14 - Durchs Leben tanzen

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Beim obligatorischen Nachmittagstelefonat mit Hoseok klingt alles nach einem ganz normalen Tag. Also sage ich ihm, dass ich heute nicht zur Baustelle komme. Er erzählt mir, dass Tae wieder ein bisschen aufgeblüht ist, und dass der Umschlag mit beiden Briefen an Eltern und Schwester für mich bereit liegt. Ich gebe ihm freie Hand, in den nächsten Tagen das gemeinsame Leben zu regeln und bitte darum, dass sie mir sagen sollen, falls bei der Einrichtung oder für die Gruppenorganisation noch was fehlt.
"Was sollte da denn fehlen?"
Seine Stimme klingt ehrlich erstaunt.
"Wir haben doch jetzt schon viel mehr als jemals zuvor."
"Ich dachte an solche Sachen wie einen großen Briefkasten am Zaun. Oder eine Pinnwand im Flur. Kommunikationsstrukturen eben. Und ich habe noch eine Überraschung. Soll ich am Samstag wieder mit Frühstück anrücken? Dann bringe ich auch die Überraschung mit."
"Da sagen wir nicht nein. Gerne!"
"Gut! Und bis dahin achten Sie alle mal darauf, ob was Entscheidendes fehlt."
"Was auch immer das sein soll - danke. Bis dann!"

Hervorragend! Dann bekommen die Jungs am Samstag die beiden Handys für die Pförtnerei und die Villa. Und ich habe jetzt Feierabend und kann mich um meine Work-Bau-Life-Balance kümmern.
Ich überlege, worauf ich jetzt Lust habe. Was in den letzten Monaten echt zu kurz gekommen ist. Ziemlich bald habe ich eine verrückte Idee. In meine kleine Wohnung passt kein riesiger Schrank, ich musste hier also schon immer Sommer- und Winterklamotten rauf und runter sortieren je nach Jahreszeit. Und ich muss gut aufpassen, dass ich nicht mehr habe, als in den Schrank reinpasst. Da wir inzwischen Mitte Juni haben, fällt mir immer öfter auf, dass ich vor lauter Erberei noch nicht dazu gekommen bin, den Winter wegzuräumen. Das werde ich heute Abend erledigen.

Kurzerhand greife ich zum Telefon.

"Hallo Schnuckimausi! Du hast mich gefragt, ob wir am Wochenende was unternehmen wollen."
"Stimmt, herzallerliebste beste Freundin. Und ich warte noch auf die Antwort."
"Gegenfrage: im Gegensatz zu mir bist du kleidungstechnisch sicher schon lange auf Sommer gepolt, richtig? Mein Schrank ist nämlich im Februar stecken geblieben. Ich will heute Abend aus- und aufräumen, und würde dann gerne am Sonntag mit dir shoppen gehen. Hast du Lust?"
"Wiiieeeee? Du machst gleich Modenschau ohne mich? Kibimbab oder Bulgogi!?! Ich bin gleich da!"
U

nd schon wieder tutet mein Handy vor sich hin, weil meine Allerliebste aufgelegt hat.
Warum fragt sie eigentlich? Sie bringt doch eh beides mit.

Ich überschlage kurz, dass mir höchstens eine Dreiviertelstunde Zeit bleibt, bevor mir So-Ra die Bude einrennt. Die Zeit nutze ich, um meinen kleinen Esstisch zu decken und meine alten Sommerklamotten aus dem Oberschrank zu befreien. Kaum ist der letzte Stapel T-Shirts im Wohnzimmer angekommen, klingelt es, und meine liebe, völlig überdrehte Freundin segelt zur Tür herein auf den ausgebreiteten Schwingen ihres eigenen Enthusiasmus.
Erst schlagen wir uns die Bäuche voll mit leckerer Street Food. Und dann kommt der spaßige Teil des Abends. Jedes Teil wird erst untersucht auf Löcher, Flecken und ribbelnde Nähte, dann wird wild kombiniert und der Läufer in meinem Wohnzimmer zum Laufsteg umfunktioniert. Das sind die Momente mit So-Ra, die ich so liebe, weil wir es problemlos ohne einen einzigen Tropfen Alkohol schaffen, von Null auf Hundert unglaublich albern zu werden.

Am Ende sind genug Teile aussortiert, dass sich der Shoppingtrip lohnen wird. Die Wintersachen sind im Schrank ganz nach oben gewandert, und neben der Wohnungstür warten drei große Tüten darauf, zu Oxfam geschleppt zu werden.

Aus dem Pförtnerhaus kommen beruhigende Nachrichten. Die Jungs ziehen an einem Strang, eine Pinnwand wird bestellt, Jeongguk und Jin kommen erstaunlich reibungsfrei miteinander klar, Yoongi benimmt sich wieder wie vor seinem Verschwinden. Und Tae dreht am Rad, weil ich ihn gefragt habe, ob er am Samstag Nachmittag mitkommen und im Auto warten möchte, wenn ich den Brief zu seinen Eltern bringe. Hoseok schimpft deswegen mit mir.
"Hätten Sie ihn das nicht am Samstag fragen können? Jetzt hat er noch zwei Tage und Nächte Zeit, darüber nachzudenken und sich verrückt zu machen."
Ich entschuldige mich kleinlaut und gelobe Besserung.

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