07 - Nummer Fünf

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"Danke für Ihr Vertrauen, Jung Hoseok. Auch, wenn es erstmal reiner Pragmatismus ist. Wenn Sie beim Nachbarn mitarbeiten - dann ... haben Sie wahrscheinlich zum einen Vorstellungen, was wie lange dauert. Und Sie haben schon die richtigen Sachverständigen, Architekten, Bauleiter und Firmen dort drüben. Das wird mir die aufwendige Suche ersparen und viel Zeit für diesen Sommer herausholen."
Ich stehe auf, greife mir meinen Rucksack und die Pläne.
Wir gehen raus auf die Terrasse. Automatisch biegt Hoseok Bauarbeiter nach links ab, weil das der kürzere Weg ist. Also werde ich nun auch die Erkerseite mit dem Dachstuhlbrand ansehen müssen. Vor der Ecke werde ich langsamer.

Hoseok bleibt stehen und wendet sich zu mir um.
"Was bedeutet Ihnen der Erker? Sie sind bisher immer an der anderen Seite entlang nach hinten gekommen. Warum wollen Sie hier nicht langgehen?"
Mir fällt keine schnelle Antwort ein. Für einen Moment fühle ich nur noch brennenden Schmerz, während mir eine Erinnerung durch den Kopf schießt. Onkel Harry sitzt in der Bibliothek in seinem Ohrensessel und liest mir ein Märchen vor, während ich im Erkerzimmer ganz leise aus Lego die dazu passende Szene baue.
Erst nach einer Weile wird mir meine Umgebung wieder bewusst.
"Das Zimmer war die Bibliothek, Onkel Harrys Lieblingsraum. Im Erker war sowas wie meine eigene Kinderbibliothek. Wir haben viele Stunden dort verbracht, lesend, still die Anwesenheit des anderen genießend."
"Verstehe."

Hoseok Bauarbeiter läuft einfach weiter. Ich starre ihm hinterher. Ich weiß einfach nicht, ob ich den Typ eher sympathisch oder im Gegenteil ziemlich unsympathisch finden soll. Auf der einen Seite bin ich froh, dass wenigstens einer hier kooperiert, nachfragt, mitdenkt. Auf der anderen Seite interessiere ich ihn nicht die Bohne. Er verfolgt nur seine Zwecke, will alles verstehen und im Griff haben, sucht ununterbrochen nach Möglichkeiten, zu seinem eigenen Ziel zu kommen. Ich habe keine Ahnung, ob sich das nicht irgendwann, wenn es ihm besser in den Kram passt, auch gegen mich wenden wird. Und das behagt mir überhaupt nicht.

Schweigend folge ich ihm ums Haus herum und den zugewucherten Weg zur Pförtnerei runter. Ich werfe bewusst keinen Blick nach oben, will die Schäden heute noch nicht von Nahem sehen.

 Ich werfe bewusst keinen Blick nach oben, will die Schäden heute noch nicht von Nahem sehen

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Ein paar Minuten später schauen wir an einer grünen, undurchdringlichen "Wand" hoch. Hier konnte Mutter Natur wirklich vierzehn Jahre lang ungestört in Besitz nehmen, was sich ihr in den Weg stellte. Zunächst erkenne ich nichts. Dann erspähe ich hinter den morschen Resten eines Jägerzaunes ein paar kümmerliche Erdbeerpflanzen.
Der Küchengarten. Was hab ich es geliebt, hier die ersten noch unreifen Erdbeeren und Kirschen, Himbeeren und Äpfel zu klauen!

Hoseok ist schon dabei, alte, verholzte Efeu- und Weinranken beiseite zu zerren. Wie immer geht er direkt auf sein Ziel los. Viel kann er allerdings nicht ausrichten. Aber immerhin erkennen wir nach ein paar Minuten tatsächlich intaktes Mauerwerk. Das macht Hoffnung.
"Gibts hier irgendwo Werkzeug?"
Ich grabe in meinem Gedächtnis, wo die Werkstatt war. Dorthin müssen wir uns erstmal mit meiner Heckenschere und schierer Gewalt durchkämpfen. Aber wir haben Glück. Das Garagentor ist nicht abgeschlossen, und wir können es so weit freischneiden, dass sich ein Torflügel öffnen lässt.

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