Kapitel 2: Rückzug

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   Ich weiß nicht, ob ich es noch bereuen werde, zugesagt zu haben, aber so schlecht sieht es gar nicht aus. Ich kann mich aus Flirtereien heraushalten und wenn ich doch Lust bekommen sollte, kann ich auch für eine Nacht mit einer anderen im Bett landen, ohne Angst vor den Konsequenzen haben zu müssen. Ich muss mich nicht binden und muss an niemanden denken, der in der Zwischenzeit Zuhause auf mein Wiederkommen warten würde. Das hat zugleich etwas Schmerzhaftes als auch Vorteilhaftes an sich. Nach der Trennung hinterlässt das aber vielmehr einen bitteren Beigeschmack auf meiner Zunge, ehe ich schlucke.

Zumal ich so was eigentlich nicht tue. Nachdem man sein Herz aber auf eine Weise gebrochen bekommen hat, wie es bei mir der Fall ist, will man irgendwie vergessen. Egal, wie. Würde ich es aber wirklich durchziehen? Ehrlich: Keine Ahnung.

Gedankenverloren stehe ich vor meinem Kleiderschrank und wühle durch die vielen Klamotten. Wenn man einen Monat lang nur bequeme Jogginghosen und weite Shirts getragen hat, dann verliert man schnell das gute Auge für stylische Klamotten, sodass es mir heute noch viel schwerer als ohnehin schon fällt, mich zu entscheiden, was ich heute Abend tragen würde.

Nach meiner schwankenden Gefühlslage zu urteilen, wäre es wohl das Beste, sich zwischen schlicht und umwerfend zu bewegen. Zu schlicht wäre auch für meinen Geschmack zu langweilig für den Club, aber zu freizügige und hübsche Klamotten anzuziehen, die meine Kurven betonen würden, wäre ebenso wenig angebracht. Schließlich habe ich kein Interesse daran, zu flirten. Warum sollte ich dann Kleidung anziehen, die andere Menschen dazu einladen würden, genau dies zu tun?

Natürlich soll man die Kleidung anziehen, die man möchte, aber gerade würde ich mich darin nicht wohl fühlen. Ich will etwas anziehen, was schön aussieht, aber auch danach schreit, in Ruhe gelassen zu werden.

Aufgrund der davonrennenden Zeit entscheide ich mich in meiner Verzweiflung für dunkelblaue Hotpants und einem schlichten, schwarzen Top. Wenn ich schon keine Ahnung habe, will ich lieber schlichter sein, um unnötige Begegnungen zu vermeiden. Ich will heute wirklich lieber in Ruhe gelassen werden, als wie eine Sexbombe auf zwei Beinen durch die Gegend zu stolzieren. Nicht, dass ich mich so sehen würde, diese Worte habe ich bereits viel zu oft von Nora und unseren Mädels hören müssen. Bei diesem Gedanken muss ich lächelnd den Kopf schütteln. Bevor diese ganze Sache mit Rebecca – und damit meine ich wirklich alles – gewesen ist, ist alles so viel leichter und unbeschwerter gewesen. Wie habe ich damals nur zulassen können, dass sich mein gesamtes Leben durch eine einzige Person so sehr verändert hat?

In Rekordzeit ziehe ich mich um, trage leichtes Make-Up auf, um nicht ganz wie ein Zombie auszusehen und mich zumindest ein wenig schön zu fühlen, und schnappe mir eine weiße Bluse zum Überwerfen, falls mir nachts kalt werden sollte, ehe ich runtereile.

Meinen Eltern drücke ich unten einen schnellen Kuss auf die Wange, die scheinbar überaus begeistert von meinem Vorhaben, heute das Haus zu verlassen, sind. Natürlich, als ein Elternteil, das das eigene Kind seit einem Monat nur niedergeschlagen und zusammengekauert im Bett vorgefunden hat, würde ich mich auch darüber freuen, wenn diese Zeiten endlich enden würden. Selbst wenn es der Club ist. Sie wissen, dass ich auf mich aufpasse. Daher verkneife ich mir den als Witz gemeinten Kommentar, dass meine Eltern es scheinbar kaum abwarten können würden, bis ich verschwinden würde, denn er hätte einen bitteren Beigeschmack gehabt. Nach Rebecca zumindest. Vielleicht aber auch schon nach Finn.

Sobald ich die Tür ins Schloss fallen lasse, höre ich Nora aufstöhnen. »Da bist du ja! Ich dachte schon, du hättest in letzter Sekunde doch gekniffen!« Meine beste Freundin hat sich für ein dezentes Make-up, schwarze Hotpants und ein graues Vintage T-Shirt entschieden. Wenn ich sie nicht kennen würde, hätte ich mich gefragt, ob sie sich wirklich bewusst sei, dass sie in einen Club gehen würde, aber das muss ich mich nicht. Ich weiß, dass sie sich in diesen Klamotten einfach am wohlsten fühlt und gerade das macht sie trotz der schlichten Klamottenwahl unglaublich heiß – eben weil sie so selbstbewusst sein kann. Man könnte es auch so ausdrücken, dass ich mehr oder weniger aus Erfahrung spreche.

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