Aber der lange Tag ist noch nicht vorbei, denn kaum bin ich zu Hause, überfällt mich schon wieder Unruhe. Und dann meldet sich mein Lieblingsfeind - das Kopfkino. Irgendwo zwischen Jeongguk und Yoongi, Taehyung und Jimin piepst mein kleines 'Ich' ganz zaghaft, wann ich denn mal gedenke, mich mit ihm zu beschäftigen. Ich versuche, mich unter der Dusche zu entspannen - ratterratterratter. Ich höre meditative Musik - grübelgrübelgrübel. Ich mache das Licht aus - ganz verkehrt. Der Schlaf will nicht kommen. Ich liege hellwach im Bett und suche nach einem Ausweg.
Es ist schon eine Weile her, dass ich Zeit, Ruhe und das Bedürfnis hatte, im Tagebuch zu schreiben. Ich mache das Licht wieder an, tapse ins Wohnzimmer, schlage die Kladde auf und sage spontan: "Kein Wunder."
Das 'letzte Mal' ist Wochen her. Sie haben alle recht. Bei allen kleinen und großen Erfolgen - ich achte nicht genug auf mich selbst.
Ich koche mir eine Kanne Tee, kuschele mich in meinen Schaukelstuhl und blättere im Tagebuch.Ein halbes Jahr meines Lebens. Auf und ab, trauernd, klagend, suchend, stolpernd die meiste Zeit. Und immer wieder mittendrin einzelne Aha-Momente, Erkenntnisse, Gespräche mit anderen, Schönes und Schmerzhaftes. Mein Leben.
Ich lese einzelne Zeilen und werde stutzig.
'Ich weiß doch selbst nicht, was ich will.'
'Keine Ahnung, was mich antreibt.'
'Was ist eigentlich meine Motivation?'
'Ach, das kann ich später noch entscheiden.'Dazu die Kommentare der Jungs.
'Helfersyndrom'
'Weltverbesserer''Mutti'
'Engel'
'Naiv'
Heute von Yoongi 'Pokerface' und 'du versteckst deine Gefühle'.
Immer wieder die kleinen Zusammenbrüche. Neulich vor Berlin, dann letzte Nacht. Immer wieder die Zweifel, die Ohnmachtsgefühle, die Eile, das Hamsterrad.Namjoon vermutet ja, dass es noch eine alte Wunde, einen Verlust, eine Angst oder so etwas in mir gibt, an das sich meine Seele nicht rantraut. Das sich aber sowohl im Zaudern als auch in der Eile, im schlechten Gewissen genau so wie im Aktivismus bemerkbar zu machen versucht.
Wie hatte er es formuliert? "Nelli, hast du irgendwann früher mal etwas sehr Wertvolles verloren? Oder - trotz relativem Luxusleben - etwas sehr vermisst und doch nie bekommen?"Aber was könnte das sein? Ich habe doch mein Leben lang Liebe, Geduld, Unterstützung und all das im Überfluss bekommen. Onkel Harry hat immer alles für mich getan. Ich habe ihn in seinen letzten Jahren vernachlässigt und im Stich gelassen. So ein Verlust kann schon eine ganze Menge schlechtes Gewissen und Aktivismus hervorrufen. Aber ich sehe darin keine plausible Begründung für Pokerface oder sowas.
Ich schließe die Augen. Sie brennen vor Müdigkeit. Ich versuche, mich auf mein Inneres in Kopf und Bauch zu konzentrieren. Es dauert eine Weile, bis ich mehr als nur Schmerz wahrnehmen kann. Und da ist es wieder: das Bild von gestern. Das Kind Nelli im Sandkasten, das etwas in ein tiefes Loch legt und alles wieder zubuddelt.
Diesmal versuche ich nicht, dem Bild so schnell wie möglich zu entkommen. Ich kann immer noch nicht erkennen, was ich da vergrabe. Aber in mir steigen Gefühle von Entschlossenheit und Mut auf.Das Bild scheint ein Schlüssel zu sein. Ich sollte dem nachgehen. Aber ich will das nicht allein machen. Wer weiß, was ich da finden, was das in mir auslösen wird ...
Die nun einkehrende Ruhe verblüfft mich. Mein Kopf kommt zur Ruhe auf eine erleichterte, entspannte Weise, wie ich sie schon lange nicht mehr hatte. Ich will jetzt gar nicht wissen, warum.
Es fühlt sich richtig an, demnächst den alten Sandkasten umzugraben, und das scheint 'mir innendrin' völlig zu reichen.
Ich trinke meinen Tee aus, klappe das Notizbuch zu und gehe ins Bett. Ich schaue nicht auf den Wecker, ich ziehe in Gedanken kein Fazit - ich schlafe einfach sofort ein.........................
Wieder ist meine Nacht empfindlich gekürzt. Mein Wecker macht Flugübungen, meine Augen wollen sich nicht öffnen, meine Beine wollen nicht aus dem Bett. Aber das Pflichtbewusstsein behält grade noch die Oberhand. Seufzend stehe ich auf. Es hilft nichts - es ist mein Brotjob, den ich auch nicht so schnell gedenke aufzugeben. Also muss ich ran. Jetzt!
So-Ra schüttelt nur den Kopf bei meinem Anblick, zieht mein Telefon zu sich rüber und nimmt meine Anrufe entgegen, damit ich möglichst ungestört arbeiten kann. Ich schalte auf Tunnelblick, blende alles andere aus und kämpfe mich durch den Tag. Zum Glück werde ich um 14.00 Uhr erlöst.
DU LIEST GERADE
STAY GOLD
FanfictionEndstation. Sieben junge Männer stranden in einer alten Ruine, gefangen in Scham, Resignation, Schuld, Wut und Angst vor dem Morgen. Ein Teufelskreis. Spirale abwärts. Der Luxus ist verblasst, ihre Lebensträume sind vor die Wand gefahren - nichts ge...