80 - die Pressekonferenz - II.

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Nach anfänglicher Nervosität finde ich in meine Rolle und schwimme mich frei.
Wozu habe ich gelernt, auf meine Intuition zu hören, wenn nicht für solche Situationen? Also los!

"Der 'Engel' für diese Männer bin ich deshalb, weil ich in meinem Leben mehrfach gravierende Umbrüche erlebt habe, die mich letzten Endes zu der Person von heute haben werden lassen. Ich weiß von klein auf, was es heißt, sich verloren oder geborgen, verraten oder in Sicherheit zu wissen. Ich bin vom Leben immer wieder herausgefordert worden und musste meine Frau stehen. Ich war aber in den entscheidenden Momenten meines Lebens nie allein, und das ist es, was ich jedem Menschen in dieser Stadt wünsche.

Meine Mutter war Deutsche und folgte ihrem Bruder nach Korea. Mein Vater war Koreaner und arbeitete in der selben Firma wie mein Onkel. Als meine Eltern  verunglückten, war ich keine vier Jahre alt. Ich wurde aufgefangen von der besten Freundin meiner Mutter und dem besten Onkel der Welt. So habe ich fast meine ganze Kindheit und Jugend in dem Haus verbracht, das jetzt zur Heimat der Stiftung wird."
Kurz nehme ich wahr, dass man im Saal eine Stecknadel fallen hören könnte. Aber es schreckt mich nicht.

"Mein Onkel war Dr. Harald Schuchardt, deutscher Jurist und Wirtschaftsexperte, CEO in einer international operierenden Firma mit Sitz in Seoul. Er war ein stiller, aufmerksamer, hoch gebildeter Mann, dem es sicher nicht immer leicht fiel, das lebhafte Mädchen, das ich war, bis ins Erwachsenenleben zu lotsen. Aber er war auch ein kreativer, künstlerisch begabter Mensch, der immer wusste, wie er mich wahlweise aus der Reserve locken oder zur Vernunft bringen konnte. Ich habe ihn jeden Tag meines Lebens dafür unendlich geliebt.
Nach seiner Verrentung ging er zurück nach Deutschland, ich wohnte weiterhin in Seoul, absolvierte mein Studium, fing an zu arbeiten, der Kontakt wurde lockerer. Die Villa stand all die Jahre leer. Dachte ich.
Denn im März diesen Jahres bekam ich einen Brief von einem Anwalt für Familien- und Erbschaftsrecht, der mich für Wochen und Monate brutal von den Beinen riss. Mein Onkel war in Berlin gestorben, ohne dass ich gewusst hatte, wie krank er jahrelang war."

Plötzlich verschwimmt meine Sicht vor lauter unterdrückter Tränen. Einen Moment lang schließe ich die Augen, um mich zu fassen. Von rechts und links legen sich zwei warme Hände an meinen Rücken und erden mich wieder.

"Harald Schuchardt war ein weiser Mensch. Vorausahnend und sehr gezielt hat er mich mit seinem Testament ein letztes Mal herausgefordert. Er hat mir nicht nur einen unmenschlich großen Berg Geld vermacht und mir den bewusst bis jetzt zurückgehaltenen Zugang zum Erbe meiner Eltern verschafft. Ich habe auch die Villa am Bukhansan geerbt. Das Haus meiner geborgenen Kindheit. Die Ruine, zu der das Haus durch einen Blitzeinschlag und Dachstuhlbrand vor zwölf Jahren geworden war. Ich war seitdem nicht mehr am Berg gewesen, weil der Anblick für mich unerträglich war."

Einen Moment lang sehe ich die fünf anwesenden 'Jungs' direkt an. Sie nicken. Alle.

"Das Testament meines Onkels gab mir die Freiheit, über mein Erbe uneingeschränkt zu verfügen - und den Auftrag, die Villa und das Gelände zu sanieren und das ganze für einen 'wohltätigen Zweck meiner Wahl' zu nutzen. Ich KONNTE also nicht länger einen Bogen darum machen. Ich musste zur Ruine, ich musste in die Ruine, ich musste hunderte von kleinen und großen Erinnerungsfetzen ertragen. Ich musste einen Architekten beauftragen, Handwerker finden - und diesen ominösen 'wohltätigen Zweck meiner Wahl' definieren.
Ich habe Wochen gebraucht, bis ich die Kraft hatte, das erste Mal dort hinzufahren. Was ich vorfand, sah noch trauriger aus als zwölf Jahre zuvor. Und es barg eine Überraschung."
Ein Lächeln schleicht sich in meine Mundwinkel.
DAS war ein Tag!
"Nein, falsch. Zunächst vier Überraschungen. Kurz darauf fünf. Schließlich sechs und sieben."

In den Gesichtern meiner Zuhörer dämmert allmählich Verstehen herauf. Tae und Jin verständigen sich kurz per Handzeichen, stehen auf und stellen sich zusammen mit Hobi zu Yoongi und Namjoon hinter mich. Diese Gemeinschaft hinter mir zu wissen, erfüllt mich mit Glücksgefühlen und beflügelt meine Worte.

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