41 - Nachbeben

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Yoongi liegt klein, blass und zitternd in seinem Krankenhausbett und versucht, eine Position zu finden, in der ihm nichts weh tut. Aber Guk hat ganze Arbeit geleistet. Immer wieder zuckt Yoongi auch bei kleinen Bewegungen zusammen, hält den Atem an, beißt sich auf die Zähne. Ich kann ihm das leider nicht abnehmen.
"Hast du starke Schmerzen, oder kannst du versuchen zu schlafen? Ich bleibe einfach bei dir sitzen, bis Namjoon mich abholt."
Yoongi sucht sich eine bequemere Lage, schaut mich kurz unglücklich an und dreht dann den Kopf weg. Ich weiß, dass er jetzt wieder weint, aber ich respektiere sein Bedürfnis nach Abstand. Was auch immer da schief gegangen ist - ich hoffe, er wird es mir erzählen. Nach einer Weile hört das Zittern auf, sein Atem wird gleichmäßiger, er dämmert aber wohl nur.

Mist! Ich wollte doch noch fragen, ob das sein Handy war, was da zu Bruch gegangen ist. Aber Schlaf ist jetzt wichtiger.
Nachdenklich betrachte ich sein selbst im Schlaf angespanntes Gesicht.
Himmel, was für ein katastrophaler Knall. Jeongguk hat so lange gebraucht, bis er jemand vertraut hat. Das wird ihn furchtbar zurückwerfen. Und Jimin wird sich in seiner Angst auch bestätigt fühlen. Den werden wir bis zum Sankt Nimmerleinstag nicht in die Pförtnerei reinkriegen. Aber wenn er da vom Schrottplatz weg muss ... Ich vermute ja, dass Herr Kang den Bus aufmöbelt, damit er ihn Jimin überlassen kann. Dann fehlt "nur" ein neuer Stellplatz.
Wenns weiter nichts ist ... Die Zeit arbeitet gegen uns. ...

Ich bin unglaublich müde.
Kann jemand mal diese Betonklötze von meinen Schultern nehmen? Ich will doch nur für alle Jungs das Beste! Aber jetzt sieht es so aus, als ob diese enge WG doch keine gute Idee war. Hab ich mir das alles schön geredet? Hab ich den Jungs meine Träume übergestülpt? Ich weiß es einfach nicht! Ich weiß gar nichts mehr.
Nur das Scheitern dröhnt durch meinen müden Kopf und lässt mich verzagen.

Yoongi versucht, sich auf die Seite zu drehen, erwischt seine verrenkte Schulter und wimmert im Schlaf. Auch sein Kopf wird gehörig brummen. Ich löse vorsichtig meine Hand aus seiner, gehe leise zur Tür und öffne sie einen Spalt breit, damit Namjoon reinkommen kann, ohne Yoongi zu wecken. Dann setze ich mich wieder. Ich kann gar nicht anders, als über ihn und sein quälendes Geheimnis nachzudenken.
Am Anfang habe ich von allen Jungs nichts gewusst. Irgendwann haben mir alle was erzählt - auch Yoongi. Inzwischen weiß ich von den meisten das meiste - und von Yoongi ... jetzt wieder nichts. Aber er war von Anfang an anders. Bedeckter. Unausgeglichen, grundlos verärgert, unkalkulierbar da oder weg.
Seine erste Beichte und der Tod seines Bruders haben mich wirklich erschüttert. Darum glaube ich auch nicht, dass Yoongi etwas Bösartiges verbrochen hat. Er hat selbst auch eine verletzte Seele. Und irgendwie ist sein Verhalten bestimmt logisch, passend zu seiner wahren Geschichte, auch wenn wir noch nicht sehen, wie. Er scheint jedenfalls in irgendeiner Zwickmühle zu stecken.

Leise flüstert Namjoon von der Tür und betritt dann vorsichtig den Raum.
"Nelli? Ist Yoongi noch wach?"
"Er ist irgendwo zwischen Schlaf und Dämmerung. Und hat erhebliche Schmerzen. Aber vor allem quält er sich furchtbar, weil was auch immer furchtbar schief gegangen sein muss. Er gibt sich die ganze Schuld. Ich denke aber, dass ihn irgendwelche Sachzwänge in die Bredouille gebracht haben. Denn er hat vorhin gesagt:'Ich habe meine Seele verkauft.' "
"Was auch immer das heißen mag. Komm, lass uns fahren. Ich möchte, dass du selbst auch noch ein bisschen runterkommst, bevor du schläfst. Du bist ganz grau vor Erschöpfung im Gesicht. Und ich will noch ein bisschen von Jeongguk erzählen."

Wir vergewissern uns, dass Yoongi nun fest schläft, ich gebe im Schwesternzimmer meine Kontaktdaten an, und dann fahren wir endlich zu mir, zu meinem Glasturm, meinem sicheren Ort im fünften Stock. Jeder mit einem Glas Wein in der Hand hocken wir uns kuschelig auf meinen Minibalkon.
"Erzähl. Was hast du aus Guk rausbekommen?"
Namjoon seufzt.
"Viel panischen Unsinn. Und ein paar Fakten über Yoongi, die mich ein bisschen an der Menschheit zweifeln lassen. Wir wissen zu wenig und sollten morgen dringend mehr Greifbares aus Yoongi rauskriegen."
Wenn er sich denn drauf einlässt ...

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