Was für ein Tag! Wir haben eine Stiftung gegründet. Wir haben in der Pförtnerei gefeiert und gewichtelt. Mehrere Jungs haben heute ihre ‘Auswärts’-Premiere. So-Ra und Hobi haben all ihre Sehnsucht und Hoffnung in einem gigantischen Schneemann verbaut. Jin ist heute Abend alleine - bis auf den Besuch seiner Eltern, denen er sich ausgerechnet heute stellen will. Sie auf die Probe stellen will.
Ich sitze auf der Rückbank meines Autos, meine vom Fühlen und Grübeln erschöpfte Freundin im Arm, während Namjoon uns zu ihren Eltern fährt für die nächste Etappe - ein festliches Abendessen bei Familie Woo, bei dem die feinfühligen Eltern nicht spüren sollen, wie es ihrer Tochter grade geht.
Keine Ahnung, wie das funktionieren soll. Selbst, wenn sie nicht verweint aussehen würde.“Liebes, sag mir doch mal, was dir gleich am liebsten wäre. Möchtest du mit Migräne in dein Zimmer flüchten, möchtest du, dass wir deine Eltern ablenken, möchtest du dich in brave, töchterliche so-tun-als-ob-Mithilfe stürzen, möchtest du dich deiner Mutter in die Arme werfen und ihr deinen Kummer ausschütten? Ich tue alles, was du willst und brauchst.”
Ich spüre, wie meine Worte ganz langsam in ihren Nebel sickern und schließlich bei ihr ankommen. Ruckartig setzt sie sich auf und dotzt erstmal gegen die Decke des Autos.
“Autsch!”
Schnell fast sie sich an den Kopf. Meine Fragen arbeiten in ihr.“Mist! Du hast recht. Was mach ich denn gleich? … Uff. … Keine Ahnung?”
“Es gibt zum Beispiel die Möglichkeit, dass du nicht versteckst, wie du dich fühlst. Auf Nachfrage bittest du um Aufschub bis später. Wir feiern ein bisschen Weihnachten, plaudern beim Essen. Und wenn Joon und ich weg sind, dann schnappst du dir deine Eltern und schüttest ihnen dein Herz aus. Dann wissen deine Eltern von Anfang an, dass sie nur ein bisschen Geduld haben müssen, du weißt dich willkommen und geborgen bei ihnen und kannst darum etwas loslassen. Wir sind später in Gedanken bei dir. Und du kannst heute Nacht besser schlafen. Ich halte es für ausgeschlossen, dass deine wunderbaren Eltern darauf ‘falsch’ reagieren.
Und morgen ist dein Bruder auch da. Bis dahin kannst du das eh nicht unterm Deckel halten.”So-Ra versinkt in Gedanken. Es ist ziemlich dunkel im Auto. Nur ab und zu huscht das Licht einer Straßenlaterne über ihr Gesicht.
Wenigstens weint sie nicht mehr so verzweifelt. Und sieht nicht mehr so hoffnungslos aus. Ihre Eltern sind sehr tolerante, geistig bewegliche Menschen. Hoffentlich bringt sie nachher den Mut auf und macht eine gute, hilfreiche Erfahrung.
Namjoon sagt zu alledem kein Wort, verzieht keine Miene. Wir haben heute Abend zu zweit noch genug Gelegenheit, darüber zu reden. Jetzt hält er mir nur den Rücken frei, indem er am Steuer sitzt.Seouls Straßen sind leer, alle Häuser und Gärten sind festlich beleuchtet, aus vielen Fenstern scheint warmes Licht. Der sternenklare Himmel, die klirrende Kälte, der knirschende Schnee erzeugen eine ganz besondere Stimmung, als wir in der Einfahrt parken und aufs Haus zugehen. So-Ra scheint zu einem Entschluss gekommen zu sein. Sie richtet sich auf, lächelt mich an und antwortet kurz auf meinen letzten Vorschlag.
“Du hast recht. Alles andere funktioniert sowieso nicht.”
Kurz darauf tauchen wir ein in die herzliche, familiäre Atmosphäre bei Woos und machen es uns im Wohnzimmer beim Weihnachtsbaum gemütlich. Wir plaudern, reden noch mal über den Vormittag, tauschen Geschenke aus, beobachten die Flammen im Kamin. Ganz ungezwungen. Und trotzdem bin ich irritiert. Entgegen ihrer Aussage behält sich meine Besti gut im Griff, überspielt ihren Kummer.
Aber hatte sie nicht eben noch zugestimmt? Ach, Süße. Tu dir doch nicht weh.
Es kommt, wie es kommen muss ... Denn ihre wachsame Mutter kann sie doch nicht täuschen.Die kuckt sich das eine Weile mit an, dann steht sie auf, geht zu ihrer Tochter rüber und nimmt sie einfach in die Arme.
“So, meine Liebe. Und jetzt beenden wir dieses traurige Versteckspiel. Ich weiß, was das heißt, wenn du dich so komisch verhältst wie grade. Wie heißt der Kerl, der dir weh getan hat? Mit wem müssen wir in den Ring steigen?”
Wäre ich eine Außenstehende, würde ich mich jetzt wahrscheinlich über diesen treffsicheren mütterlichen Instinkt köstlich amüsieren. Aber ich bin keine Außenstehende.
So-Ra seufzt. Dann lacht sie. Dann weint sie. Wir machen neben ihr Platz auf dem Sofa, damit ihr Vater sich dazu setzen kann.
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STAY GOLD
FanfictionEndstation. Sieben junge Männer stranden in einer alten Ruine, gefangen in Scham, Resignation, Schuld, Wut und Angst vor dem Morgen. Ein Teufelskreis. Spirale abwärts. Der Luxus ist verblasst, ihre Lebensträume sind vor die Wand gefahren - nichts ge...