39 - Plan B

56 11 7
                                    

Leichter gesagt als getan. Mein Wecker findet mal wieder treffsicher seinen Weg in den Papierkorb. Aber es hilft ja nichts - aufauf und zur Arbeit! Zum Glück hat So-Ra sich in der letzten Woche ins Zeug gelegt und dafür gesorgt, dass mir der Berg an Arbeit auf meinem Schreibtisch nicht lawinenartig entgegenrutscht. Also kann ich einigermaßen pünktlich Feierabend machen und auf den Berg fahren. Die blöde Baustelle am Kreisel ist immer noch da. Dezent genervt fahre ich brav den riesigen Umweg durch den Tunnel.

Herr Lee zeigt mir erst, was in dieser Woche am Bau alles passiert ist. Zu meiner großen Freude ist das Dach schon halb gedeckt. Der Erkerturm ist wieder aufgebaut und hat nun - im Gegensatz zu früher - ebenfalls ein kleines Dach.

Dann gehen wir gemeinsam die nun sehr konkreten Vorschläge für den Innenausbau durch. Die großzügigen Räume der Villa bieten eine Fülle von Nutzungsmöglichkeiten, und seine Ideen, wie alles sehr flexibel gestaltet werden kann, begeistern mich. Die eine oder andere Charakteristik des alten Hauses wird dadurch viel moderner oder geht verloren. Aber ich fühle mich hier mit dem Gedanken der Stiftung, der dringend notwendigen Vernetzung und der Förderung grade der kleinen, unbekannten Projekte so wohl und klar und auf dem richtigen Weg, dass ich gerne den Vorraum der ehemaligen Bibliothek für den Fahrstuhl und eine größere Garderobe opfere. Der Raum selbst ist so riesig, dass niemandem etwas fehlen wird. Das untere Erkerzimmer soll zur Lese- und Entspannungsecke werden. Die Räume werden in jedem Falle ihren Charme behalten.

Frau Dr. Lee und in ihrem Schlepptau Taehyung sind auch mit dabei, damit sie alle Planungsänderungen mitbekommt und nahtlos ihre Anteile daran einarbeiten kann. Selbst Tae ist nicht nur Zuhörer sondern trägt mit ein paar intelligenten Fragen und Vorschlägen zum Gespräch bei. Ich werde in allen Belangen auf den neuesten Stand gebracht und kann gleich ein paar Folgeentscheidungen treffen. Zum Abschluss spricht Herr Lee noch einen anderen Gedanken an.

"Wir haben schon eine gute Strecke des Weges geschafft, Frau Cho. Ich habe deshalb einen Vorschlag. Ich will Ihnen aber nicht zu nahe treten."
"Gerne, nur zu."
"Sie haben inzwischen ganz viele verschiedene Fachleute an der Hand. Wir hier auf der Baustelle kennen uns ja alle. Aber da sind noch die ganzen anderen - Banken, Juristen, und mehr. Wäre es nicht langsam an der Zeit, uns alle mal an einen großen Tisch zu bringen? Sie wollen vernetzen. Sie sollten damit anfangen."
Ich bin verblüfft.
Er hat vollkommen recht, das ist allmählich dran.
"Danke für diesen wichtigen Schubs. Ich werde schnell zwei Terminvorschläge machen und rumfragen. Das wird allen Beteiligten und der Sache dienen."

Anschließend wird Taehyung in seinen wohlverdienten Feierabend entlassen, den er dazu nutzt, mal wieder Jimin entgegen zu fahren. Kaum ist er zur Tür raus, um sich in der Pförtnerei umzuziehen, wendet sich Dr. Lee an mich.
"Frau Cho, ich möchte Ihnen sagen, wie zufrieden ich mit Kim Taehyung bin. Zu schade, dass er keinen höheren Schulabschluss hat. Mir fallen auf Anhieb mehrere für ihn interessante Studiengänge ein. Was meinen Sie - wird er sich darauf einlassen, erst die High School abzuschließen und dann zu studieren?"
"Das kann ich nur vermuten. Aber ich habe an etwas anderes gedacht. Wenn man die entsprechenden Voraussetzungen mitbringt, kann man parallel zu einer handwerklichen Ausbildung mit ein paar Unterrichtsfächern mehr den High School Abschluss nachholen."

"Dann hätte er aber nur Zugang zu eher praktisch orientierten Universitäten. Die wirklich guten Unis haben genug Einserkandidaten aus den High Schools und nehmen diese 'Seiteneinsteiger' gar nicht erst an."
"Muss das ein Hindernis sein? Fragt Sie heute noch jemand, an welcher Uni Sie studiert haben? Taehyung ist tatsächlich ein praktisch veranlagter Mensch, in Kombination mit seiner künstlerischen Begabung und seinen vielseitigen Interessen ist eine reine Universitätsausbildung vielleicht gar nichts für ihn. Ich vermute, er würde den handwerklichen Weg wählen, darin einen Sinn sehen und sich deshalb um so mehr ins Zeug legen, damit sich ihm weitere Wege öffnen."

STAY GOLDWo Geschichten leben. Entdecke jetzt