Kapitel 41: Ich will dich

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   [Ruby:]

Nach all diesen Wochen, die ich mit Thea habe verbringen können, fühlt es sich nicht richtig an, über seine Haut zu streichen. Diese Geborgenheit, die ich stets in der Nähe dieser Frau gespürt habe, fehlt mir mittlerweile bei ihm – wenn mir allein ihr Blick bereits unter die Haut geht. Sie stellt Dinge mit meinem Herzen an, die ich schon lange nicht mehr bei Tobias gespürt habe – die mit der Zeit verblasst sind, als seine wahre Natur mehr und mehr herausgebrochen ist.

Ein dumpfes Geräusch.

Ein schmerzendes Pochen an meiner Wange.

Eine aufgeplatzte, angeschwollene Lippe.

Eine Angst in den Augen dieses Mädchens, das ich nicht mehr als mich selbst erkennen kann – das aufgegeben hat, sich zur Wehr zu setzen, weil es viel einfacher ist, es über sich ergehen zu lassen und zu hoffen, dass es einfach möglichst bald vorbei sein wird. Weil es immer nur schlimmer wurde, wenn ich mich verteidigt habe. Weil ich gemerkt habe, dass es ihn viel mehr besänftigt hat, wenn ich meine angeblichen Fehler zugegeben und die Schuld immer nur bei mir gesucht habe – bis ich irgendwann wirklich geglaubt habe, dass sie bei mir liegt. In jeder einzelnen Angelegenheit. Selbst wenn es keinen Sinn ergeben hat.

Immer habe ich den Fehler zuerst bei mir gesucht statt bei dem, der ihn verursacht hat.

Dass die Schuld bei ihm liegt, wann immer er betrunken die Hand erhebt. Dass ich nur Opfer seiner Aggressionsprobleme bin, sobald er die Beherrschung aufgrund von belanglosen Gründen verliert. Dass ich kaum eine Schuld dabei trage, wann immer er handgreiflich wird und mir mit Gewalt einzureden versucht, ich sei an allem schuld.

Das bin ich nicht – bin es nie gewesen. Das hat mir Thea gezeigt. Sie hat mir gezeigt, dass ich Besseres verdient habe – dass ich Tobias nicht verdient habe. Dass ich ihn loslassen muss, um glücklich zu werden. Dass ich es mit ihm auf gar keinen Fall sein kann, selbst wenn ich ihn noch lieben würde. Was ich schon lange nicht mehr tue.

Ich blinzele die Tränen verzweifelt weg, die in meinen Augen brennen, und konzentriere mich voll und ganz darauf, den Schmerz weg zu atmen, der sich auf meiner ganzen Wange ausgebreitet hat. Ich werde das überschminken müssen, um Fragen zu vermeiden.

Statt aber wie immer die Augen danach fest geschlossen zu halten und zu hoffen, keinen weiteren Wutausbruch aushalten zu müssen, halte ich die Augen geöffnet und schaue dem Monster ins Gesicht – dem Mann, den ich einst geliebt und von dem ich wirklich gedacht habe, er wäre gut für mich. Er wäre der Eine für mich.

Weit gefehlt.

Er sagt, er liebe mich, aber wie viel kann ich ihm davon wirklich glauben, wenn er jedes Mal die Faust erhebt, sobald ihm etwas nicht passt? Wenn er nur noch gut zu mir sein kann, wenn ich ihm wie ein braver Hund in absolut jeder Situation gehorche? Und selbst dann nicht gut genug bin?

Sein Gesicht ist von dem ganzen Hass und Zorn hässlich entstellt und ich erkenne den jungen Mann darin nicht mehr, der mich einst mit so viel Freude und Glück überschüttet hatte, dass ich jeden einzelnen Moment lang das Gefühl hatte, auf Wolke Sieben zu schweben. Wie kann man sich nur so sehr in einem Menschen geirrt haben? Wie kann man nur so viel Pech haben, an die falsche Person geraten zu sein? Sein Charisma hat mich blind gemacht.

Plötzlich schießt mir das Bild einer jungen Frau durch den Kopf, die mich in den letzten Wochen so verrückt wie niemand anderes macht – die mir tagein, tagaus nicht mehr aus meinem Kopf gehen mag, egal, wie sehr ich mir Vernunft einreden möchte. Egal, wie viel besser das für uns beide bloß wäre. Vor allem für sie.

Ich will so nicht denken, weil sie das nicht verdient hat, aber wie gut kenne ich Thea überhaupt? Ich dachte, Tobias wäre der Richtige – der Mann für die Zukunft –, bis er sein wahres Gesicht gezeigt hat. Kann ich so naiv davon ausgehen, dass ich bei ihr in besseren Händen sein werde? Dass ich nicht jede Nacht in ihren Armen fürchten muss, mit immensen Schmerzen aus dem Schlaf gerissen zu werden? Nur weil sie gut zu mir ist? Nur weil sie mir im ersten Moment so viel Zuneigung und Wärme schenkt? Das hat Tobi anfangs auch getan.

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