor zwei Jahren, als ich mein erstes Bild postete, hätte ich mir niemals auch nur erträumen können, dass so viele Menschen das was ich machte mochten und bewunderten.

Niemand wusste wer ich war, aber jeder konnte meine Gefühle, die durch meine Bilder flossen spüren.

Naja, solange man nicht komplett dumm war.

Hold me - Heart of IceWo Geschichten leben. Entdecke jetzt