Kapitel 68: Die Hoffnung stirbt zuletzt

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   [Thea:]

»Ru«, versuche ich mein Glück erneut, ernte daraufhin aber nur ein Augenrollen.

»Nicht«, mahnt sie.

»Du musst das hier«, ich mache mit meiner Hand eine vage Rundumbewegung, »nicht machen.«

»Ja, ich weiß. Und ich hab' dir gesagt, dass ich es will. Ehrlich. Hör auf, es mir ausreden zu wollen«, erwidert sie, aber sie lächelt. Auf diese Art und Weise, dass ich darauf ehrlich nichts entgegnen kann. Nicht einmal will. Ich will nur sie und ihr Lächeln betrachten, ohne dass es jemals von ihren Lippen weichen würde. Ich würde dieses kindliche Strahlen niemals leid werden.

Ich konnte nicht einmal damit argumentieren, dass sie Schule hat, denn sie hat montags immer die ersten beiden Stunden frei. Und selbst wenn nicht, ich muss heute schon um acht zum Kindergarten. Selbst wenn sie die erste Stunde verpasst hätte, hätte Ruby es in Kauf genommen nach der Sache mit ihrem Ex. Ich weiß, sie versucht es nicht zu zeigen, aber es tut ihr leid. Ich weiß nicht, ob sie mich begleitet, um mir diesen Eindruck zu vermitteln oder weil sie sich noch immer Sorgen um mich macht. Natürlich finde ich es süß, aber es gefällt mir nicht, sie gleich alleine Nachhause gehen zu lassen. Selbst wenn es nur zu mir Nachhause ist und sie innerhalb von fünfzehn Minuten wieder dort ist. Nach Tobias will ich sie einfach nirgendwo alleine lassen, auch wenn ich weiß, dass er fürs Erste keine Gefahr darstellen wird, weil er sich in Untersuchungshaft befindet.

Wir haben herausgefunden, dass er zuvor schon straffällig gewesen ist. Wegen diversen Delikten. Sachbeschädigung. Körperverletzung, Bedrohung und Beleidigung in Bezug auf häusliche Gewalt. Seine Strafe wurde jedoch aufgrund guter Führung, seines jungen Alters, keinerlei Vorstrafen in dieser Richtung und seiner familiären Hintergründe auf Bewährung ausgesetzt. Das Einzige, was dem Opfer wohl damals geblieben ist, ist das Schmerzensgeld. Und der bittere Nachgeschmack, dass Gerechtigkeit nicht oft zur Geltung kommt. Das ist definitiv eine niederschmetternde Niederlage gewesen.

Ruby und ich wollen allerdings nicht als Verlierer herausgehen. Obwohl Ruby anfangs dagegen gewesen ist, hat sie sich dazu entschlossen, ihren Ex ebenfalls anzuzeigen. Für all das, was er getan hat. Sie will, dass er jetzt für alles bluten wird. Sie will, dass er es bereut, Hand an die Personen gelegt zu haben, die ihr wichtig sind. Sie hat es runterschlucken können, wenn es bloß um sie selbst ging, aber sie sieht rot, wenn es jemand anderes trifft. Sie will, dass er seine gerechte Strafe erhält. Dass er nicht ungestraft davonkommt, weil sie sich nicht getraut hat. Genauso wenig will sie, dass ansonsten weitere Frauen Opfer seiner Gewalt werden könnten. Einmal hat sie mir gestanden, als wir im Bett nebeneinandergelegen haben, dass sie sich schon mehrmals die Frage gestellt hat, ob es noch viel mehr Leute gibt, denen er dieses Leid angetan hat, von denen niemand weiß, und wenn ja, was passiert wäre, wenn sie ihn alle angezeigt hätten. Vielleicht hätten sie einzeln keinen großen Schaden anrichten können, aber dafür vielleicht im Kollektiv? Hätte Ruby dieses Leid überhaupt erfahren müssen, wenn er schon früher hinter Gittern gekommen wäre? Sie ihn dadurch erst nie kennengelernt hätte? Es ist nicht viel, aber selbst wenn sie nur eine einzige Person davor bewahren kann, das gleiche Leid wie sie durchmachen zu müssen, indem sie Tobias vor Gericht zerrt, ist es ihr wert. Dann will Ruby vergangene Wunden aufreißen, darüber reden und akzeptieren, dass ihre Eltern davon erfahren werden. Deshalb hat sie es getan. Für andere, aber auch für sie selbst.

Deshalb bin ich so unfassbar stolz auf sie. Nicht, weil sie dem Dreckskerl endlich den verdienten Arschtritt verteilt, sondern weil sie zu sich selbst stehen möchte. Aus eigenem Willen und nicht, weil ich ihr das irgendwie eingeredet hätte. Ich habe sie mit keinem Wort dazu gedrängt, ihn ebenfalls anzuzeigen, nachdem sie mir einmal gesagt hat, dass sie es nicht tun wollen würde. Damals, als sie sich frisch von ihm getrennt hat. Ich habe ihr nur gesagt, was ich selbst vorhatte, und ich wollte ihn für jede einzelne Sache vor Gericht ziehen.

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